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Einhaltung technischer Normen (DIN) und Produkthaftung

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Einhaltung technischer Normen (DIN) und Produkthaftung

Jeder Hersteller von Produkten muss sich der Pflichten und Haftungsrisiken, die mit dem Inverkehrbringen seiner Produkte einhergehen, bewusst sein.

Das Oberlandesgericht Hamm hat in einer Entscheidung vom 21.12.2010 (Aktenzeichen I-21 U 14/08) einmal mehr klargestellt, dass die Beachtung technischer Normen bei der Herstellung von Produkten unter Umständen nicht ausreicht, um einer Haftung zu entgehen.

Zum Sachverhalt
(verkürzt dargestellt)
Der Schmerzensgeld einfordernde Kläger ist ein mittlerweile 9-jähriger Junge, der im Jahre 2003 durch entzündete Brennpaste schwerste Verbrennungen im Kopfbereich erlitten hatte. Sein Vater hatte zum Unfallzeitpunkt versucht, auf dem wohnungseigenen Balkon einen Tischgrill mithilfe der sich in einer Plastikflasche befindlichen Grillbrennpaste (die so von der Beklagten hergestellt wurde) zu entzünden. Bei dem Versuch, die Verschlussklappe der Flasche zu entfernen, verkantete jedoch die gesamte Verschlusseinheit und sprang mitsamt der Dosierdüse aus dem Flaschenhals. Der Vater schüttete danach die Grillbrennpaste auf den Grill, in dem sich schon von vorherigen Zündversuchen eine kleine Flammenbildung eingestellt haben musste. Aufgrund der fehlenden Dosierdüse fraß sich die an der Grillbrennpaste nun entstehende Flamme zurück in die Flasche, die der Vater reflexartig beiseite zog. Hierbei erfolgte jedoch ebenfalls aufgrund der fehlenden Dosierdüse eine Verpuffung, die letzten Endes zu den schweren Verbrennungen des Kindes führte, welches in diesem Moment unbemerkt auf den Balkon getreten war.
Zur Entscheidung des Gerichts
Das Gericht hat vorliegend Ansprüche aus dem Produkthaftungsgesetz außen vor gelassen, da diese zum einen Verjährungsbedenken unterlagen und zum anderen unverjährte Ansprüche des Kindes gemäß der §§ 823 Abs.1, 253 Abs. BGB bestanden. Die Produkt- oder auch Produzentenhaftung nach § 823 Abs. 1 BGB setzt ebenso wie Ansprüche aus dem Produkthaftungsgesetz voraus, dass ein fehlerhaftes Produkt in den Verkehr gebracht wurde. Dies ist immer dann der Fall, wenn ein Produkt nicht die Sicherheit bietet, die unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere seiner Darbietung, des Gebrauchs, mit dem billigerweise gerechnet werden kann, des Zeitpunkts, in dem es in den Verkehr gebracht wurde, berechtigterweise erwartet werden kann (§ 3 ProdHaftG).
Das Gericht kam zu der Überzeugung, dass dem Hersteller, obwohl dieser die einschlägigen DIN-Normen eingehalten hatte und eine Prüfung durch den zuständigen TÜV nachweisen konnte, ein Konstruktionsfehler seines Produktes vorgeworfen werden kann. Technische Normen bilden zwar einen Mindeststandard an Sicherheit. Ihre Einhaltung genügt aber nicht, wenn die technische Entwicklung oder die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Normen hinausgegangen sind oder wenn sich bei der Benutzung des Produkts Gefahren gezeigt haben, die in den Normen noch nicht berücksichtigt sind. Eine Haftung ist zudem dann begründet, wenn der Fehler bereits bei der Konstruktion erkenn- und vermeidbar war. Vorliegend wurde in einem Gutachten festgestellt, dass das Dosierungsventil durch eine schräge Abnahme des Verschlusses abgehebelt werden konnte, was durchaus im Bereich des bestimmungsgemäßen Gebrauchs lag. Erforderlich wäre daher eine untrennbare Verbindung, zum Beispiel durch Verschraubung oder Verklebung, gewesen. Die von der Beklagten eingehaltenen einschlägigen DIN Normen sowie die entsprechenden Tests des TÜV waren jedoch nur auf Zugkräfte ausgelegt, wobei Hebelkräfte vollkommen außer Acht gelassen wurden. Nach Überzeugung des Gerichts stand somit fest, dass ein Konstruktionsfehler vorlag, der von Anfang an erkennbar und vermeidbar gewesen war, weil sich das Dosierventil gerade nicht nur bei einer völlig fernliegenden Fehlanwendung, sondern auch im Rahmen der üblichen Verwendung vom Flaschenhals lösen und somit einen Flammenrückschlag auslösen konnte. Dies hätte von der Beklagten beachtet werden müssen. Im Rahmen des Verfahrens konnte die Beklagte ihr vermutetes Verschulden nicht widerlegen, sodass es zu einer Verurteilung zur Zahlung von Schmerzensgeld kam.
Fazit
Den Hersteller treffen vielerlei Pflichten. Im Bereich der Produkthaftung lassen sich diese in Organisations-, Konstruktions-, Fertigungs-, Instruktions- und (Produkt)Beobachtungspflichten unterteilen. Bei der Erfüllung dieser Pflichten kann sich der Hersteller an einschlägige technische Normen halten, dennoch sollte er sich hüten, diese blindlings als ausreichend anzusehen. Technische Normen geben einen Mindeststandard vor, der jedoch unter Umständen nicht ausreicht. Der Hersteller ist nicht zuletzt deswegen zur dauernden Beachtung des jeweiligen Stands der Wissenschaft und Technik sowie dem Gebrauch und der Entwicklung des Produktes am Markt und zur Ergreifung entsprechender Maßnahmen verpflichtet, sollten sich Gefahren einstellen.
Rechtsanwalt Daniel Wuhrmann
Reusch Rechtsanwälte, Saarbrücken
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