Startseite » Allgemein »

Erfinden mit System

Allgemein
Erfinden mit System

Erfinden mit System
Entstehen innovative Produkte aus einer zufälligen Intuition oder kann der Entstehungsprozess durch eine Systematik unterstützt werden? Auf diese Frage versuchte Genrich Altschuller schon vor ungefähr 50 Jahren eine Antwort zu finden.

Dipl. Ing. (FH) Rainer Göppel, Leitung Steinbeis-Transferzentrum Managementsysteme, TMS, Ulm

Um die Antwort zu bekommen, analysierte der Patentoffizier der russischen Marine sehr umfangreich und akribisch eine Vielzahl von Patenten.
Das Ergebnis seiner Arbeit mündete in drei grundlegenden Erkenntnissen
– Die präzise Beschreibung eines Problems alleine führt häufig schon zu kreativen Problemlösungen,
– Voraussetzung für innovative Ideen und Problemlösungen ist ein Widerspruch oder Konflikt und ein Wissenstransfer über Fach- bzw. Branchengrenzen hinweg,
– Widersprüche und Konflikte lassen sich systematisieren
und einer Sammlung von Methoden und Prinzipien, die es ermöglichen systematisch Probleme, technische Widersprüche und Konflikte zu bearbeiten. Diese Sammlung von Methoden sind zusammengefasst unter dem Akronym „TRIZ“ oder übersetzt in die „Theorie des erfinderischen Problemlösens“. In den USA sind diese Methoden als TIPS (Theory of Inventive Problem Solving) und in Deutschland finden sich ähnlich Ansätze unter dem Begriff WOIS (Widerspruchsorientierte Innovationsstrategie) wieder.
Die TRIZ-Philosophie
Zum Einsatz kommt TRIZ bei der Problembearbeitung, ausgelöst durch Konflikte oder Widersprüche, aber auch bei der zielorientierten Optimierung von Produkten. Die Stärken von TRIZ liegen in der Problemerkennung, -formulierung und -analyse, sowie im normalerweise nachfolgenden Schritt der Ideenfindung, -selektion und -ausarbeitung. Genutzt werden dabei empirische Grundgesetze der technischen Evolution, Ansätze der Kreativitätsförderung und Benutzerleitfäden für die jeweiligen Methoden. TRIZ ist nicht als Allzweckwaffe zur Problemlösung zu verstehen, sondern hilft den Problemlösern mit systematischen Vorgehensweisen und löst Denkblockaden in deren Köpfen auf.
Die TRIZ-Methoden setzen allerdings bei den Anwendern die Fähigkeit von Abstraktion und Verallgemeinerung voraus. Ausgehend vom individuellen Problem ist es die Aufgabe der Anwender, daraus ein „Standardproblem“ zu formulieren.
Für Standardprobleme gab es in der Vergangenheit bzw. in anderen Branchen oftmals schon Lösungsansätze. Diese Standardlösungen unterstützen die Bearbeitungsprozesse beim Anwender und ermöglichen es, diese Standardlösungen auf das individuelle Problem zu übertragen und die individuelle Lösung zu finden. Schwerpunkt bei der Bearbeitung von Problemen mit TRIZ ist die Differenzierung bezüglich des Nutzens der Funktion, sowie die Ermittlung und Formulierung von Widersprüchen.
Nützliche und schädliche Funktionen
Beim Einsatz von TRIZ werden Funktionen in nützliche oder schädliche Funktionen getrennt.
Durch nützliche Funktionen entstehen grundsätzlich Vorteile / Gewinne / Nutzen und durch schädliche Funktionen entstehen grundsätzlich Nachteile / Verluste / Aufwände.
Technische und physikalische Widersprüche
Konflikte werden bei der Anwendung von TRIZ in technische oder physikalische Widersprüche eingeteilt.
– Ein technischer Widerspruch liegt vor, wenn das Verbessern eines Systemparameters X zur Verschlechterung eines Systemparameters Y führt. (z.B. „Höhere Beschleunigung eines Autos bedingt einen höheren Benzinverbrauch“)
– Ein physikalischer Widerspruch liegt vor, wenn die Existenz einer definierten Eigenschaft zusammen mit ihrer gegenteiligen Einstellung gefordert wird.(z.B. „Flugzeugtragflächen sollten für Start und Landung groß, für einen schnellen Flug aber klein sein“)
Das TRIZ-Methodensystem
Das TRIZ-Methodensystem basiert auf vier Säulen (siehe Bild).
  • 1. Vision: Zur Standortbestimmung und zur Ermittlung von Trends bei Entwicklungen
  • 2. Systematik: Zur Analyse der Probleme und zur Auflösung von Denkblockaden bei deren Bearbeitung
  • 3. Analogie: Zur Lösung von Konflikten und Widersprüchen mittels Abstraktion und der Nutzung von verallgemeinerten Standardlösungen
  • 4. Wissen: Zur Recherche für Problemlösungen in anderen Branchen und Bereichen
Die Methoden sind unterschiedlich im Anwendungsaufwand und der Erbringung von Ergebnissen. Meist beginnt man mit „einfacheren“ Methoden und detailliert durch „komplexere“ Methoden, wenn die Lösungsbearbeitung noch nicht ausreichend erscheint.
Vision für zukünftige innovative Produkte
Mögliche Trends bei Produkten können durch die Gesetze der technischen Evolution ermittelt werden. In 8 ausformulierten Gesetzen (z.B. Vergrösserung der Idealität, uneinheitliche Entwicklung der Systemanteile, über Komplexität zur Einfachheit, …) wird Kreativität angeregt und zukünftige Produktgenerationen gleichzeitig angedacht.
Die S-Kurve betrachtet die Lebenzyklusphasen eines Produktes bzgl. dem Reifegrad der Performance, dem Niveau neuer Erfindungen, der Zahl der Erfindungen und der Profitabilität. Die Notwendigkeit für ein neues Produktkonzept oder neue und innovative Produktbestandteile werden frühzeitig erkannt und finden ihre Berücksichtigung.
Systematik für Problem-analyse und Ideenfindung
Systematische Ansätze zur Problembeschreibung finden sich in der Innovationscheckliste, in der Betrachtung der Ressourcen und in der Problem- und Objektformulierung.
Die „Innovationscheckliste“ hinterfragt und dokumentiert das Problem sehr ausführlich. Gemäß Altschuller führt eine „präzise Beschreibung eines Problems alleine häufig schon zu kreativen Problemlösungen“. So müssen zum Problem Fragen zum System selbst und zum Systemumfeld, zu verfügbaren Ressourcen im System, zur Problemsituation, zu möglichen und zulässigen Systemänderungen, zur angestrebten Lösung und zur bisherigen Historie der Problembearbeitung beantwortet werden. Die „Innovationscheckliste“ bildet somit die Grundlage zur weiteren Problembearbeitung.
Mit der „Problem-/Objektformulierung“ steht ein Werkzeug zur Verfügung, welches Ursachen-Wirkungsketten von der primär schädlichen Funktion bis zur primär nützlichen Funktion grafisch entwickelt und detailliert darstellt. Durch die Zerlegung des Problems wird die Verknüpfung von nützlichen und schädlichen Teilfunktionen transparent, so dass mögliche Ansätze zur Verstärkung von nützlichen Teilfunktionen ermittelt und zur Eliminierung bzw. Reduzierung von schädlichen Teilfunktionen gefunden werden können. Ein Satz von Beschreibungssymbolen und deren Benutzung und Interpretation wird von Altschuller beigestellt.
Das „Ideale System“ betrachtet im Produkt das Verhältnis zwischen der Anzahl der nützlichen Funktionen und der Anzahl der schädlichen Funktionen. Folgende Denkansätze begründen das ideale System und bieten kreative Anregungen für den Anwender:
– Die ideale Maschine stellt ihre Funktionen zur Verfügung, ohne selbst zu existieren
– Die ideale Maschine ist unabhängig von einer späteren Realisierung
– Die ideale Maschine bedarf keiner Wartung und nimmt keinen Platz in Anspruch
– Die ideale Maschine erlaubt keine Kompromisse
Zwar klingen diese Paradigmen zunächst sehr „idealistisch“, in der Praxis sind solche Ideale Systeme durchaus schon realisiert (z.B. Lackieren ohne Lösungsmittel, Tiefkühltruhen in Lebensmittel-geschäften ohne Deckel, Überhitzungskontrolle bei Gleitlagern durch kapazitiven Widerstand zwischen Innenring und Gehäuse). Mit dem Ansatz zum „Idealen System„ sollen kreative Ideen stimuliert werden, die Auseinandersetzung mit der Zielsetzung steht im Mittelpunkt und noch nicht die eigentliche Problemlösung.
Die „Antizipierende Fehlererkennung“ ist eine moderierte Vorgehensweise mit folgenden Fragestellungen.
– Wie kann das System zum Versagen gebracht werden ? (provozierende Fehlererkennung)
– Wie kann ein Fehler im System erzeugt werden? (invertierende Fehlererkennung)
Die Zielsetzung der „Fehlererkennung“ ist ausgehend von einer Problembeschreibung, das eigentliche Problem zu invertieren und über eine Übertreibung/Eskalation der schädlichen und ineffizienten Aspekte zu neuen Erkenntnissen zu gelangen (z.B. ein Medizinerteam denkt nicht über die Heilungsmöglichkeiten von Schnupfen nach, sondern überlegt sich zunächst, wie kann ein ordentlicher Schupfen bewusst erzeugt werden). Gedanklich wird die Katastrophe zur gewollten Funktion zu machen. Der Fokus beim „Zwergemodell“ kann kurz mit folgender Aufgabenstellung umschrieben werden. „Transformiere das Produkt oder den Prozess in eine Aktion von Zwergen und denke über Verbesserungsmöglichkeiten nach.“ Das Produkt wird gedanklich in kleinste, aber sehr aktive Einheiten zerteilt und über deren mögliche und gewünschte Funktion, Gestalt, Aktivitäten nachgedacht. Das „Zwergemodell“ bedarf einer sorgfältigen Moderation, da sonst natürlich die Gefahr des Abdriftens in die Lächerlichkeit besteht, trägt aber bei richtiger Moderation zu einem sehr guten System- und Problemverständnis bei.
Trimming ist eine Methode zur Selektion und zum wertanalytischen Ranking. Beim Trimming werden der Funktionsrang, der Kostenrang und der Problemrang gewichtet und das näher zu analysierende Objekt ermittelt. Als Vorbereitung auf die Objektformulierung dient Trimming dazu, dass sich der Anwender auf die relevante Objekte konzentriert. Der Operator MKZ (Material/Kosten/ Zeit) ist eine weitere Kreativitätstechnik. Der Operator MKZ konfrontiert den Anwender mit der hypothetischen Situation, das Material, Kosten und Zeit beliebig vorhanden bzw. nur sehr gering vorhanden wären. Dieser Denkansatz hat gewisse Ähnlichkeit mit der „Zukunftswerkstatt“ von Robert Jungk und führt dazu, nicht zu früh in eingeschränkten Rahmen-bedingungen zu denken.
Analogien nutzen
Als mächtige Instrumente in der TRIZ-Säule Analogie sind zu nennen die „Widerspruchs-tabelle die „Separationsprinzipien“, die „Stoff-Feld-Analyse“ und die „76 Standardlösungen“. Die emsige Recherche von Patenten durch Altschuller findet ein Ergebnis in der sogenannten „Widerspruchstabelle“. Altschuller katalogisierte die recherchierten Patente in 39 grundsätzliche, technische Parameter (z.B. Gewicht eines bewegten Objekts, Volumen eines stationären Objekts, Stabilität eines Objekts, …). Ein Konflikt zwischen diese Parameter waren meist Auslöser für neue innovative Lösungen. Die gefundenen Lösungen verallgemeinerte Altschuller in 40 innovative Grundprinzipien (z.B. Segmentierung, Asymmetrie, vorgezogene Aktion, …). Lässt sich das eigene individuelle Problem über die vorgegebenen technischen Parameter verallgemeinert formulieren (z.B. bei Änderung der Stabilität eines Objektes verschlechtert sich das Gewicht diese Objekts), so bietet die Widerspruchtabelle eine Empfehlung aus den innovativen Grundprinzipien (z.B. bei bewegtem Objekt: Überspringen, Eigenschaftsänderung, Abtrennung, Inertes Medium). Diese vorgeschlagenen innovativen Grundprinzipen müssen interpretiert und auf das eigene Problem übertragen werden, um Lösungsmöglichkeiten zu ermitteln. Die Widerspruchtabelle wird angewendet, wenn es sich um „technische Widersprüche“ handelt. Sind „physikalische Widersprüche“ identifiziert arbeitet man mit den vier Separationsprinzipien weiter. Widersprechende Funktionen können somit über eine zeitliche Trennung, eine räumliche Trennung, eine Trennung innerhalb des Objekts oder über eine Modifikation der Bedingungen aufgelöst werden. Die Herausforderung an das Abstraktionsvermögen zeigt sich in der Stoff-Feld-Analyse. Diese geht davon aus, dass jede Funktion durch das Zusammenspiel von Stoffen und Feldern erzeugt wird. Ein arbeitsfähiges System besteht immer aus mindestens zwei Stoffen und ein Feld. Zielsetzung der „Stoff-Feld-Analyse“ ist der Aufbau und die Optimierung solcher Triaden. Ein Stoff ist dabei jedwedes Objekt beliebiger Komplexität. Ein Stoff kann ein ganzes System oder Subsystem, ein einfaches Objekt, Werkzeug oder Gegenstand sein. Ein Feld beschreibt dabei die Mittel oder Möglichkeiten eine Aktion zu verwirklichen. Das Feld ist eine Form der Energie, Kraft oder Wirkung. Um Ideen zur Optimierung dieser Stoff-Feld-Triaden zu generieren, ermittelte Altschuller „76 Standardlösungen“. Diese sind thematisch gegliedert und übersichtlich zusammengefasst und können bei der Ideenfindung ähnlich einer Checkliste eingesetzt werden.
Wissen was möglich ist
Als weiterer Baustein der Ideenfindung gelten „Effekte-Datenbanken“ bzw. „Effektelexika“. Diese Datenbanken ergeben sich aus der weltweiten Recherche von Patenten und werden von einigen, darauf spezialisierten Unternehmen angeboten. Der Nutzen solcher Datenbanken gründet in der Bereitstellung von branchen- und fachübergreifendem Wissen. Diese Datenbanken sind meist so strukturiert, dass problemorientierte Suchmechanismen greifen. Der Anwender kann also suchen, welche Möglichkeiten es beispielsweise gibt um Objekte zu bewegen oder um Objekte zu erwärmen (z.B. elektromagnetische Induktion, dielektrisches Erhitzen, Eddy-Strom, Strahlungsabsorbtion durch Substanz, …).
Der Einsatz von TRIZ
TRIZ ist ein umfangreiches und über jahrzehnte entwickeltes Methodensystem, welches angewendet wird, wenn keine offensichtliche Lösung vorliegt bzw. die Lösung möglichst ohne Kompromisse umgesetzt werden soll. Der Einsatz des gesamten Instrumentariums erfordert Erfahrung und den Willen andere Denk- und Vorgehensweisen auszuprobieren. Die Kombination der Methoden ist besonders hilfreich, aber nicht unbedingt notwendig. Einige Methoden und Prinzipien sind schnell erlern- und verstehbar und auch ohne ungemäß hohen Aufwand anzuwenden. Hierzu sollen nur die Gesetze der technischen Evolution, Innovationscheckliste und die Widerspruchstabelle genannt sein.
Seminar zum Thema:
„TRIZ – Erfinden mit System“
Kennenlernen und Verstehen des TRIZ-Methodensystems und Beurteilung seiner nutzbringenden Anwendung im Unternehmen.
Termin: 9. 11. 2001
Veranstalter: TMS in Ulm
Kontakt: Telefon 07 31/96 89 20, TMSEF@t-online.de
Weitere Informationen A QE 300
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Quality Engineering
Titelbild QUALITY ENGINEERING Control Express 1
Ausgabe
Control Express 1.2024
LESEN
ABO
Webinare & Webcasts

Technisches Wissen aus erster Hand

Whitepaper

Whitepaper zum Thema QS


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de