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Es bleibt nicht alles wie es glänzt

Gebrauchsbeständigkeitsprüfung
Es bleibt nicht alles wie es glänzt

Erstmalig ist es möglich, unabhängig von Oberflächengeometrie und Produktbeschaffenheit, insbesondere das fertige Produkt wie zum Beispiel Handys oder Tastaturen, einer praxisgerechten, genormten Beanspruchungsprüfung zu unterwerfen.

Wolfgang P. Weinhold, M. Sc. Dipl.-Ing., Innowep GmbH, Prof. Dr.-Ing. Klaus Friedrich, Institut für Verbundwerkstoffe GmbH, Universität Kaiserslautern

Gängige Produktionsverfahren waren bei der Prüfung von Wertigkeit und Abriebverhalten stets auf plane, großflächige Oberflächen angewiesen. Darüber hinaus zeigte sich, dass eine Korrelierbarkeit mit derartigen Verfahren im Hinblick auf den tatsächlichen Gebrauch nicht möglich ist. Das liegt insbesondere daran, dass die Beanspruchung durch Handabrieb ein hochkomplexer Vorgang ist, der zudem durch Beaufschlagung mit Chemikalien zusätzlich verschärft werden kann.
Bei der Produktentwicklung als auch bei der Qualitätssicherung ist es von großem Interesse, nicht nur flache Musterplatten einer Prüfung im Hinblick auf deren Funktionalität und Oberflächenqualität zu unterwerfen.
Die zu prüfenden Produkte und Oberflächen verfügen über unterschiedliche Größen und Geometrieeigenschaften. Sie können zum Beispiel konvex oder konkav, feststehend oder bei Schaltern nachgiebig und beweglich sein. Das Trägermaterial besteht zum einem aus Kunststoffen wie bei Handys, Automobilteilen, Kaffeemaschinen, Rasierapparaten oder aus Metall wie bei Füllern, Bankautomaten und chirurgischen Geräten.
Eine sehr spezielle Art der Beanspruchung von Oberflächen ist der Handabrieb. Viele Kunststoffoberflächen werden in ihrem Einsatz durch Anfassen und Betätigen mit der Hand belastet. Denken wir nur an einen Schalter oder an einen Türgriff.
Mit den bisher eingesetzten Standard-Abriebprüfverfahren konnte diese Belastung aber nicht praxisgerecht simuliert werden. Der Grund hierfür liegt sowohl in der Komplexität des Vorgangs beim Handabrieb wie auch darin, dass die zu prüfende Oberfläche beziehungsweise das Bauteil über eine gekrümmte Oberfläche verfügt und wie beispielsweise bei einem Schalter oder Bedienelement bewegbar ist.
Eine Aussage wie: „…die Oberfläche des Lichtschalters kann bis zu 10 000 mal betätigt werden, ohne dass ein sichtbarer Abrieb erfolgt“ ist mit Standardmethoden nicht möglich.
Aus diesem Grund haben sich viele Hersteller entschlossen, eigene Prüfgeräte zu entwickeln, die den Anforderungen der Praxis, insbesondere dem Zusammenhang zwischen chemischen und gleichzeitigem mechanischen Verschleiß, berücksichtigen.
Besonders die Tastaturbranche hat hier viele interessante Unikate hervorgebracht. Diese mögen zwar auf die jeweilige Herstellerproblematik zugeschnitten sein, die Prüfergebnisse, die durch die diversen selbstentwickelten Prüfgeräte erzielt worden sind, sind aber nicht mit denen anderer Hersteller vergleichbar.
In Zeiten der ISO 9000 sind praxisnahe Prüfverfahren, die national und international anerkannt sind und diese Angaben ständig verifizieren können, dringend notwendig.
Ergonomie des Fingers berücksichtigt
Um ein geeignetes Verfahren zu finden, ist zunächst der Vorgang einer Handbetätigung in der Praxis näher anzuschauen. Zuerst weist ein Finger oder Handballen eine bestimmte Ergonomie auf. Das heißt, er verfügt zum Beispiel über eine abgerundete Form, eine elastische Oberfläche und eine spezifische Oberflächenstruktur. Das verwendete Reibverfahren eines Prüfgerätes muss diese Eigenschaften berücksichtigen.
Weiterhin ist die Art der Bewegung für die Prüfung maßgeblich. Schon in einer kleinen Selbstbeobachtung findet man heraus, dass ein Finger in aller Regel eine kombinierte Reib-/Stoßbewegung auf die Oberfläche ausübt. Würde der Finger hingegen ausschließlich rechtwinklig auf die Oberfläche einwirken, wäre überhaupt kein mechanischer Abrieb möglich.
Im ersten Teil der Bewegung wird der Finger nicht senkrecht sondern schräg auf die Oberfläche geführt. Danach schließt sich eine Gleit-/Reibbewegung auf dieser an. Auch diese sehr spezifische Art der Bewegung muss in einem praxisgerechten Prüfverfahren umgesetzt werden. Dass die für die Prüfung verwendeten Andruckkräfte denen eines Fingerdruckes entsprechen sollten, versteht sich von selbst.
Mechanische und chemische Einflüsse
Neben den bisher betrachteten mechanischen Vorgängen spielen aber auch chemische Faktoren für die Abriebprüfung eine nicht zu unterschätzende Rolle. Flüssigkeiten oder Pasten können durchaus sehr aggressiv auf Beschichtungen und Lackierungen wirken, den mechanischen Abrieb beschleunigen, ja sogar den Zerstörungsprozess an der Oberfläche dominieren.
Welche Prüffluide zum Einsatz kommen sollen, hängt stark von dem geplanten Einsatzzweck des zu prüfenden Produktes ab. So wird zum Beispiel ein Handy oder Mobiltelefon vornehmlich unter Einsatz von Kunstschweiß, Hautcremes und Reinigungsmitteln getestet. Eine Industriesteuerung wird zusätzlich noch unter Einwirkung von Schmieröl oder Bohrwasser geprüft. Für Teile, die im Automobilbereich Verwendung finden, schreiben die Fahrzeughersteller die jeweiligen Prüffluide vor. Als weitere Forderung soll eine neue Norm auch eine praxisgerechte Funktionsprüfung bei Schaltern und Bedienelementen ermöglichen.
Alle diese Betrachtungen wurden Grundlage für die neue Norm DIN EN 60068-2-70/IEC 68-2-70, die ein Verfahren zur Prüfung von Bedruckungen und Beschriftungen an Oberflächen, insbesondere auch an elektrotechnischen Erzeugnissen festlegt. Ausdrücklich wird der Anwendungsbereich der Norm nicht auf die Beschriftungen begrenzt, vielmehr wird die Anwendung auch in anderen Bereichen zugelassen und angewendet.
Normgerechtes neues Verfahren
Das neue Norm-Abriebprüfverfahren sieht wie folgt aus: Es wird ein Prüfstempel mit definierter, fingerähnlicher Formgebung und Elastizität verwendet. Zwischen Prüfstempel und zu prüfender Oberfläche befindet sich ein genau in der Norm festgelegtes Abriebgewebe. Die Verwendung anderer Gewebe (hochabrassiv) ist hiermit auch möglich. Damit erhält man einen definierten Reibpartner, der nach Verschleiß auch leicht ausgewechselt werden kann. Der Prüfstempel wird in einem durch die Norm festgelegten Winkel auf die Oberfläche gestoßen, wobei Prüfkraft und der anschließende Reibweg genau festgelegt sind. Die Prüfkräfte können in einem Bereich von 1 bis 100 N liegen. Da das Verfahren als Dauerversuch eingesetzt werden kann, sind laut Norm bis zu 10 Millionen Betätigungszyklen zulässig.
Schließlich ist auch die Zuführung von Prüffluiden (Flüssigkeiten/Pasten) von der Norm vorgesehen.
Vor und nach einem Testintervall ist der Prüfling auf seine Beschaffenheit hin zu untersuchen. Die Bewertung der optischen und kommunikativen Eigenschaften wie Erkennbarkeit des Druckbildes und der Struktur kann zwar auch rein visuell, viel besser aber durch optische Messsysteme durchgeführt werden.
Als ergänzendes optisches Mess- und Bewertungssystem wird hierbei das Produkt Copra eingesetzt: Dabei handelt es sich um ein auf Kamera beziehungsweise Scanner basierendes Messsystem, mit dem die Qualität des ursprünglichen Oberflächenzustandes, des Druckbilds und/oder der Dekorstruktur sowie die jeweilige optische Qualität nach dem Abrieb bewertet werden.
Bei Schaltern kann eine Funktionsüberprüfung kontinuierlich während der Prüfung oder auch nur als Abschlussüberprüfung erfolgen. Die Funktionsprüfung bei gleichzeitiger Oberflächenverschleißprüfung nach DIN EN 60068-2-70/IEC 68-2-70 hat zudem den Vorteil, dass die Schaltelemente der tatsächlichen Beanspruchung durch Finger oder Handbetätigung ausgesetzt sind. Im Gegensatz hierzu wird in diversen Werksnormen lediglich als Funktionstest eine ausschließlich senkrecht zur Schaltoberfläche erfolgende Betätigung durchgeführt.
Dies entspricht jedoch nicht der tatsächlichen, in der Praxis vorkommenden Reib-/Stoßbewegung, so dass eine wesentlich längere, als in der Praxis realisierbare Lebensdauer des Produktes vorgetäuscht wird.
Mit der neuen Norm DIN EN 60068-2-70/IEC 68-2-70 steht also ein praxisgerechtes Verfahren zur Abriebprüfung handbeaufschlagter Oberflächen zur Verfügung. Darüber hinaus bietet sich die Norm für die praxisgerechte Dauerfunktionsprüfung bei Schaltern und Bedienelementen an.
CONTROL Halle 4, 4213
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