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Künstliche Intelligenz unterstützt die Auswertung von Reparaturdaten bei der Rexroth Schraubtechnik

Qualitätsmanagement
Künstliche Intelligenz unterstützt die Auswertung von Reparaturdaten bei der Rexroth Schraubtechnik

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Künstliche Intelligenz (KI) bringt das Qualitätsmanagement (QM) entscheidend voran. Das zeigt ein gemeinsames Projekt von Bosch Rexroth und Fraunhofer IPA. Die Partner haben ein Modell entwickelt, mit dem sich Reparaturberichte aus dem industriellen Schraubprozess in Sekunden klassifizieren lassen. Bislang erfolgte das manuell, war entsprechend zeitaufwendig und zudem an das Wissen des Mitarbeiters geknüpft.

Den Produktverbesserungsprozess schneller, präziser und nachhaltiger zu gestalten – das ist das Ziel ein Kooperationsprojekt von Bosch Rexroth und des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung IPA. Mitarbeiter der beiden Partner haben ein lernendes KI-System entwickelt und prototypisch umgesetzt. Es analysiert und kategorisiert maschinell und in hoher Geschwindigkeit Reklamationsdaten, die im Reparaturprozess dokumentiert werden. Auf diese können die Produktentwicklungsteams zugreifen. In den Normen ISO 9001 und IATF 16949 sind die Anforderungen beschrieben, nach denen Reklamationen und Feldausfälle systematisch zu analysieren und daraus Verbesserungsmaßnahmen abzuleiten sind.

Doch bevor sich Verbesserungsmaßnahmen umsetzen lassen, müssen zunächst die relevanten Daten über Fehler und Mängel erhoben, aufbereitet und ausgewertet werden. Reparaturdaten sind hierfür eine wichtige Informationsquelle, weshalb sie kontinuierlich und systematisch erfasst werden. Die Synthetisierung dieser Daten hin zu Erkenntnissen ist manchmal eine detektivische Arbeit. Sie erfordert viel Erfahrungswissen, um aus den Rückmeldungen der Servicedienste geeignete Fehlerklassen und Maßnahmen abzuleiten. Da die Produktentwicklungszyklen kürzer werden, ist es nötig, Verbesserungspotenziale früh zu erkennen.

Reparaturdaten werden seit der Einführung des QMs systematisch erhoben. Relevant ist dabei, in welcher Lebensphase das Produkt versagt hat, wo der Fehler genau aufgetreten ist und ob das Unternehmen ursächlich etwas tun kann, um diesen Fehler in Zukunft zu vermeiden. Der Fehlerort lässt sich meist entlang der Produkthierarchie definieren. Um eine aussagekräftige Statistik zu erhalten, wird die Fehlerart entsprechenden Fehlerkategorien zugeschrieben. Ein klassischer Ansatz, der auch im Bosch-Konzern verbreitet ist, ist die Klassifizierung entlang von Standards, den sogenannten Fehlerkatalogen.

Diese Klassifizierung hat den Nachteil, dass die Personen, die diese Zuschreibung durchführen, über viel Routine verfügen müssen, um gleiche Fälle auch gleich zu beurteilen. Zudem muss der Fehlerkatalog kontinuierlich an neue Produkte angepasst und gepflegt werden. Dabei ist es eine große Herausforderung, den Fehler einer Ursache zuzuschreiben. Bei Bosch Rexroth können die Qualitätsingenieure auf digital erfasste Reparaturdaten von mehr als zehn Jahren zurückgreifen. Diese Informationen werden regelmäßig mit den neuen Auswertungen ergänzt. Wird dieser Pflegeaufwand nicht geleistet, würde die Güte der Klassifizierung schnell abnehmen. Aus Sicht des QM ist das nicht akzeptabel. Deshalb wollte Bosch Rexroth neue Möglichkeiten finden.

Konzept zur Verarbeitung von Reparaturdaten

Die IPA-Experten der Abteilung Cyber Cognitive Intelligence (CCI) und die Mitarbeiter des Industrie-4.0-Innovationsteams bei Bosch Rexroth führten zunächst eine Voruntersuchung mit einem exemplarischen Datensatz durch. Der Versuch zeigte, dass die Qualität und Struktur der Daten eine gute Ausgangslage für ein KI-System bieten, das auf maschinellem Lernen basiert. Im nächsten Schritt wurde die Rexroth Schraubtechnik als Forschungsbeispiel ausgewählt und das Konzept des „aktiven Lernens von Klassifikatoren für die Verarbeitung von Reparaturdaten“ entwickelt.

Die Reparaturdaten, auf die das Team zugreifen konnte, bestehen aus ähnlichen, allerdings nicht standardisierten Freitexteinträgen einer Kategorie, welche die Mitarbeiter in den Servicewerkstätten anlegen. Bei jedem Reparaturvorgang werden Art, Ort und Ursache des Fehlers erfasst. Zudem lassen sich Zusatzinformationen dokumentieren, die zu keiner der genannten Kategorien passen.

Für die maschinelle Verarbeitung von unstrukturierten Texten gibt es viele wissenschaftlich Ansätze. Die Verfahren entfernen zum Beispiel Füllwörter, reduzieren den Text auf seine Essenz und überführen ihn so in eine Form, die auch ein Rechner lesen kann. Anschließend wird die Position eines Worts in einem Satz in einen Vektor überführt. Aus der resultierenden Matrix lässt sich der Satz jederzeit wieder reproduzieren.

Spaltung in Testdatensatz und Trainingsdatensatz

Alle rechnerlesbaren Texte zu einem Reparaturfall bilden einen Datensatz, der nun von dem KI-System klassifiziert werden kann. Der Datensatz wird im ersten Schritt in einen Trainingsdatensatz und einen Testdatensatz aufgespalten. Mit dem Trainingsdatensatz wird ein Klassifizierungsmodell erstellt. Damit kann schließlich eine Prognose getroffen werden, in welche Kategorie nicht-klassifizierte Daten fallen. Die ermittelte Prognose ist nie zu 100 % richtig. Vielmehr wird ein Datensatz mehrfach durchgerechnet, um die Wahrscheinlichkeit einer richtigen Klassifizierung zu erhöhen. Daher braucht man ein Stopp-Kriterium, um festlegen zu können, wann eine ausreichende Klassifizierungsgüte erreicht ist. Um eine ausreichend genaue Klassifizierung schnell genug erreichen zu können, ist die Wahl des richtigen Klassifikators ein entscheidender Faktor. Das CCI konnten hier wesentlich zur Effizienz des Systems beitragen.

Das KI-System hat entscheidende Vorteile im Vergleich zu klassischen Klassifizierungsstrategien. Ein herkömmliches Modell ist dann besonders leistungsfähig, wenn es auf der Grundlage von vielen, hochqualitativen Daten generiert wurde. Das bedeutet jedoch konkret für eine neue Monatsauswertung, dass die neuen Daten immer durch das Komplettmodell prognostiziert werden müssen. Bei dem neuen Ansatz besteht das KI-System hingegen aus zwei Klassifikationsschleifen. Im ersten sogenannten Active Learning Loop (AL) wird das Gesamtmodell anhand aller Datensätze errechnet inklusive den bewerteten Klassifizierungen der Vergangenheit.

Mit Hilfe eines Rangsystems werden dann die besonders informativen Datensätze und diejenigen mit hoher Entropie als Core Data herausgefiltert. Es konnte nachgewiesen werden, dass eine zweite Klassifikationsschleife (Passive Learning Loop, kurz PL), deren Modell ausschließlich mit den Core Data errechnet wurde, sehr adäquate Klassifizierungsergebnisse liefert. Die neuen Datensätze der Monatsauswertung werden also direkt durch das Modell des PL prognostiziert. Das spart viel Zeit.

Die zweite Herausforderung, die sich mit dem Ansatz der Core Data angehen lässt, ist die Unterrepräsentation von neuen Datensätzen. In herkömmlichen Systemen haben Daten, die häufig vorkommen, ein entsprechendes Gewicht im Modell. Die korrekte Klassifizierung eines Datensatzes von einem neuen Produkt hätte es daher schwer. Diese Unausgewogenheit wird ebenfalls durch die Nutzung der Core Data ausgeglichen. Wird die geforderte Klassifizierungsgüte nicht erreicht, so wird der Datensatz für die manuelle Beurteilung durch den Menschen ausgeschleust. Diese kann jedoch zeitunabhängig vom KI-System erfolgen. Auf diese Weise ist gesichert, dass der Mensch die KI steuert und nicht umgekehrt.

Beispielprodukt messender Funk-Akkuschrauber

Für die Erprobung des neuen Konzepts wurden vier repräsentative Produktgruppen ausgewählt: messender Funk-Akkuschrauber, Messwertgeber, Kompaktsteuerung und kabelgebundener Handschrauber. Als Testzeitraum wurden die Reklamationsdaten von zwei Monaten betrachtet, die noch nicht bearbeitet waren, um so verfälschende Einflüsse auf die Auswertungsergebnisse zu vermeiden. Dabei wurden jedoch nur die Reklamationen herausgefiltert, bei denen die reklamierten Produkte nicht älter als fünf Jahre sind. Für das Training des AL-Modells konnte auf bereits bewertete Datensätze aus mehr als zehn Jahren zurückgegriffen werden.

Als Bewertungsreferenz diente in diesem Projekt ein Qualitätsingenieur mit mehr als zehnjähriger Auswertungspraxis, hier „Experte“ genannt. Zudem wurde mit vier weiteren Personen validiert: einem „normalen Benutzer“, der sporadische Erfahrung mit der Klassifizierung von Reparaturdaten hat, zwei „Anfängern“, denen zwar die Produkte bekannt waren, die aber nicht in das Klassifizieren von Reparaturdaten involviert waren und einem „absoluten Anfänger“, der zudem die Produktstruktur nicht kannte.

Im manuellen Durchlauf und bei der Anwendung des KI-Systems wurde in vier Kategorien bewertet. Diese sind

  • · Anzahl durchgeführter Bewertungen,
  • · Bewertungsdauer in Minuten,
  • · Zahl korrekter Bewertungen und
  • · Güte und Genauigkeit der Bewertung.

Um gleiche Voraussetzungen zu schaffen, erhielt jeder Proband vor der Evaluation eine Grundschulung zur manuellen Klassifizierung und zum Umgang mit der Benutzeroberfläche des KI-Systems. Anschließend wurde zunächst die manuelle Klassifizierung durchgeführt und mit ein paar Tagen Abstand dann die Vergleichsbewertung mit Unterstützung des KI-Systems vorgenommen.Beispielprodukt messender Funk-Akkuschrauber

Kürzere Bewertungszeit ein wesentlicher Vorteil der KI

Der „Experte“ konnte seine Bewertungszeit in Kooperation mit der KI um gut die Hälfte reduzieren. Da er als Referenz diente, liegt die Güte seiner Auswertung bei 100 %. Der „normale Benutzer“ konnte die Güte seiner Bewertung durch den Einsatz der KI im Schnitt um 13 % steigern und seinen Zeiteinsatz um 88 % senken.

Die „Anfänger“ konnten bei Güte und Zeitaufwand nahezu identische Werte erreichen wie der „normale Benutzer“. Dies deutet darauf hin, dass der Einsatz das KI-Systems tatsächlich zu einer Objektivierung der Bewertung beiträgt. Der „absolute Anfänger“ schließlich konnte die Güte seiner Bewertungen gegenüber dem manuellen Verfahren um 37 % steigern. Mit einer Zeiteinsparung von 63 % zeigt sich auch hier, dass die kürzere Bewertungszeit ein wesentlicher Vorteil des KI-Systems ist.

Bosch Rexroth AG
Löwentorstraße 74
70376 Stuttgart
Tel. +4971181118951
www.boschrexroth.de


Bild: Bosch Rexroth

Ortwin Mailahn

Quality Management and Methods Assembly
Technology
Bosch Rexroth
www.boschrexroth.com

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