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Mehr Lebensnähe für das Qualitätsmanagement

Neuerungen der Qualitätsmanagement-Norm ISO 9001:2015
Mehr Lebensnähe für das Qualitätsmanagement

Seit der ersten Veröffentlichung der ISO 9001 im Jahr 1987 hat sich das Verständnis von Qualitätsmanagement kontinuierlich weiter entwickelt. Mit der neuen Version der internationalen Norm für Qualitätsmanagement kommt nun ein Release auf die Welt, der um einiges lebensnäher ist als die bisherigen Stationen in der Entwicklung der Norm.

Ein kurzer Blick zurück: Schon immer ging es den Normgebern auf gewisse Weise darum, die Komplexität von Unternehmen mit Hilfe der ISO 9001 auf eine möglichst greif- und verstehbare Weise darzustellen und den Entstehungsprozess von Qualität damit reproduzierbar zu machen. Alte Hasen des Metiers erinnern sich eventuell noch an die „20 Elemente“ des Qualitätsmanagements, die vor allem dazu dienten, den komplexen Vorgang überschaubar zu gestalten.

Allerdings stellte sich irgendwann heraus, dass die Komplexität der Welt in einem Maße zugenommen hatte, dem die Version mit den Elementen nicht mehr genügen konnte. So war die 2000er Version die erste, die sehr großen Wert auf den Prozessbegriff als damals neue Währung des systemischen Arbeitens legte.
Sie wurde im Jahr 2008 weiter entwickelt und erwartete von Führungsebene und Mitarbeitern, dass der Qualitätsgedanke nicht nur getragen, sondern auch vorausschauend geplant und kontrolliert wird. Die wichtigste Neuerung damals: Planungs- und Kontrollinstrumente waren nun so einzusetzen, dass sie die gesamte Wertschöpfungskette als einen großen und bis in Teilprozess hinein konsistenten Qualitätsmanagementprozess betrachteten. Die oberste Leitung hatte fortan nicht mehr nur die Qualität einzelner Abläufe ihres Unternehmens zu kontrollieren, sondern deren wirksames Zusammenspiel über die gesamte Supply Chain hinweg zu sichern. Produzenten und Dienstleistungsunternehmen mussten nun beispielsweise auch sicherstellen, dass ihre Zulieferer systematisch und nachweisbar für Qualität sorgten. Damit rückte das Qualitätsmanagementsystem aus dem Schattendasein des eher administrativen, kontrollierenden Vorgangs heraus und wurde endgültig zum strategischen Instrument des Unternehmers.
In dieser Tradition steht nun auch die neue Version. Allerdings verlässt sie noch mehr als ihre Vorgängerin die vorgeschriebenen Wege und erlaubt Anwendern, den Aufbau und die Beschreibung ihres Systems noch näher ans „wirkliche Leben“ zu rücken. Was die individuelle Anwendung ihrer Vorgaben auf das jeweilige Unternehmen anging, ließ die ISO 9001 schon immer Spielraum. Die großen Themen allerdings blieben stets vorgegeben, die Regeln der Dokumentation waren ebenfalls fix und im Sinne der Auditierbarkeit klar beschrieben. Diese alten Bastionen verändert die 2015er Novelle jetzt deutlich – sowohl was die Bewertung von Themen angeht als auch bezüglich der Art und Weise der Dokumentation.
Erste wesentliche Neuerung: Verstehen geht vor blindem Dokumentieren
Das tut sie zunächst vor allem im neuen Punkt „4.1 Verstehen der Organisation und ihres Kontextes“. Im Unterschied zur vorherigen Version ist nicht mehr nur alleine der Wertschöpfungsprozess die Mutter des Qualitätsmanagementsystems – sondern tatsächlich auch das Umfeld und die damit verbundenen „Themen“ des Unternehmens: So heißt es in der neuen Version: „Die Organisation muss externe und interne Themen bestimmen, die für ihren Zweck und ihre strategische Ausrichtung relevant sind und sich auf ihre Fähigkeit auswirken, die beabsichtigten Ergebnisse ihres Qualitätsmanagementsystems zu erreichen. Die Organisation muss die Informationen über diese externen und internen Themen überwachen und überprüfen.“
In Fortführung der bereits prozessorientierten und sehr auf Kundenzufriedenheit fokussierten Vorgängerversion, umfasst das Verstehen nicht nur die unternehmensinternen, sondern auch externe und mit dem Unternehmen verbundene Themen – allerdings mit einem deutlich weiter erweiterten Fokus. Denn nun, so formuliert der Punkt 4.2, geht es auch um das „Verstehen der Erfordernisse und Erwartungen interessierter Parteien“: „Aufgrund ihres Einflusses beziehungsweise ihres potentiellen Einflusses auf die Fähigkeit der Organisation zur fortlaufenden Bereitstellung von Produkten und Dienstleistungen, die die Anforderungen der Kunden und die zutreffenden gesetzlichen und behördlichen Anforderungen erfüllen, muss die Organisation sowohl die interessierten Parteien, die für ihr Qualitätsmanagementsystem relevant sind, als auch die Anforderungen dieser interessierten Parteien, die für ihr Qualitätsmanagementsystem relevant sind, bestimmen. Die Organisation muss die Informationen über diese interessierten Parteien und deren relevante Anforderungen überwachen und überprüfen.“
Wer nun erschrickt, weil die deutsche Formulierung „interessierte Parteien“ – heute würde man auf neudeutsch wohl den Begriff Stakeholder verwenden – den Fokus tatsächlich sehr weit aufreißt, kann beruhigt sein: Denn der Anhang A.3 – „Kontext der Organisation“ relativiert beziehungsweise reduziert den Prüfungsbedarf auf das, was das Unternehmen selbst als relevant betrachtet:
Es gibt keine Anforderung, die interessierten Parteien zu berücksichtigen, die von der Organisation als nicht relevant bestimmt wurden.
Es gibt auch keine Anforderung, eine bestimmte Anforderung einer relevanten interessierten Partei zu berücksichtigen, wenn die Organisation diese Anforderung als nicht relevant befunden hat.
Wie man sieht, vertraut die Norm heute deutlich stärker auf die Urteilskraft der Unternehmensleitung und der maßgeblich Beteiligten – und damit eben auch darauf, dass sie das dafür nötige Wissen definieren, zugänglich machen und einbeziehen. Das Unternehmen kann selbst bestimmen, was relevant ist und was nicht.
Zweite Neuerung: Selbstbestimmtes Wissensmanagement
Was die neue von der alten Norm ebenfalls unterscheidet, ist der Punkt 7.1.6 „Wissen der Organisation“. Konkret: Die Organisation muss das Wissen bestimmen, das benötigt wird, um ihre Prozesse durchzuführen und um die Konformität von Produkten und Dienstleistungen zu erreichen. Dieses Wissen muss aufrechterhalten und in ausreichendem Umfang vermittelt werden.
Um sich ändernde Erfordernisse und Trends zu berücksichtigen, muss die Organisation ihr momentanes Wissen betrachten und muss bestimmen, auf welche Weise das nötige Zusatzwissen erlangt wird oder wie darauf zugegriffen wird.
In diesem Punkt wird also einfach gesprochen festgelegt, dass eine Organisation selbst wissen muss, was sie wissen muss, um jederzeit Qualität her- und darzustellen. Das könnte für manche Organisation an der einen oder anderen Stelle zur Herausforderung werden. Denn die Festlegung des eigentlichen, benötigten Wissens ist – trotz des angebrochenen Knowledge-Management–Zeitalters für manches Unternehmen immer noch eine ungewohnte, neue Aufgabe, bei der es mehr denn je die aktive Unterstützung und Einbindung aller Ebenen bedarf. Allemal sollte dies aber auch eine gute Gelegenheit sein, die Position des Qualitätsmanagements vom bisher, zum Teil eher stiefmütterlich behandelten Unterstützungsprozess, zum eigentlichen Führungsprozess zu machen.
Dritte Neuerung: Selbstbestimmtes Managen der Risiken statt formellem Risikomanagement
Eine weitere und durchaus bemerkenswerte Entwicklung nimmt die Norm in Bezug auf den Umgang mit Risiken. In einer Zeit, die vom Begriff des Risikomanagements geprägt ist, fordert die neue Version explizit kein formelles Risikomanagementsystem oder einen dokumentierten Risikomanagementprozess. Stattdessen erwartet sie von den anwendenden Unternehmen, dass sie ihre Risiken selbst bestimmen und entsprechend behandeln, um sie zu reduzieren beziehungsweise möglichst gar nicht erst entstehen zu lassen. Den Sinn und Zweck eines Qualitätsmanagementsystems sieht die ISO 9001:2015 darin, generell vorbeugend zu wirken.
Konsequenterweise gibt es den gewohnten separaten Unterpunkt „Vorbeugungsmaßnahmen“ in dieser Revision der ISO 9001 nicht mehr. Stattdessen wird konsequent auf den Plan-Do-Check-Act (PDCA) Kreislauf aufgesetzt. Das ist durchaus eine kleine Revolution. Mit der Integration beziehungsweise Implementierung der Vorbeugung in den Gesamtprozess definiert sie Qualität als lebendigen und jederzeit seiner Risiken und Möglichkeiten gewahrten Herzschlag des unternehmerischen Organismus.
Vierte Neuerung: Visualisieren hilft beim Verstehen, Nachdenken und Umsetzen
Neben diesen neuen Herangehensweisen bietet die aktuelle Revision der 9001 den Unternehmen vor allem mehr Flexibilität in Bezug auf die QM-Dokumentation. Diese darf und soll sich an den Gegebenheiten und Erfordernissen der Unternehmen orientieren und sich hierzu auch viel stärker zeitgemäßer Instrumente der Wissensvermittlung bedienen. Neben dem Einsatz diverser Softwarelösungen bietet sich hier vor allem die Visualisierung der Workflows an.
Der Grund leuchtet ein: Visualisierte Prozesse werden viel leichter verstanden als nur textlich beschriebene. Der Einsatz von visualisierten Unternehmensprozessen rückt die Norm auch auf der Ebene ihrer Anwender näher ans Leben: Wer schneller und effizienter versteht, ohne Aktenordner oder Qualitätshandbücher wälzen zu müssen, kann die an ihn gestellten Anforderungen tatsächlich besser erkennen, verstehen, akzeptieren, umsetzen und nachhalten. ■
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