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Nacharbeit ist vermeidbar

CMII-Methode optimiert Änderungsprozesse
Nacharbeit ist vermeidbar

Angefangen von der Verbesserung einzelner Bauteile bis hin zum Austausch ganzer Komponenten – jede Innovation erfordert kontinuierliche Änderungsprozesse. Jedoch je komplexer die Produkte durch das Zusammenspiel von Mechanik, Elektronik und Software werden und je mehr Partnerfirmen an der Entstehung beteiligt sind, desto schwieriger wird es auch, die Kontrolle über die einzelnen Änderungen zu behalten. Wer diesen Prozess effektiv beherrscht, besitzt hinsichtlich der Kosten und der Liefertreue einen klaren Wettbewerbsvorteil.

Dipl.-Ing. Udo Mathee, Fach- und Wissenschaftsjournalist, Coesfeld

Neben diesen bewusst initiierten Änderungen existiert jedoch noch eine Schattenseite: Korrekturmaßnahmen und kostenintensive Nach- und Doppelarbeit. Diese erfordern einen nicht zu vernachlässigenden Aufwand, denn laut ICM (Institut of Configuration Management) in Phoenix werden ca. 40–60% des Gesamtumsatzes eines Unternehmens von diesen zusätzlichen Korrekturen gefressen. „Das Top-Management registriert dann zwar die schrumpfenden Margen, kann aber meist nicht zu den Ursachen des Problems vordringen“, erklärt Guido Weischedel, Geschäftsführer der Gesellschaft für Konfigurationsmanagement in Stuttgart. Für das Beratungs- und Schulungsunternehmen offenbart sich hier oft ein heikles Thema, weil in der Praxis die Entwicklungs- und Produktionsabteilungen dazu neigten, diesen Umstand nur als eine Vielzahl von Einzelfehlern zu identifizieren, „…und manchmal kann man sich auch des Eindrucks nicht erwehren, dass selbst das Top-Management gar nicht so sehr an einer exakten Aufklärung interessiert ist.“
Die Gründe liegen oft schon bei falschen, fehlenden oder unterschiedlich interpretierbaren Eingangsinformationen. So fasst der Kunde seine Anforderungen und Wünsche in einem sogenannten Lastenheft zusammen, das vom Volumen her bekanntlich eher einem dicken Handbuch gleicht als einem dünnen Heft. Nach der Erstellung des ebenso umfangreichen Pflichtenheftes beginnt die Konstruktion nun den Prototyp zu erstellen. Wie kann sie aber wissen, ob sie wirklich alle Forderungen umgesetzt hat? „Das zeigt sich meist erst bei der Endabnahme“, berichtet Thomas Schwartz , ebenfalls Geschäftsführer der GfKM. „Manchmal hat der Kunde auch mittendrin seine Wünsche geändert oder um weitere Anforderungen ergänzt.“ Es folgen also neue Pflichtenhefte, Nacharbeiten und der Streit, welche Änderungen denn nun kostenpflichtig sind und welche nicht. Denn solche umfangreichen Dokumente werden erfahrungsgemäß kaum vollständig gelesen, geschweige denn anforderungsgerecht umgesetzt. Die Aktualisierung dieser dicken Kataloge bleibt ebenfalls schwierig und wird oft nicht nachgehalten.
Nacharbeit kann auch entstehen, wenn die Erstellung der Dokumente den Produkten hinterherhinkt, d.h. die Produkte die führende Rolle übernehmen. Die Mitarbeiter hoffen zwar, die Dokumentation am Ende eines Projektes vervollständigen zu können, aber meist drängt dann schon der nächste Auftrag. Dadurch wird der aktuelle as-built-Zustand eines Produktes weder exakt erfasst, noch die Konfiguration sauber dokumentiert, d.h. die hierarchischen Abhängigkeiten der einzelnen Module und ihre Auswirkungen auf andere Prozesse und Unternehmensbereiche. Dokumente sind aber nicht nur unvollständig, sondern oft auch schlecht bzw. individuell strukturiert. „All dies rächt sich bei der nächsten Änderung“, so Guido Weischedel, „dann sind weder der Aufwand noch die Kosten einer Maßnahme überschaubar, so dass mit einer eigentlich innovativen Produktänderung ein ganzer Rattenschwanz an unvorhergesehenen Problemen beginnt.“
Rückrufaktionen sind nur die Spitze des Eisberges
Autobesitzern zeigt sich dieses Debakel bei einer Rückrufaktion. Dabei muss die Vertragswerkstatt dem OEM notfalls die Information liefern, ab welchem Fahrzeug der Zulieferer und damit z.B. die Wasserpumpe gewechselt wurde. Unter der Spitze dieses Eisberges liegen aber schon Fehldispositionen verborgen, Überstunden, Stillstandszeiten, die Suche nach Schuldigen bis hin zur inneren Kündigung von Mitarbeitern – also Kosten, die nach der Erfahrung der Berater in allen Unternehmensgrößen immer wieder entstehen.
Mark Andrews erinnert sich deshalb an das Jahr 2000: „Um auf die boomenden asiatischen Märkte schneller reagieren zu können und uns an dieser Stelle von den Mitbewerbern noch deutlicher unterscheiden zu können, war uns klar, dass wir unsere Änderungsprozesse weiter optimieren mussten.“ Deshalb begann das Unternehmen, einer der weltweit führenden Hersteller von Automobilelektronik und Automobilsicherheitssystemen, nach einer Methode zur Standardisierung seines globalen Änderungsmanagements zu suchen. Nach einer unabhängig durchgeführten Studie entschied es sich für CMII. „Methoden und Standards zur Konfiguration von Produkten gibt es zwar einige – insbesondere im militärischen Bereich. Das Spezifische der CMII-Methode ist jedoch, dass sie Produkte und Informationen bzw. Dokumente gleichermaßen strukturiert und verbindet“, ergänzt Mark Andrews.
Entstanden ist die Methode in der amerikanischen Luftfahrtindustrie. 1980 erhielt sie dann den Namen CMII – als Konfigurationsmanagement der zweiten Generation. Heute entwickelt das Institute of Configuration Management (ICM) in Phoenix/Arizona (www.icmhq.com) die Methode für den allgemeinen Einsatz kontinuierlich weiter. Dieses CMII -Modell ist ein Software-unabhängiger Standard, unter dem sich Personen und auch Unternehmen zertifizieren lassen können, um so die Qualität ihrer Produkte und Dienstleistungen zu dokumentieren.
Ganz allgemein heißt es bei CMII: Dokumente führen – Produkte (Items) folgen. Die Dokumentation eines Bauteiles oder Softwaremoduls muss also immer zuerst vollständig erstellt, geprüft und freigegeben werden und erst dann darf beschafft, gefertigt oder montiert werden. CMII erzwingt also eine Vordokumentation – dadurch wird jedes Dokument zu einer klaren Anforderung.
Einzelanforderungen sind schneller freizugeben
Konsequenterweise beginnt dies bei der Umsetzung des Lastenheftes. Zusammen mit dazugehörenden Normen oder z.B. Umweltvorschriften wird dies systematisch in Einzelanforderungen (requirements) zergliedert. Denn kleine Einheiten sind einfacher zu ändern, besser prüfbar und schneller freizugeben als große. Anschließend werden sie in die sogenannte Design-Basis überführt. Diese ist vierfach unterteilt: Erst wenn jeweils aus dieser funktionalen, physischen, logischen und prozessbedingten Sicht alle Fragen geklärt sind, ist das beauftragte cross functional team sicher, die Wünsche des Kunden nun problemlos umsetzen zu können. Sinnvollerweise besteht diese Arbeitsgruppe aus Mitgliedern des Einkaufs, der Entwicklung und Fertigung bis hin zum Vertrieb. Unterhalb dieser Design-Basis des Endproduktes (end-item) werden nun alle zu entwickelnden Items, wie das Getriebe oder die Kurbelwelle, hierarchisch in die Datenstruktur eingefügt und diesen wiederum alle erforderlichen Dokumente zugeordnet. Die Vollständigkeit einer jeden standardisierten Akte lässt sich darum sehr leicht kontrollieren. Diese physische Itemhierarchie (PIH) bildet damit die Basis für alle Design- und Prozessinformationen.
Diese müssen dann so fein unterteilt werden, dass jedes Dokument immer nur einen Eigentümer und einen Anwender besitzt. Darum wird z.B. der Schweißvorgang aus einer Fertigungszeichnung herausgenommen und in einem separaten Prozessdokument erfasst. „Mit dieser klaren, immer nur von zwei Schultern getragenen Verantwortung fallen 75–85% aller Änderungen unter die Rubrik Einfachänderungen und können damit sehr schnell ausgeführt werden“, beschreibt Guido Weischedel die Effizienz von CMII. Zusätzlich werden dadurch die zu erwartenden Kosten transparent.
Grundsätzlich durchläuft jede Änderung einen in sich geschlossenen Gesamtprozess. Dieser closed-loop change process umfasst alle Lifecycle-Phasen eines Produktes. Dadurch ist immer definiert, wer an welcher Stelle einbezogen werden muss. Mit diesen einheitlichen Standards liefert CMII die Basisprozesse für eine optimale Kommunikation im Unternehmen und mit den Zulieferern. Wirtschaftlichen Gesichtspunkten wird dabei eine bevorzugte Stellung eingeräumt, weil bei allen aufwändigeren Änderungen und Neuerungen die Geschäftsführung prinzipiell mit eingebunden ist. Ähnlich einem Verkehrspolizisten übernehmen dabei sogenannte Changeleader, also CMII-geschulte Änderungsspezialisten, die Regelung der Informationswege mit all ihren Kreuzungen und Abzweigungen. Dadurch wird der Weg frei vom so genannten Korrekturmodus zum kontinuierlichen Verbesserungsmodus.
„Ähnliche Standards finden sich natürlich auch später in der 0-Fehler-Methode oder beim Qualitätsmanagement wieder“, erklärt Thomas Schwartz, „während jedoch ISO 9000 lediglich vereinfacht formuliert: ‚Schreibe auf, was du tun willst und führe aus, was du aufgeschrieben hast‘, sagt uns CMII ganz konkret, wie man es zu dokumentieren und zu tun hat. Dadurch werden die Anforderungen etwa von ISO 9001 oder Six Sigma quasi nebenbei erfüllt.“
Der Einsatz von CMII ist mittlerweile bei Delphi Electronics und Safety zum allgemeinen Unternehmensstandard erklärt worden. Außerhalb Europas arbeiten inzwischen alle Standorte mit CMII, wobei natürlich der Durchdringungsgrad in den einzelnen Divisionen unterschiedlich weit fortgeschritten ist. Andererseits hat Delphi in den letzten Jahren in Europa weitere Unternehmen hinzugewonnen. CMII-Manager Mark Andrews sieht sich hier vor allem als Berater, der die Methode der jeweiligen Geschäftsleitung vorstellt, die Unterschiede zu anderen Verfahren herausarbeitet und natürlich die vorhandenen Abläufe analysiert. „Ich stelle dabei eigentlich keine schwierigen Fragen“, erklärt der Manager, wenn er sich wie bei einer kleinen Autoinspektion alle Änderungsprozesse offenlegen lässt. Welche und wie viele Änderungen laufen im Augenblick? Wie viele sind davon Notänderungen und wie viele dieser Abläufe sind aus dem Ruder gelaufen? „Ähnlich einer einfachen Ölkontrolle kann man so innerhalb weniger Stunden feststellen, ob ein Unternehmen seine Prozesse im Griff hat oder nicht.“
Pilotprojekte umfassen dann erst einmal ein begrenztes Produktspektrum. Mark Andrews sorgt aber dafür, dass sensible unternehmensspezifische Anforderungen sofort in die Abläufe eingearbeitet werden. Außerdem ist ihm wichtig, dass in dieser Startphase die Geschäftsleitung grundsätzlich in alle Änderungsprozesse eingebunden wird, quasi als wenn jeder Vorgang mit einem hohen Risiko verbunden wäre. „Denn nur so kann auch beim Top-Management das Bewusstsein geschaffen werden, welcher Aufwand und welche Kosten schon kleinste Änderungen nach sich ziehen können.“
Besonders für einen Global Player wie Delphi ist die effektive Zusammenarbeit mit Hilfe einer einheitlichen Änderungs-Sprache, einer lückenlosen Dokumentation und Versionierung aller Änderungsstände von großer Bedeutung. „Selbst wenn ich in Singapur anrufe – es gibt klare Spielregeln für alle beteiligten Personen. Man weiß sofort, wer in den Vorgang einbezogen werden muss“, ergänzt Mark Andrews, „… und einer Innovation steht dann nichts mehr im Wege.“
GfKM Gesellschaft für Konfigurationsmanagement, Stuttgart
QE 511

Gesellschaft für Konfigurationsmanagement.
Die Gesellschaft für Konfigurationsmanagement (GfKM – CMII Europe) mit Sitz in Stuttgart beschäftigt sich seit 1999 mit den Themen Konfigurations-, Anforderungs- und Änderungsmanagement. Dazu bietet das Unternehmen als Komplettlöser Beratungs-, Ausbildungs- und Zertifizierungsdienstleistungen an. Dies geschieht in enger Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Institute of Configuration Management (ICM) und einem Netz von Partnerfirmen.

Delphi Electronics und Safety
Die Delphi-Unternehmensgruppe, mit dem Hauptsitz in Troy.(Michigan/USA), ist z.Z. an ca.160 Standorten weltweit mit ca. 171000 Mitarbeitern vertreten. Zum Portfolio gehören Unternehmen wie megamos, FUBA, Texton (Frankreich), Grundig Automotive und die Dynamit Nobel AIS GmbH. Dabei umfasst das Produktspektrum z.B. im Bereich der Autoelektronik Receiver, Antennen und Lautsprecheranlagen.
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