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Prozessorientierung sichert Wettbewerbsfähigkeit

Qualitäts- und Prozessmanagerprofil am Beginn des 21. Jahrhunderts
Prozessorientierung sichert Wettbewerbsfähigkeit

Indem Unternehmen nach funktionsorientierten Prinzipien mit einer ausgeprägten Bürokratie und starren Abläufen hierarchisch geführt werden, gefährden sie ihre Veränderungs- und damit Überlebensfähigkeit. Abhilfe verspricht hier eine funktionierende Prozessorganisation, insbesondere das Zusammenspiel von strategischem und operativem Prozessmanagement.

Prof. Dr.-Ing. Hartmut F. Binner leitet die Prof. Binner Akademie in Hannover, www.prof-binner-akademie.de

1. Einleitung
In aktuellen Studien von Fachverbänden und in Beiträgen in Fachzeitschriften wird zurzeit darüber diskutiert, wie sich das Qualitätsmanagement am Anfang des 21. Jahrhunderts neu zu positionieren hat. Der stattgefundene Paradigmenwechsel in der Organisationsentwicklung von der Funktionsorientierung zur Prozessorientierung hatte im Jahr 2000 zur prozessorientierten Ausrichtung der DIN EN ISO 9001 geführt. Allerdings hat in vielen beziehungsweise in den meisten der Unternehmen noch keine konsequente Abkehr von der funktionsorientierten Struktur stattgefunden, so dass sich eine eindeutige Aufgabenabgrenzung des Qualitätsmanagers zu beispielsweise prozessverantwortlichen Projektmanagern oder auch zu anderen Führungspositionen im Unternehmen als sehr schwierig darstellt. Insbesondere auch deshalb, weil neue Berufsbilder des Organisators beispielsweise des Business Analyst oder des Change-Managers in Konkurrenz zu Qualitätsmanageraufgaben treten. Weiter ist dabei zu beachten, dass ein Qualitätsmanager, der etwa für die Anwendung des EFQM-Excellence-Ansatzes im Unternehmen zuständig ist, hier auch in einen Wettbewerb zur Geschäftsführung tritt, die für eine ganze Anzahl der EFQM-Befähiger- und -Ergebnis-Kriterien direkt Verantwortung trägt. Eine Entwicklung des neuen Qualitätsmanagement-Profils könnte deshalb in Richtung eines internen Beraters gehen, der seine spezifische QM-Kernkompetenz im Bereich von Audits und Assessments oder bei Fehlerursachenanalysen für das Unternehmen voll zur Anwendung bringt.
2. QM-Prozessmodellentwicklung
Um bei der Aufgabenzuordnung mit wenig Reibungsverlusten zu klaren Rollenprofilen mit eindeutigen Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten zu kommen, wird nachfolgend ein Organisationsgestaltungsansatz erläutert, der auf dem zweiten Organisationsgestaltungsparadigma – das heißt also der Prozessorientierung – aufsetzt. Am Anfang steht hierbei die Entwicklung eines unternehmensspezifischen Prozessmodells, in dem auf Hauptprozessebene die auch in der DIN EN ISO 9001 vorgegebenen Management-, Leistungs- und Unterstützungsprozesse definiert und dokumentiert sind. Die Prozessowner der Kern- oder Leistungsprozesse haben die Aufgabe, die Wertbeiträge durch die Erstellung der Produkte oder Dienstleistung zu erzeugen, die für das jeweilige Unternehmen den nachhaltigen Wettbewerbserfolg absichern. Hierbei sind sie im Tagesgeschäft bereits so ausgelastet, dass sie aus vielen einzelnen spezifischen Managementsystem-Sichten Unterstützung im Sinne eines Prozesscoachings benötigen. Dies beispielsweise auf dem Gebiet des Qualitäts-, Umwelt-, Verbesserungs-, Personal-, Gesundheits-, Arbeitsschutz- und IT-Managements sowie besonders beim Prozessmanagement. Für jedes dieser einzeln genannten Managementsysteme ist – wie Bild 1 zeigt – ein eigenes Prozessmodell zu definieren, das sich ebenfalls an den Führungs-, Durchführungs- und Unterstützungsprozessen orientiert, die notwendig sind, um die jeweilige Managementsystemanforderungssicht in den in dem übergeordneten unternehmensspezifischen Prozessmodell definierten Prozessen mit den dazugehörenden Prozessownern umzusetzen.
Das qualitätsmanagementspezifische Prozessmodell gibt einen Ordnungsrahmen vor, für welche Aktivitäten der Qualitätsmanager innerhalb seiner Führungs-, Durchführungs- und Unterstützungsprozesse verantwortlich ist, damit in allen Geschäftsprozessen des übergeordneten unternehmensspezifischen Geschäftsprozessmodells die Qualitätsanforderungen erfüllt werden. Hierbei besteht also eine klare Aufgabenabgrenzung zwischen Prozess-, Qualitätsmanagement- und IT-Management- oder Gesundheitsmanagement-Verantwortlichen. Alle spezifischen Management-Verantwortlichen – häufig auch als Beauftragte bezeichnet – müssen in enger Zusammenarbeit und mit Fokus auf den jeweils betrachteten Geschäftsprozess im Sinne einer Dienstleistungsfunktion den zuständigen Prozessowner dabei unterstützen, dass alle Regelanforderungen an den Prozess (den dieser Prozessowner zu verantworten hat) compliancegerecht ausgeführt werden.
3. Neue Rolle des Organisators
Von allen nachgeordneten Managementsystem-Prozessmodellen besitzen das Change- und das Prozess-Management als eigenständig zu implementierende Managementsysteme einen besonders hohen Stellenwert, weil sie für die Durchsetzung der Prozessorientierung die wichtigste Rolle spielen. Das Change-Management deckt die strategischen Vorgaben für das Erreichen der strategischen Beweglichkeit (mit der aktiven Weiterentwicklung zur lehrenden Organisation), das Prozess-Management die operative Umsetzung der strategischen Prozessvorgaben im Tagesgeschäft ab. Hierfür gibt es zwei neue Organisationsanforderungsprofile, wie sie in Bild 2 anhand des gezeigten ganzheitlichen Unternehmensmodells zu sehen sind. Mit den vier Modellsegmenten
  • Managementsegment (Führungsvorgaben),
  • Inputsegment (Eingaben),
  • Transformationssegment (Umsetzung) und
  • Outputsegment (Ausgaben)
bezieht sich das Change-Management aus strategischer Sicht auf das Führungssegment in diesem Modell, das Prozess-Management auf die Prozessgestaltungsoptimierung auf der operativen Ebene im Input-, Transformations- und Outputsegment. In gleicher Weise lässt sich auch das Organisatorenanforderungsprofil differenzieren.
Der strategische Organisator im Sinne von Business Analyst unterstützt die Unternehmens-Führung bei ihren strategischen Aufgaben in Bezug auf die Vorgaben der Strategie und -planung, der operative Organisator als Prozesscoach die Prozessowner bei der Prozessoptimierung nach Vorgaben der Business Analysts. Die Verwendung des ganzheitlichen Unternehmensmodells des kybernetischen Transformationsprozessmodells dient als Ordnungsrahmen einer ganzheitlichen prozessorientierten Organisationsentwicklung. Hierbei lassen sich eine große Anzahl von Analysen und Bewertungen aus der Inputsicht (Eingaben), Transformationssicht (Umsetzung), Outputsicht (Ausgaben) und der dazugehörenden Führungssicht (Vorgaben) in Bezug auf Ziele, Maßnahmen und Bewertungen über den PDCA-Verbesserungszyklus (Plan, Do, Check, Act) miteinander in Beziehung setzen beziehungsweise vernetzen.
Zur Unterstützung dieser Aufgaben steht ein neu entwickeltes webgestütztes Strategieanalyse und -diagnosetool zur Unternehmensnavigation und prozessorientierten Organisationsentwicklung auf Basis vernetzbarer Portfoliobewertungen zur Verfügung. Auswahl und Vernetzung der notwendigen Portfolios zur Unternehmensnavigation und prozessorientierten Organisationsentwicklung werden ebenfalls anhand der Struktur des in Bild 2 gezeigten ganzheitlichen Unternehmensmodells vorgenommen. Aus der Vielzahl der im Web-Strategie-Analyse- und-Diagnose-Tool hinterlegten Musterportfolios können etwa folgende Portfolios für die systematische Strategieentwicklung verwendet werden:
  • 1. Welches Geschäftsfeld ist am attraktivsten? (Geschäfts-Markt-Aktivitätsportfolio)
  • 2. Welche Anforderungen stellen die Kunden in diesem Geschäftsfeld? (Kundenanforderungsportfolio)
  • 3. Welche Erfolgsfaktoren/Potenziale gelten in dem ausgesuchten Marktsegment? (Erfolgsfaktor/Potenzial-Portfolio)
  • 4. Welche Strategien sollen zur Aktivierung der lokalisierten Erfolgsfaktoren/Potenziale Anwendung finden? (Strategieauswahlportfolio)
  • 5. Welche strategischen Ziele leiten sich daraus ab? (Ziele-Portfolio)
  • 6. Welche Hauptansatzpunkte (strategische Aktionen) sollten zur Strategieumsetzung ausgewählt werden? (Hauptansatzpunkte-Bewertungsportfolio)
Für die Unterstützung der Prozesscoachaufgaben auf der operativen Ebene schließen sich folgende Portfoliobewertungen an:
  • 1. In welchen Prozessen sollen diese Hauptansatzpunkte umgesetzt werden? (Prozessidentifikationsportfolio)
  • 2. Welche Einzelmaßnahmen und -methoden sollten innerhalb der definierten Hauptansatzpunkte und Prozesse eingesetzt werden? (Maßnahmenauswahlportfolio)
  • 3. Welche Zielsetzungen sollten pro Prozess durch die ausgewählten Maßnahmen und Methoden erreicht werden? (Prozesszielermittlungsportfolio)
  • 4. Welche Zielkennzahlen sind den Maßnahmen pro Prozess zuzuordnen? (Prozesskennzahlenauswahlportfolio)
  • 5. Sind die Prozessziele pro Maßnahme im betrachteten Prozess erfüllt worden? (Prozesszielbewertungsportfolio)
  • 6. Hat eine erfolgreiche Strategieumsetzung stattgefunden? (Strategieumsetzungsbewertungsportfolio)
4. Prozessorientierte Organisationsentwicklung
Entscheidend für die Durchsetzung der beiden oben erläuterten neuen Rollen eines eher strategiebezogenen Aufgabenfeldes (Business Analyst) und eines mehr prozessumsetzungsbezogenen Anforderungsprofils (Prozesscoach) ist es, dass von der Führung ein klares Bekenntnis zur Prozessorientierung existiert und dass sich die funktionsbezogene vorhandene Aufbauorganisation an der eingeführten Prozessorganisation orientiert – das heißt, dass der Hauptabteilungsleiter oder Abteilungsleiter jeweils gleichzeitig auch die Hauptprozess- oder Teilprozessverantwortlichkeiten beziehungsweise -ownerschaft besitzt.
Hier darf also keinesfalls eine doppelgleisige Führungsstruktur entstehen. Der Qualitätsmanager kann sich innerhalb dieser Strukturen voll auf seine Qualitätsmanagementziele und -aufgaben konzentrieren, muss aber entsprechend der Anforderungen seines Qualitätsmanagementinputs variieren und anpassen. Natürlich sollte er hierbei auch versuchen, eine Methodenstandardisierung einzuführen, damit nicht in jedem Geschäftsprozess unterschiedliche Qualitätsverfahren Anwendung finden. Auf diese Weise kann er entscheidend mit dazu beitragen, dass der Schlüssel-Prozessowner durch fehlerfreie und verschwendungsfreie Prozessdurchführungen die übergeordneten Effizienz- und Effektivitätszielsetzungen erreicht. Gleichzeitig sorgt der Prozesscoach in Zusammenarbeit mit dem Qualitätsmanager und IT-Manager dafür, dass der Prozessverantwortliche die Unterstützung erhält, seine ökonomisch geprägten Prozessziele zu erreichen. In einem Handelsunternehmen wurde dieses Konzept erfolgreich umsetzt, Bild 3 zeigt die Zuordnung der Aufgabenfelder zu Business Analyst sowie TQM-, IT- und Prozesscoach als Unterstützung der Prozessverantwortlichen. Durch die Einführung von Quality-Gates mit definierten Freigabeprozeduren wird sichergestellt, dass der Hauptprozessverantwortliche für einen definierten Geschäftsprozess ein untereinander abgestimmtes Unterstützungskonzept vom Business Analyst sowie dem Prozess-, TQM- und IT-Coach erhält.
5. Zusammenfassung
Nach wie vor werden viel zu viele Unternehmen in Deutschland nach funktionsorientierten Unternehmensführungsprinzipien mit einer ausgeprägten Bürokratie und starren Abläufen hierarchisch geführt. Die Folge ist, dass aufgrund des dynamischen Wandels auf den Märkten die notwendige Veränderungsfähigkeit innerhalb der Organisationsstrukturen nicht gewährleistet ist und dass deshalb große Probleme hinsichtlich der weiteren Überlebensfähigkeit dieser Unternehmen bestehen.
Eine hohe Anpassungsgeschwindigkeit an die sich ständig wandelnden Umfeldbedingungen im Kundenverhalten auf den Märkten oder bei Wettbewerbern über eine funktionierende Prozessorganisation ist überlebensnotwendig und gleichzeitig eine permanente Aufgabenstellung, die systematisch und strukturiert vom Management erledigt werden muss, um zu überleben. Der nachhaltige Erfolg eines Unternehmens hängt entscheidend vom diesem Zusammenspiel zwischen strategischem und operativem Prozessmanagement ab. Business Analyst und Prozessorganisator müssen gut harmonieren, um damit die Lern- und Wandlungsfähigkeit der Unternehmen zu garantieren und die Prozessverantwortlichen optimal bei der Erfüllung der Prozessziele zu unterstützen.
Literatur
Binner, H. F.: Handbuch der prozessorientierten Arbeitsorganisation. 3. Auflage. Carl Hanser Verlag München Wien 2008. Copyright REFA Bundesverband e. V. Darmstadt. 1035 Seiten (broschiert, Preis: 49,90 Euro). ISBN 3-446-40395-7.
Binner, H. F.: Prozessmanagement von A bis Z. 1. Auflage, Carl Hanser Verlag München, 2009. Circa 500 Seiten (broschiert, Preis: 39,90 Euro). Erscheinungstermin Mai 2009. ISBN 978-3-446-41795-3.
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