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Re-Engineering im Qualitätsmanagement

Kundenorientierung
Re-Engineering im Qualitätsmanagement

Trotz des offensichtlich gestiegenen Qualitätsbewusstseins in der deutschen Unternehmenslandschaft hat sich hinsichtlich einer ernst gemeinten Kundenorientierung noch nicht viel getan. Die eigentliche Qualitätsphilosophie ist in den zehn Jahren seit Einführung der 9000er Normenreihe oft auf der Strecke geblieben. Wer sein QM-System wirklich nutzen möchte, sollte sich deshalb dem Re-Engineering widmen.

Dr. rer. pol. Martin-Niels Däfler, Selbständiger Unternehmensberater, Würzburg

Blickt man kritisch in die deutsche Unternehmenslandschaft, so erkennt man, dass sich trotz eines offensichtlich in den letzten Jahren gestiegenen Bewusstseins, immer noch nicht allzu viel hinsichtlich einer ernstgemeinten Kundenorientierung getan hat. Es bestreiten heute zwar nur noch wenige, dass ein funktionierendes Qualitätsmanagement-System eine wichtige Voraussetzung für das Erreichen für eine hohe Kundenzufriedenheit und damit Basis für das Bestehen im globalen Wettbewerb ist, doch die seit 1987 nach DIN ISO 9000 ff. aufgebauten Systeme haben wenig dazu beigetragen, den Qualitätsgedanken wirklich in den Betrieben zu verankern. Natürlich: Abläufe wurden detailliert beschrieben, Verantwortliche und deren Stellvertreter benannt, Arbeitsanweisungen en masse erstellt und sämtliche Prüfmittel in Datenbanken erfasst. Aber die eigentliche Qualitätsphilosophie ist bei all‘ dem Formalismus und Bürokratismus häufig auf der Strecke geblieben! Was über zehn Jahre nach Einführung der Normenreihe und kurz vor der Komplettüberarbeitung der 9000er Familie not tut, ist eine Rückbesinnung auf die ursprünglich angestrebten Ziele und eine radikale Überarbeitung der etablierten Systeme! Wer wirklich sein QM-System nutzen möchte, der muss jetzt anfangen, ein Re-Engineering zu betreiben.
Rückbesinnung auf die Qualitätsdefinition
Es gibt sie, die Idealisten, die die internationale Normenreihe DIN ISO 9000 ff aus „Überzeugung“ einführen, weil sie darin ein erhebliches Verbesserungspotential für ihre Firma erkennen. Doch Lippenbekenntnisse gleichen Inhalts hört man hingegen wesentlich häufiger. Ernsthaft nachgefragt, muss man leider im Regelfall immer wieder erfahren, dass der Kunden- oder Marktdruck das eigentliche auslösende Motiv war. Das ist für sich betrachtet auch nicht zu verurteilen, denn Unternehmen sind nun einmal gewissen Zwängen ausgesetzt. Beklagenswert ist die Vorgehensweise bei der Einführung und Nutzung der QM-Systeme. Alle (formalen) Erfordernisse der 20 Elemente werden zwar voll erfüllt, doch eine Hinterfragung der von der Norm intentierten Ziele findet nicht statt. Dabei ist es doch so einfach: Es geht darum, alle explizit geäußerten und implizit vorausgesetzten Kundenanforderungen zu erfüllen. Nichts anderes bedeutet ja Qualität. Wer aber hat sich jemals ernsthaft hingesetzt und versucht, alle (übergreifenden) Kundenanforderungen aufzulisten? Wer ist sogar noch einen Schritt weitergegangen und hat festgestellt, dass es außer den Kunden noch weitere Interessensgruppen gibt, die genauso berechtigte Anliegen haben und die über eine Vielzahl von Anforderungen verfügen?
Es darf angenommen werden, dass nur wenige Betriebe diese beiden Fragen mit einem deutlichen „ja“ beantworten können. Die Praxis spricht ein klares Wort! Sowohl aufgrund der Unkenntnis der Verantwortlichen in den Betrieben, als auch wegen des Unverständnisses der häufig selbst ernannten „Qualitätsberater“ wurden und werden die Absichten und Anforderungen der DIN ISO 9001 fehlinterpretiert. In der Folge kommt es zu „aufgeblähten“, starren und ineffizienten Systemen, die sich vornehmlich mit sich selbst beschäftigen und für den betroffenen Betrieb eher Ballast als Motor darstellen. Eine Orientierung an den wirklich bedeutsamen Unternehmens- und Qualitätszielen wird durch diese Systeme nicht mehr unterstützt. Folglich besteht der erste Schritt beim Re-Engineering des eigenen QM-Systems in der bewussten Auseinandersetzung mit dem Thema „Kundenanforderungen“. Es gilt gemeinsam mit den Mitarbeitern und zunächst vollkommen losgelöst von der Norm zu versuchen, eine möglichst umfassende Liste aller Kundenwünsche zu erarbeiten!
Prozessorientierung ist keine Modeerscheinung
Erst wenn eine solche Aufstellung vorliegt, geht es daran, das vorhandene System anzupassen. Es muss nun hinterfragt werden, inwiefern das existierende System die einzelnen Kundenanforderungen erfüllt. Dies erfordert vielfach eine neue Struktur. Grundsätzlich decken zwar alle Normelemente die wichtigsten Aufgaben ab, doch oft können sich die Mitarbeiter mit der zwanziggliedrigen oftmals nicht ganz nachvollziehbaren Unterteilung nicht so recht anfreunden. Aus diesem Grunde wird auch die für das Jahr 2000 anstehende Revision der Normenfamilie voraussichtlich eine prozessorientierte Gliederung verwenden. Es steht aber auch schon heute allen Unternehmen frei, sich von der „konventionellen“ Form zu lösen und einen eigenen Aufbau zu wählen (Es muss dann lediglich eine Matrix vorgelegt werden, aus der der Zusammenhang zwischen den Normelementen und der eigenen Gliederung hervorgeht).
Hat man die Kernprozesse des Unternehmens aufgelistet, zum Beispiel in Entwicklung, Vertrieb, Beschaffung, Produktion, verwaltungstechnische Auftragsabwicklung und
Lagerung/Versand, müssen die zuvor erarbeiteten Kundenanforderungen damit in einen sinnvollen Zusammenhang gebracht werden (Abbildung 1). Auf dieser Basis kann der Verantwortliche dann prüfen, ob die einzelnen Abläufe tatsächlich dazu beitragen, die spezifischen Anforderungen zu erfüllen. Wo dies nicht der Fall ist, hat das bisherige System versagt und es müssen neue Lösungen gefunden werden.
Ballast über Bord werfen
Ein QM-System wird mühsam aufgebaut und in den Folgejahren „perfektioniert“. Immer mehr Formulare, Arbeits- und Verfahrensanweisungen werden erstellt und immer größer wird der Papierverbrauch der Abteilung „Qualitätsmanagement“. Je mehr Papier aber beschrieben wird, desto mehr wächst auch die Frustration bei der Belegschaft. Nächster Schritt ist also das „Ausmisten“ auf der zweiten, dritten und vierten Ebene der QM-Dokumentation.
Wie auch beim Grundkonzept des Re-Engineering sollte bei der Neugestaltung des QM-Systems der Einsatz der modernen Informations- und Kommunikationstechnologien eine wesentliche Rolle spielen. Insbesondere bereits eingeführte Intranets lassen sich für „Qualitätszwecke“ hervorragend nutzen.
Die Ursache für die gerade beschriebene „Dokumentationswut“ dürfte wohl darin liegen, dass eine möglichst vollständige Erfüllung der Normvorschriften angestrebt wird. Die DIN ISO 9000-Normenfamilie fordert aber keine übermäßige Dokumentation. Es kommt lediglich darauf an, alle qualitätskritischen Verfahren so zu beschreiben, dass Fehler weitestgehend ausgeschlossen werden. Der Kenntnisstand der von den einzelnen Prozessen/Arbeitsschritten Betroffenen darf dabei durchaus als „normal“ angenommen werden. So ist es absolut überflüssig, in Prozeduren festzulegen, dass der Computer „am Knopf rechts oben“ eingeschaltet wird. Auch ist es weder sinnvoll, noch fordert es die Norm, Arbeitsanweisungen für Routinetätigkeiten zu erstellen, die jeder Geselle beherrscht. Es gilt also, „überflüssige“ Prozeduren zu eleminieren, zu detaillierte Richtlinien zu kürzen und „verwandte“ Vorschriften zusammenzufassen.
Neben einer inhaltlichen Überarbeitung der Prozesse im QM-Handbuch sowie der Verfahrens- und Arbeitsanweisungen, sollte aber auch über eine benutzerorientiertere Darstellung nachgedacht werden. Wo immer möglich, sollte der konventionelle Fließtext durch ein Flussdiagramm ersetzt werden. Die Norm verlangt an keiner Stelle, dass ein Kapitel im QM-Handbuch mindestens 15 Seiten umfassen muss. Es gibt voll isokonforme Handbücher, die pro Element nicht mehr als zwei Seiten brauchen. Je kürzer, desto besser (und desto höher die Chance, dass die Betroffenen diese Unterlage auch tatsächlich lesen und verstehen).
Neue Informationstechnologien nutzen
Bei der Neugestaltung sollte auch über die Verwendung der modernen Technologien nachgedacht werden. So bietet sich in hohem Maße eine Zurverfügungstellung der einzelnen Prozeduren im Intranet an. Alle bisher auf Papier vorhandenen Richtlinien sollten also durch elektronische Dateien ersetzt werden. Diese „Umwandlung“ ist unter Kostengesichtspunkten äußerst vorteilhaft, denn das Vervielfältigen und Verteilen der neuen Dokumente sowie das Einziehen und Vernichten von alten Dokumenten ist ein zeit- und damit kostenraubender Prozess. Zudem werden die neuen Dokumente zwar an die relevanten Empfänger verteilt, diese heften aber die entsprechenden Anweisungen lediglich im Ordner vorne und nicht an ihrer richtigen Stelle ein. Weiter hinten findet sich dann immer noch die alte Version, während sich vorne allmählich sämtliche neuen Dokumente strukturlos ansammeln.
Die Ablage der Dokumente als HTML-Datei ermöglicht außerdem eine optisch ansprechendere Darstellung (Skizzen können zum Beispiel durch Farbfotos ersetzt werden). Auch dies ist ein Schritt zu mehr Akzeptanz des QM-Systems bei den Mitarbeitern und damit zu einer höheren Benutzerorientierung. Selbstverständlich müssen bei einem intranetbasierten QM-System auch die Anforderungen des QM-Elementes fünf (Dokumentation) berücksichtigt werden: Änderungen an den Dokumenten dürfen nur durch autorisierte Personen vorgenommen werden: Ein Passwortschutz muss garantieren, dass nur Befugte Änderungen vornehmen können.
Auch der Revisionsstatus muss deutlich erkennbar und sämtliche alte Versionen müssen jederzeit abrufbar sein. Bei einem solchen System werden die jeweils betroffenen Mitarbeiter durch eine E-Mail über vorgenommene Änderungen an Dokumenten informiert. Zeitintensive manuelle Austauschaktionen sind nunmehr entbehrlich. Erfahrungen aus anderen Projekten zeigen, dass solche konzipierte, intranetgestützte Dokumentenablage den Aufwand für die Pflege der QM-Dokumentation insgesamt um bis zu 75 Prozent reduzieren kann.
Frühjahrsputz ist erst der Anfang
Auch wenn sich durch ein Re-Engineering erhebliche Effizienz- und Effektivitätsfortschritte realisieren lassen, so stellen diese Aktivitäten doch nur den Anfang bei einer wirklich innovativen Nutzung des QM-Systems dar. Zwei Themengebiete seien den Unternehmern ins Hausaufgabenbuch geschrieben:
Erstens wird es zukünftig vor allem darauf ankommen, die zur Verfügung stehenden Technologien auch innovativ einzusetzen. Über das reine „Handling“ von Dokumenten und Aufzeichnungen hinaus müssen kreative Wege gefunden werden, um nicht nur klassisches Qualitätsmanagement zu betreiben, sondern auch den eigenen Betrieb kontinuierlich zu verbessern. Analog zur Forderung des QM-Elements 14 (Korrektur- und Vorbeugemaßnahmen) müssen Verfahren etabliert werden, die es erlauben, die Entwicklung von Organisation und Information(sverarbeitung) zu integrieren und sukzessive weiterzuentwickeln. So wird ein bedeutsames Anwendungsfeld der IT, Bereich QM im Aufbau einer Datenbank zur Sammlung des organisationsspezifischen Wissens liegen. Ganz im Sinne des „Knowledge Managements“ wird es darum gehen müssen, das Wissen „aus den Köpfen der Mitarbeiter“ in eine wie auch immer strukturierte Datenbank zu überführen, die es dann allen Unternehmensmitgliedern erlaubt, voneinander zu lernen und das erlangte Wissen dauerhaft zu speichern.
Zweitens müssen sich weitsichtige Unternehmenslenker auch mit den Wünschen anderer Gruppierungen auseinandersetzen. Wie bereits in der Einleitung angedeutet, existieren noch weitere Interessensgruppen (neudeutsch: Stakeholder), die Bedürfnisse und Wünsche haben. Vertritt man die These, dass es einem Betrieb nur dann gut gehen kann, wenn es auch seinem Umfeld gut geht (und diese These muss man vertreten), dann ergeben sich ganz neue Aufgaben. Es gilt dann nämlich, neben den Kundenwünschen auch die Erfordernisse der restlichen Gruppierungen zu erfassen und zu erfüllen (Abbildung 3). Analog zur hier geschilderten Vorgehensweise müssen die spezifischen Anforderungen den einzelnen Prozessen gegenübergestellt und Verfahren etabliert werden, die wirklich alle Wünsche befriedigen.
Die Kriterien des „Ludwig-Erhard-Preises“, des „Europäischen Qualitätspreises“ und des Malcolm-Bladrige National Quality Awards zeigen schon heute, „wohin die Reise geht“: Unternehmen werden zukünftig nicht mehr nur an ihrer Kundenorientierung gemessen werden, sondern auch an ihrer Fähigkeit, einen Beitrag für ihr Umfeld (Lieferanten, Gesellschaft und Umwelt) zu leisten. Leider erreicht die Mehrzahl der (deutschen) Betriebe aber nicht einmal in der grundlegenden Disziplin „Kundenzufriedenheit“ befriedigende Noten.
Literatur:
– Re-Engineering im Qualitätsmanagement 1.0, Dr. Martin-Niels Däfler 1999,
– Besser geht’s im Intranet, in: Qualität & Zuverlässigkeit, 43. Jg. (1998), H. 6, S. 699 – 702, Ahrens, Volker,
– ISONet Paperless Quality Documentation System Cuts Control and Maintenance Time by 75%, in: Quality Progress, Vol. 31 (1998), H. 12, S. 112, Baxter, Rod,
– Wie attraktiv ist mein Unternehmen?, Verlag Frankfurter Allgemeine Zeitung, Frankfurt/Main 1999, Däfler, Martin-Niels.
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