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Rückwärts in die Zukunft? US-Quality Trends

55. Jahreskongress der American Society for Quality
Rückwärts in die Zukunft? US-Quality Trends

Der diesjährige 55. Jahreskongress der American Society for Quality (ASQ) bereitete den Teilnehmern mit Vorträgen von Dr. Joseph Duran, Philip B. Crosby und Dr. Armand Feigenbaum, drei wichtigen Gurus im Feld kontiniuierlicher Verbesserung und umfassender Qualitätsinitiativen, eindrucksvolle Erinnerungsmomente und vielleicht Übergewichtsprobleme beim Heimflug: Allein Durans Klassiker, das Handbook on Quality Management, bringt mindestens zwei Kilo auf die Waage.

Birgit Otto, BSc, MA BO Consult, Business Excellence Moderation, Ostfildern

Warum der Blick zurück? Bei aller Nostalgie machte insbesondere Arnand Feigenbaum in seinem eindrücklichen Vortrag zu Beginn des zweiten Konferenztages klar, wie sinnvoll dieser Blick zurück auch für die Zukunft ist: „Als wir unsere Qualitätsreise in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts begannen, ging es uns insbesondere um die Verbindung von Wertanalyse und Kundenerwartung sowie deren Übertragung in einwandfreie Produkte und Prozesse. Über die Jahre richtete sich das Augenmerk der Qualitätsfachleute jedoch sehr einseitig auf die Verbesserung der Produktionsprozesse. Im Zuge der radikalen Veränderungen unseres Wirtschaftssystems durch die Digitalisierung sind alle Organisationen gezwungen, die Leistungen für ihre Kunden (value propositions) völlig neu zu definieren. Das bringt sie zurück zu Gedanken, die uns schon in den 50er Jahren wichtig waren.“
Kosten-reduzierung allein sinnlos
Feigenbaum warnte vehement vor einer Strategie reiner Kostenreduzierung ohne wirkliche Prozess-verbesserung im Kern des Leistungsspektrums. „Das Fatale einer solchen Strategie ist nicht zuletzt, dass sich Unternehmen, die den Schwerpunkt auf Kostenminimierung legen, so weit von ihren Kunden und deren Wünschen entfernen, dass sie deren Signale nicht mehr oder nicht schnell genug aufnehmen, um auf den brutal fordernden Märkten zu bestehen.“
Time is money
Nicht ohne eine gewisse Ironie definierte Feigenbaum Murphy’s Law für die Wirtschaftswelt des 21. Jahrhunderts neu: „Any company that can be struck by powerful global competition will be – be it in a couple of months or even weeks!“
Er setzte damit ein Signal, das sich wie ein roter Faden durch den AQC zog: Angesichts rapide reduzierter Entwicklungs- und Produktlebenszeiten bei ständig wechselnden Kundenwünschen wird Qualität mehr denn je zu einem strategischen Faktor. Es geht darum, immer anspruchsvollere Produkte und Leistungen in einer nie dagewesenen Geschwindigkeit und auf den Punkt genau marktreif zu machen, da die moderne Technologie, die weltweite Vernetzung und die unglaubliche Reisegeschwindigkeit für jede Art von Information die Zeit, in der man durch einen Wettbewerbsvorteil mit einem neuen Produkt Gewinn erzielt, von Jahren zu Monaten und in manchen Branchen sogar Wochen schrumpft.
Kunde und Ingenieur Hand in Hand: Das Marketing bleibt auf der Strecke
Die Digitalisierung verändert die Art, wie Business funktioniert: Die Beschaffung über das Internet sowohl durch institutionelle als auch private Einkäufer steigt. Das hat direkte Auswirkungen auf die klassische Dreiteilung: Kunde, Marketing, Produktion. Das Marketing findet sich zunehmend eingequetscht zwischen Konsumenten, die mit einem Produzenten in direktem Kontakt stehen, wie auch die klassische Funktion des Verkaufs unter Beschuss gerät, weil der Kunde durch die Online-Beschaffung den Fahrersitz übernimmt. Besonders klar wurde dies in einem Vortrag über die kanadische Provinz Manitoba: „Kurz gesagt bedeutet die Digitalisierung unserer gesamten kommunalen Leistungen nichts anderes,“ so Curtis Clark „als dass unsere Kunden, die Bürger Manitobas, über das Netz jederzeit Leistungen anfordern können, ohne dass sie an die Struktur unserer Organsiation oder unsere Hierarchien auch nur einen Gedanken verschwenden müssen.“ Für Qualitätsfachleute liegt also die Zukunft (und ihr Job) darin, Qualität in alle Prozesse, besonders jedoch die zwischen der Organisation und ihren Kunden, zu installieren. Viele Werkzeuge und Methoden sind seit Jahren bekannt. Es wird in der Zukunft darauf ankommen, sie gezielt zur Verbesserung insbesondere der ersten Teile der Kundenfunktion (Design) einzusetzen. Keine Organisation hat heute die Zeit, Fehler in der Produktionsphase auszumerzen. Unter diesem Aspekt erklärt sich auch der enorme Reiz der Six Sigma Methode, bei der durch eine klare Form der Analyse mit einem Satz von statistischen Werkzeugen unter Zeitdruck und mit dem Ziel deutlicher finanzieller Erfolge in einer Organisation Prozessverbesserungsprojekte durchgeführt werden.
Der Kongress war voll von Beratungsangeboten, Vorträgen und wirklich eindrucksvollen ersten Erfolgsgeschichten für Six Sigma Projekte.
Was also auf den ersten Blick aussieht wie ein Schritt zurück in die Anfänge der TQM-Bewegung, erweist sich als konsequenter erster Schritt, durch den Qualität nach der Neuausrichtung aller Organisationen auf die digitale Wirtschaftsweise in einem umfassenden Sinn als zentrale Managementfunktion verstanden wird.
Mit dem zunehmenden Verständnis, dass der wahre Wert eines Unternehmens mindestens genauso wenn nicht mehr in den „Intangible Assets“ wie den Menschen und ihrem Wissen, im Markennamen oder Image verborgen ist, wendet sich die Aufmerksamkeit de Managements zunehmend der Qualität der unsichtbaren Prozesse zu. Für Qualitätsfachleute ist dies Chance und Herausforderung zugleich. Die Funktion und ihre Aufgabe lässt sich aus der Anbindung an die Produktion, erfordert aber in Zukunft in weit höherem Mass als bisher umfassendes, kaufmännisches Wissen über die berühmte „bottom-line.“
Die ASQ und ihre Mitglieder
Der Annual Quality Congress (AQC) machte deutlich, dass sich auch der Verband der Qualitätsfachleute verändern muss, wenn sich die Anforderungen an seine Mitglieder ändern: Wie viele ihrer Gegenstücke in anderen Ländern ist die American Society for Quality (ASQ) hin und her gerissen zwischen traditioneller Aufgabe als Standesvertreterin amerikanischer „Quality People“ und geldbringenden, internationalen Geschäftsmöglichkeiten wie Trainings, Internet Self-Learning Tools und Zertifizierungen. Die heftige Debatte, die die enge Zusammenarbeit der ASQ mit einem professionellen Trainingsanbieter zum Thema Six Sigma im vergangenen Jahr hervorgerufen hatte, war ein sichtbares Zeichen dafür, dass ASQ-Mitglieder ein Forum zum Austausch von Ideen, zum Anbieten von Produkten und Leistungen wie Beratung, Software oder Zertifizierungen erwarten von einer Gesellschaft, die ihr langriftig aufgebautes Ansehen und ihre Neutralität nicht kurzfristig angesichts eigener Geschäftsinteressen in Frage stellt. ASQ trat mit einer kleinen Pressemitteilung im Mitgliedermagazin Quality Progress noch vor Beginn der Jahrestagung den Rückzug an und informierte ihre Mitglieder über das Ende der Partnerschaft mit den Beratern um den Texaner Dr. Michel Harry. Diesen Vorgang sollten auch die in Deutschland zunehmend unter Druck zur Professionalisierung ihrer Angebote geratenden Non-Profit Organisationen kritisch verfolgen.
You can’t have the cake and eat it, heisst es im Englischen. Wer gemeinnützig ist, kann keinen Gewinn machen und sollte sich der Auswirkungen auf seine Kunden bewusst sein, wenn er daran geht, Effektivität und Effizienz des eigenen Tuns zu steigern.
Neue Leute – alte Methoden
Die Welt wird auch für die ASQ bunter: Die traditionelle Basis der Qualitätsmanager aus der Industrie wird zunehmend ersetzt durch Personen aus dem Dienstleistungssektor. Hier sind besonders das Gesundheitswesen und die öffentliche Verwaltung zu nennen. Das bedeutet nicht nur einen erhöhten Frauenanteil beim Jahreskongress in Charlotte, sondern stellt auch Anforderungen an die Strategie der Gesellschaft.
Die Budgets dieser Branchen sind im allgemeinen geringer als in der Industrie, die Angebote des ASQ müssen entsprechend angepasst werden. Zugleich ist ein deutlicher Unterschied im Ausbildungsstand zwischen den alten Qualtitätshasen und den neu hinzugekommenen Kollegen zu beobachten, was Team- und Qualitätstechniken angeht. Im Grunde schon seit vielen Jahrzehnten bekannte Q-Konzepte wiederholen sich mit schöner Regelmässigkeit alle 5 bis 6 Jahre unter einem anderen Namen, weil erstens jedermann mit der Mode gehen und immer wieder etwas Neues „anziehen“ will und zweitens, weil immer wieder neue Leute dazukommen. Die Dinge an sich sind also selten neu. Neu sind die Menschen, die sie zum ersten Mal hören.
Eines wurde auch in diesem Kongress wieder deutlich: noch so gute Ideen benötigen eine fruchtbare Erde, in der der Samen aufgehen kann: Was vor über 60 Jahren erdacht, geschrieben und entwickelt wurde, erweist sich erst jetzt, in der globalen Internetwirtschaft als veritable Managementmethode, um wettbewerbsfähige Organisationen zu schaffen und die Produktivitätssteigerungen zu erzielen, die zum Erhalt unseres Lebensstandards notwendig sind.
World Partner Programme
1997 setzte sich die American Society for Quality zum Ziel, mit anderen Qualitätsvereinigungen weltweit zusammenzuarbeiten. Drei Jahre später – und um einige Erfahrungen über die Komplexität internationaler Beziehungen reicher- wurden mit Finnland, Irland, Honkong, Israel, Japan und Brasilien Verträge zur intensiveren Zusammenarbeit unterzeichnet. In Deutschland ist man noch auf Partnersuche. Es wäre schön, wenn sich auch hier eine fruchtbare internationale Allianz ergäbe, durch die deutsche Qualitätsexperten den internationalen Austausch pflegen könnten. Das würde dem Exportweltmeister gut anstehen. Die in Charlotte anwesende internationale Gemeinde (200 der etwa 4000 Teilnehmer) umfasste 30 Nationen. Der Austausch war lebendig, mit Händen und Füssen und in allen möglichen Sprachen: a learning experience for all of us. Was alle verband, war die Sprache der Qualität.
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