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Smartes Start–up

Dem Team berichten statt im Team besprechen
Smartes Start–up

Automobilzulieferer PVT bewältigt Start-up Situation durch konsequentes Umsetzungsmanagement mit Hilfe der Six Sigma Methode – Willen und Verständnis der Mitarbeiter für den Wettbewerb als Voraussetzung – externes Fachwissen ist unabdingbar – Vorgehen auch im mittelständischen Unternehmen machbar – messbare Erfolge in nur acht Monaten.

Birgit Otto, BSc, MA BO Consult, Business Excellence Moderation, Ostfildern

Es lief gut an mit der PVT, der Plastverarbeitung Thüringen GmbH in Ohrdruf: Mit der Gründung 1999 lagen bereits erste Kundenaufträge vor. Das schlüsselfertig gebaute Betriebsgebäude war übergeben. Der Geschäftsplan stand. Die drei Kernprozesse waren klar beschrieben und im neuen Gebäude auch räumlich umgesetzt. Die Gesellschafter setzten ein klares Ziel: Gewinn.
Bald setzten die Kunden Vertrauen in den Neuling und erteilten weitere Aufträge zur Herstellung von Handschuhfachkästen und ähnlich komplexen Produkten im Sichtbereich von Luxuskarossen von Mercedes, BMW oder Audi. „Unsere Fabrikate sind alle einer ganz besonderen Qualitätskontrolle unterworfen,“ erläutert uns PVT-Geschäftsführer Wolfgang Kraßnitzer beim Rundgang durch die Produktion und zeigt lachend auf die „Vorstandsecke“ zwischen versenkbarem Kaffeehalter, Handschuhfach und Navigationssystem. „An dieser Ecke treffen die Erzeugnisse verschiedener Lieferanten aufeinander, mit Toleranzen im Millimeterbereich.“
Die Herausforderung bestand in der Koordination neuer Produktanläufe mit dem Start von Serienfertigungen und dem gleichzeitigen Aufbau des Unternehmens. „Eigentlich ist das ja eine schöne Situation,“ sagt Kraßnitzer, ein erfahrener Automobilmanager. „aber irgendwann fiel mir auf, dass wir ellenlange Besprechungen führten, bei denen stets nur zu 80 Prozent erfüllte To-Do-Listen im Mittelpunkt standen, und wir nicht wirklich voran kamen.“ Zu diesem Zeitpunkt legte ein Kunde durch die Erhöhung seiner Bedarfe noch ein paar Kohlen im Feuer nach. Die Lokomotive PVT kam mächtig ins Rollen, aber man musste etwas unternehmen, damit sie auch das richtige Ziel erreichte.
Am Willen der Mitarbeiter lag es nicht. Das war klar. Wie aber konnte man sie auf gemeinsame Ziele einnorden? Als erfahrener Krisenmanager erkannte Kraßnitzer, dass hohler Motivationspep bei einer Mannschaft, die zu 75% aus der Arbeitslosigkeit kam und von denen jeder Zweite mindestens eine Pleite in seinem Berufsleben miterlebt hatte, nur kontraproduktiv wäre. Konzept und Umsetzung mussten überzeugen.
Der Geschäftsführer entschloss sich zur Zusammenarbeit mit der Beratungsgesellschaft Celerant Consulting, die sich in internationalen Projekten einen Namen als Berater für Operational Strategy und als Experte für Six Sigma gemacht hat.
Die Entscheidung fiel nicht leicht. „Ganz ehrlich, als die Berater ihr Konzept präsentierten, schüttelten wir schon die Köpfe und fragten uns: Das wollen die wirklich alles machen: trainieren, analysieren und coachen und das über acht Monate mit bis zu fünf Mann?“ Auch das Preisschild war nicht von schlechten Eltern: Fast 5 Prozent des Jahresumsatzes 2000. Da im Angebot aber messbare Ziele genannt waren, von deren Erreichung die Entlohnung der Berater abhing, und Meilensteine terminiert waren, an denen PVT die Zusammenarbeit sofort abbrechen konnte, falls die Ziele verfehlt wurden, blieb das Risiko kalkulierbar. Der Bayer in Thüringen wagte es. Es hat sich mehr als bezahlt gemacht. Die Projektkosten hatten sich durch Einsparungen aus 6S-Projekten bereits mit Abschluss des Beratungsprojekts amortisiert. Viel wichtiger sei aber die Veränderung der gesamten Unternehmenskultur, betont Kraßnitzer und lehnt sich souverän zurück, „Wir reden heute nur noch von Performance. Mit Six Sigma sprechen wir heute eine einheitliche Sprache und haben einen gemeinsamen Werkzeugkasten, aus dem wir je nach Bedarf unsere Werkzeuge herausziehen, um unserer Prozesse permanent zu verbessern.“
Bei PVT haben alle verstanden, dass man am Markt und bei mächtigen OEM-Kunden nur bestehen wird, wenn man ständig wachsam ist und Produkte und Prozesse kompromisslos verbessert – und zwar als Team. Verschmitzt deutet Kraßnitzer das Kürzel PVT um: P = Produkte, V = Verbesserung und T = Team.
„Meine Aufgabe als Geschäftführer ist viel einfacher geworden. Ich kann mich auf meine eigentliche Aufgabe konzentrieren, Außenkontakte mit Kunden und Lieferanten pflegen und Aufträge für die Zukunft sichern. Meine Mitarbeiter wissen genau, dass das Tagesgeschäft in ihren Händen liegt. Nun haben sie das Wissen und die Werkzeuge dazu, um die dort anfallenden Probleme als Team zu lösen.“ Die „Zauberformel“ heißt Six Sigma, altbekannt aus den Statistiklehrbüchern und inzwischen Synonym für eine neue Art des Managements. „Für uns heißt Six Sigma nichts anderes als die konsequente Anwendung bestimmter Tools und Methoden, um Verbesserungen im Geschäftsplan sichtbar zu machen,“ definiert Kraßnitzer. Immer wieder kehrt er in unserem Gespräch darauf zurück. Die Anbindung an den Geschäftsplan sei das A und O bei einer Six Sigma Kampagne. Auch wenn man es in Thüringen nicht ganz so reißerisch wie Jack Welch, Ex-Chef von GE, mit „Show me the money!“ verkauft.
Anstatt bei langen Besprechungen Probleme zu diskutieren, wird heute in einem klar kaskadierten Management Planungs-, Steuerungs-, und Berichtssystem (MPSB) in regelmäßigen Meetings informiert: Was war? Wie war es im Vergleich zum Soll? Was haben wir getan? Wo brauchen wir Hilfe? Abgeleitet sind alle Aktivitäten vom Geschäftsplan, dessen Ziele mit Hilfe des Planungsprozesses (Hoshin) in individuelle Zielvereinbarungen übersetzt wird.
Kraßnitzer sieht in der raschen Installation des Systems durch die Berater in Kombination mit ersten messbaren Ergebnissen bezüglich Produktivitätserhöhung, Qualitätsverbesserung und Erhöhung der Anlageneffizienz den wichtigsten gedanklichen Durchbruch. „Die Mitarbeiter haben erlebt, dass wir mit den richtigen Werkzeugen wirklich viel produktiver arbeiten können, und nur darauf kommt es an. Wir wissen ganz genau, dass wir jeden Arbeitsplatz, den wir produktiver mit einer Maschine besetzen können, auch mechanisieren müssen. Nur so können wir langfristig wettbewerbsfähig sein und unsere Vision verwirklichen: Dauerhaft Arbeitsplätze sichern.“
Keine Zauberei, sondern acht Monate harte Arbeit, zusätzliche Stunden und intensives Lernen sei das Projekt für alle PVT-Mitarbeiter gewesen. Aber auch die Berater waren ständig vor Ort, ohne Krawatte und schwarzem Anzug, zu 80% sichtbar in der Produktion und in allen drei Schichten von Montag bis Samstag.
Zunächst galt es, die Basis festzuzurren. „Die Mitarbeiter müssen verstehen, um was es geht.“ Alle Führungskräfte wurden zu Black Belts ausgebildet und übernahmen Six Sigma Projekte. „Nur wenn man es selbst macht, kann man die Macht dieser Werkzeuge erkennen und weiß, wie groß die Zusatzbelastung durch das Projekt ist,“ zieht Wolfgang Kraßnitzer Bilanz, der sich mit seinem Projekt „Materialverringerung“ gleich einen großen Brocken auf die Schippe legte. So richtig begriffen habe er den Nutzen vieler Werkzeuge aus der 85 Teile umfassenden Kiste erst zu dem Zeitpunkt, als er sie im Rahmen des Train-the-Trainer Konzepts selbst Mitarbeitern, die zu Green Belts ausgebildet wurden, lehrte. „Das ist der wirkliche Erfolg: Dass ich heute die Sicherheit habe, dass meine Mitarbeiter diese Werkzeuge souverän beherrschen. Das macht doch meine Arbeit und die aller Führungskräfte viel einfacher,“ sagt Kraßnitzer und seine entspannte Körpersprache spricht Bände.
Er kann es sich nicht verkneifen, seinen Kollegen in der deutschen Industrie ein wenig den Kopf zu waschen: „Ich glaube, mancher hat einfach nicht den Mut, sich zu verändern und klebt an den glorreichen Zeiten des Wirtschaftswunders fest.“ Dabei mache es doch richtig Spaß, einen gut funktionierenden Betrieb immer noch ein bisschen voranzutreiben, um das Heft in der Hand zu halten, auch bei anspruchsvollen Kunden mit klangvollen Namen wie DaimerChrysler, BMW oder Audi. Ansatzpunkte für die ständige Verbesserung gäbe es genug. So habe man beispielsweise ein Six Sigma Projekt „Skonto ausschöpfen“ aufgesetzt, mit dem Ergebnis, dass man heute von 100 Prozent möglichen Skonti 90 Prozent zieht. „Oft wird gesagt, Six Sigma sei eine Methode, die nur bei großen Unternehmen funktioniert. Das ist nicht richtig. Themen wie Skonto, Materialverringerung oder Liefervereinbarungen sind in allen Unternehmen aktuell. Entscheidend ist, sich mit einer klaren Vorgehensweise (DMAIC) immer wieder die betroffenen Prozesse vorzuknüpfen. Selbst bei einem so einfachen Projekt wie dem Skonto ziehen, haben wir schnell erkannt, dass eine ganze Menge von unterschiedlichen Teilprozessen hineinspielen und wir nur im Team eine befriedigende und nachhaltige Lösung finden.“
Darin liege der Reiz der Six Sigma Methode: komplexen Prozessen und Vernetzungen begegne man mit einem glasklaren, auf ein vereinbartes Ziel gerichteten Verfahren. Persönliche Befindlichkeiten und individuelle Lösungsversuche, seien sie noch so gut gemeint, spielen keine Rolle mehr. „Wir haben uns alle dieselbe Disziplin auferlegt. Wir reden von Performance und wie wir sie erreichen. Punkt.“ Einen Heimvorteil räumt Kraßnitzer ein: Viele Mitarbeiter seien nicht qualifiziert gewesen und hätten sich deshalb leichter auf die neue Arbeitsweise in einer selbst lernenden Organisation eingelassen.
Die Ergebnisse sind beeindruckend: Die Personalproduktivität wurde gesteigert. Der Materialausschuss gesenkt und die Anlageneffizienz erhöht . So habe man ohne zusätzliche Investition neue Aufträge übernehmen können. In nur acht Monaten wurde der Turnaround geschafft. Sehr beachtlich für ein Unternehmen im Aufbau.
„Wir arbeiten heute einfach smarter,“ zieht Kraßnitzer Bilanz. „Damit sichern wir uns unsere Wettbewerbsfähigkeit, aber unseren Kunden auch einen flexiblen Lieferpartner in Deutschland.“ Bliebe zu wünschen, dass er mit seinem Mut und seinem Einsatz noch mehr Menschen inspiriert, sich den neuen Herausforderungen für die Industrie am Standort Deutschland zu stellen.
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