Die bisher vielfach praktizierte stichprobenhafte Überprüfung der Bauteile in der Stanzteilproduktion ist nicht nur aufwändig, sondern auch weit von einer lückenlosen Rückverfolgbarkeit entfernt. Doch es gibt Lösungen, die die händischen Stichproben durch eine automatisierte 100%-Qualitätskontrolle ablösen und damit rückverfolgbare Qualität bis auf Bauteilstufe bieten. Für einen möglichst hohen Nutzen ist es dabei essenziell, dass sich die entsprechenden Technologien – spezielle Beleuchtungs-, Bildaufnahme- und Kennzeichnungstechniken – in bereits vorhandene Maschinen und Anlagen integrieren lassen und gut mit der KI-basierten Anomaliedetektion zusammenspielen.
Das optische Prüfverfahren Shape from Shading nutzt eine besondere Beleuchtungs- und Bildaufnahmetechnik. Da es die Texturinformationen eines Prüfteils von seinen topologischen Eigenschaften trennt, ermöglicht es die exakte Kontrolle einzelner Bauteile in der Stanzindustrie. Mit diesem Verfahren können auch kleinste Anomalien der einzelnen Bauteile sichtbar gemacht werden, die mit anderen Verfahren unentdeckt blieben.
Dazu wird das Prüfteil aus mehreren Richtungen beleuchtet und von einer Kamera aufgenommen. Auf den Bildern ist dadurch unterschiedliche Licht- und Schattenverteilung zu sehen. Aus diesen (realen) Einzelbildern berechnet die Software dann verschiedene topografische Bilder, die nur noch die 3D-Information der Prüfteiloberfläche wiedergeben. Dadurch ist die Qualitätsprüfung unabhängig von Oberflächenveränderungen des Prüfteils wie Farb- oder Helligkeitsunterschieden, die sich im Texturbild deutlich darstellen und eine stabile Auswertung verhindern würden.
Mit dem Shape-from-Shading-Verfahren und klassischen Bildverarbeitungsmethoden können selbst Kratzer, Risse oder Dellen, die nur wenige Mikrometer hoch oder tief sind, sicher detektiert werden. Aufgrund der speziellen LED-Beleuchtung funktioniert das Verfahren sowohl bei dunklen als auch bei glänzenden Oberflächen sehr stabil. Die Algorithmik für die Bewegungskompensation erlaubt die Anwendung des Verfahrens auch für bewegte Objekte, was den Einsatz in der automatisierten Prüftechnik mit hohen Teiledurchsätzen ermöglicht.
Bei der Überprüfung und Bewertung der aufgenommenen Bilder wird das kI-basierte Verfahren der Anomaliedetektion angewendet: Dabei handelt es sich um eine spezielle Technik, die auf tiefen neuronalen Netzen (DNN) basiert. Konkret kommen sogenannte Convolutional Autoencoder in Kombination mit einer Differenzbildgenerierung zum Einsatz, um ungewöhnliche oder unerwartete Abweichungen in Bildern von Prüfteilen sichtbar zu machen. Diese Art der Anomaliedetektion spielt ihre Stärke genau dort aus, wo die klassische Bildverarbeitung an ihre Grenzen stößt oder zumindest einen hohen Grad an Expertise erfordert: bei der Fehlererkennung in komplexen Texturen. Neuronale Netze sind aufgrund der Variabilität bei den Gutteilen und den nicht immer mathematisch abbildbaren Entscheidungskriterien zwischen IO- und NIO-Bauteilen häufig die einzige Option.
Um die Anomaliedetektion nutzen zu können, muss die Software zunächst angelernt werden: Das Deep Neural Network wird zu Beginn mit Bildern von IO-Bauteilen gefüttert und „erlernt“ deren Eigenschaften sowie die Fähigkeit, diese möglichst exakt zu rekonstruieren. Anwendern steht hier eine große Datenmenge zur Verfügung, da sie eine enorme Anzahl an IO-Bauteilen produzieren. Vorausgesetzt, dass die Anomalie gut zu erkennen ist, kann man das neuronale Netz mit Farb- oder Monochrombildern ebenso trainieren wie etwa mit Tiefen- oder Krümmungsbildern.
Der Pseudoausschuss
wird verringert
Die Methode der Anomaliedetektion macht sich die Tatsache zunutze, dass der trainierte Autoencoder keine abweichende Bildinhalte und Strukturen rekonstruieren kann. Folglich wird die Rekonstruktion eines Prüfteils mit einer Anomalie diese nicht mehr enthalten, sondern wie das dazu passende Gutteil aussehen. Es bedarf dann nur noch einer Differenzbildung zwischen Eingangsbild und Ausgangsbild, um die tatsächlichen Anomalien zu erhalten.
Diese können anschließend mit klassischen Bildverarbeitungsmethoden oder bei Bedarf mit einem weiteren neuronalen Netz klassifiziert werden. Ist eine solche Anomalie entdeckt, veranlasst die kI-Software eine entsprechende Aussortierung des Bauteils. Nach einigen Produktionsbatches können die Anwender die Software mit weiteren Bildern von IO-Bauteilen füttern, die eventuell andere Eigenschaften aufweisen als die Bauteile der ersten Runde. Damit verfeinern sie die KI weiter – und minimieren so auch den Anteil des Pseudoausschuss.
Mit dem Einsatz von kI in der Qualitätssicherung können Hersteller vor allem bei ungewöhnlichen oder nur sporadisch auftretenden Defekten große Fortschritte machen. Diese Defekte werden von den in klassischen regelbasierten Prüfverfahren im Vorhinein festgelegten Parametern oft nicht abgedeckt und Bauteile mit solchen Fehlern entsprechend nicht detektiert und nicht aussortiert. In Zukunft werden Hersteller daher aller Voraussicht nach eine Kombination aus klassischen regelbasierten und KI-basierten Verfahren einsetzen, denn das eine Verfahren kann das andere nicht ersetzen.
Lasermarkierung der einzelnen Bauteile und Dokumentation
Zentral für die effiziente Gestaltung der Qualitätssicherung und der dazugehörigen umfassenden Dokumentation ist die exakte Beschriftung der einzelnen für korrekt befundenen Bauteile nach der Prüfung. So können Hersteller ihre Qualitätssicherung bis auf Bauteilebene umsetzen und umfassend dokumentieren. Da die Stanzindustrie Bauteile im Durchlauf markiert, also mit dem Verfahren „Marking on the fly“ arbeitet, muss das der optischen Überwachung nachgeschaltete Lasersystem besondere Anforderungen im Bereich Markiergeschwindigkeit erfüllen.
Die in einer Kombination zur Qualitätssicherung von Kistler eingesetzte Beschriftungszelle Lasermark KLM 621 basiert beispielsweise auf aktuellen Faserlasern: Diese Zelle erfüllt die Ansprüche der wirtschaftlich kurzen Markierzeit, geringstmöglichen Positionstoleranz des Markierfeldes sowie der optimalen Kontrastverhältnisse. Im Verfahren Marking on the fly erreicht die Laserzelle eine Leistung in der Spitze von mehr als 2.500 Teilen pro Minute Die reproduzierbare Positionsgenauigkeit von 0,01 mm wird durch den hochpräzisen Triggersensor von Kistler gewährleistet. Durch die lückenlose Beschriftung beziehungsweise Codierung aller produzierten Teile ermöglicht sie die effiziente, vollständige Rückverfolgbarkeit der Teile.
Dokumentation, Darstellung und Auswertung über OPC UA
Neben den Qualitätsanforderungen selbst sind auch die Ansprüche an Detailgenauigkeit und Vollständigkeit der Dokumentation gestiegen: Eine umfassende und detaillierte Erfassung und Ablage der relevanten Daten für die produzierten und gekennzeichneten Teile ist auch für Hersteller in der Stanzindustrie Pflicht. Dabei ist eine Vernetzung aller relevanten Maschinen nicht nur die Grundlage für ein effizientes Datenmanagement und deren nachfolgende Analyse in der Prozessoptimierung, sondern auch die Basis für eine vollständige Rückverfolgbarkeit auf Bauteilebene.
Kistler hat deshalb eine auf dem Universal Machine Technology Interface (Umati) basierende OPC-UA-Schnittstelle in alle Lösungen in der optischen Prüfautomation integriert. Die Vernetzung der Anlage mit den sie umgebenden Maschinen erleichtert die umfassende Prozessüberwachung zusätzlich: Das System hinterlegt die entsprechenden Dokumente der einzelnen Bauteile in einer Datenbank. So können Anwender ihre Qualitätsprüfung von einer Stichprobendatenbank hin zu einer vollständigen Prüfung und Nachverfolgbarkeit der hergestellten Bauteile weiterentwickeln. Je nach Anwendungsfall werden dabei sowohl Maschinendaten als auch Prüfergebnisse in Echtzeit dargestellt, analysiert und statistisch ausgewertet oder zur späteren Auswertung gespeichert. Anwender können so in Verbindung mit Analysesoftwaretools wie Madam und J-Beam Qualitäts-, Produktions- und Messdaten ortsunabhängig analysieren und an der richtigen Instanz abrufen. Gleichzeitig können sie die Daten zur weiteren Prozessoptimierung in der Produktion nutzen. Fehlerquellen und unnötige Wege sind damit eliminiert.
Kistler Group
Eulachstrasse 22
8408 Winterthur/Schweiz
www.kistler.com
Dr.-Ing. Oliver Schnerr Stephan Bellem Ferenc Bögner
Leiter Global Sales
Leiter Testautomation und Engineering
Leiter Vision Systems
Kistler
www.kistler.com
Webhinweis
In diesem Video erläutert Professor Andreas Geiger vom Studiengang Machine Learning an der Universität Tübingen das Verfahren Shade from Shading.