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Viel Potenzial für Machine Vision

Bildverarbeitung
Auf Machine Vision warten noch viele Aufgaben

Wie andere Branchen leiden auch die Bildverarbeiter an der schwierigen wirtschaftlichen Lage. Doch das Potenzial für die Technologie ist nach wie vor groß und wird sich noch erweitern. Der Bedarf nach Komplettlösungen und neue Möglichkeiten durch künstliche Intelligenz sind die bestimmenden Trends.

» Markus Strehlitz

Langfristig gesehen, sei die Party noch nicht vorbei, sagte Hardy Mehl, Finanzvorstand beim Kamerahersteller Basler, während eines Roundtables des Branchenverbands VDMA zur Messe Vision. Das Potenzial der Bildverarbeitungsindustrie sei groß, in den kommenden Jahren werde die Technologie ihren Weg in weitere neue Anwendungen finden.

Die Party ist also noch nicht zu Ende, die Gäste sind noch da und tanzen weiter. Doch man feiert nicht mehr ganz so ausgelassen, der DJ hat die Musik etwa leiser gestellt. Denn nach vielen Jahren des Booms verzeichnete die europäische Bildverarbeitungsindustrie 2023 einen Umsatzrückgang von sieben Prozent, so die Zahlen der VDMA-Fachabteilung Machine Vision. Für das laufende Jahr rechnen die Experten mit einem weiteren Umsatzrückgang von drei Prozent. Zum ersten Mal seit 2009 ist die Prognose negativ.

„Leider konnten wir aufgrund der aktuellen wirtschaftlichen und geopolitischen Lage an die Rekorde der Vorjahre nicht anknüpfen“, berichtet Mark Williamson, Vorstandsvorsitzender der Abteilung Machine Vision im VDMA. „Obwohl wir erste Verbesserungen sehen, ist es unwahrscheinlich, dass die europäische Bildverarbeitungsindustrie vor Ende 2024 zurück auf Wachstumskurs ist.“ Die Nachfrage in Europa fiel um vier Prozent. Insbesondere exportorientierte Unternehmen traf die sinkende Nachfrage nach europäischer Bildverarbeitung in Asien (minus 21 Prozent) und Nordamerika (minus 18 Prozent). Aufgrund der vorherrschenden Unsicherheiten halten sich viele Kunden mit Investitionen zurück. Die Auftragsbestände der Bildverarbeitungsindustrie schmelzen, Aufträge werden verschoben.

Branche ist bessere Zahlen
gewohnt

Die Situation ist für die Unternehmen der Branche ungewöhnlich, denn aus den vergangenen Jahren sind sie andere Zahlen gewohnt. Zwischen 2012 und 2022 stieg der Umsatz der europäischen Bildverarbeitungsindustrie durchschnittlich um neun Prozent pro Jahr. 2020 ging der Umsatz corona-bedingt zwar um vier Prozent zurück, erholte sich dann aber in den Jahren 2021 (plus 17 Prozent) und 2022 (plus 11 Prozent) deutlich. Die Branche habe in den vergangenen zehn Jahren ein außergewöhnliches Wachstum erzielt, so Williamson.

Das können auch speziell die deutschen Bildverarbeiter berichten. Die vergangenen zehn Jahre hat sich der Umsatz der deutschen Vision-Industrie laut VDMA-Marktbefragung verdoppelt. Erzielte diese 2013 noch 1,6 Milliarden Euro Umsatz, verzeichnete sie zuletzt einen Umsatz von 3,2 Milliarden Euro – trotz Umsatzrückgang von sieben Prozent im Jahr 2023.

Die Branche demonstriert Zuversicht, wieder auf den Erfolgskurs zurückzufinden – wie die Aussagen von Basler-CFO Mehl belegen. Der Optimismus speist sich unter anderem daraus, dass die Vision-Technologie im nach vor anhaltenden Automatisierungstrend eine wichtige Rolle spielt. Zudem weitet Bildverarbeitung ihre Einsatzfelder aus. Nicht nur in den traditionellen Industriezweigen, sondern auch außerhalb des Fabrikumfelds setzen Unternehmen verstärkt auf entsprechende Systeme. In Fahrzeugen spielen Kameras mittlerweile ohnehin eine wichtige Rolle. Aber sie dienen quasi auch als Augen von Robotern und sind somit in vielen unterschiedlichen Branchen im Einsatz. Dank ihnen können sich Roboter etwa in der Logistik autonom bewegen, in der Landwirtschaft den Bauern helfen oder in Krankenhäusern das Pflegepersonal unterstützen. Hinzu kommen viele weitere Anwendungen wie etwa im Recycling.

Qualitätssicherung ist noch immer ein Hauptanwendungsbereich

Trotzdem spielt Qualitätssicherung in Produktionsprozessen für die Nutzung von Industriekameras nach wie vor eine wichtige Rolle. „Dies ist noch immer ein Haupteinsatzbereich, der auch weiter an Bedeutung gewinnt“, sagt Williamson. Das hat aus seiner Sicht verschiedene Gründe. Zum einen werden in der Messtechnik klassische taktile Systeme zunehmend durch optische Technologien ersetzt. Zum anderen sehen sich Fertigungsunternehmen in Europa mit einer wachsenden Konkurrenz aus China konfrontiert. Diese Firmen müssten daher daran arbeiten, ihre Qualitätssicherung noch effizienter zu gestalten.

Wenn von Effizienz in Prozessen die Rede ist, geht es auch immer um Automatisierung. Martin Klenke berichtet von einem weiterhin großen Interesse an diesem Thema. „Die automatisierte Qualitätssicherung ist einer der großen Treiber für den Einsatz von Bildverarbeitung“, sagt Klenke, der bei Teledyne Imaging als Director Business Development tätig ist.

Grundsätzlich gibt es laut Klenke sehr viele unterschiedliche Anwendungsmöglichkeiten für Vision-Technologie rund um die Qualitätssicherung. Aber bei allen zeichnet sich ein Trend ab: Die Anwender verlangen verstärkt nach Lösungen. „Wir haben zunehmend Kunden, die uns sagen, dass sie für eine bestimmte Aufgabe ein komplettes System brauchen“, berichtet Klenke. „Das heißt, sie fragen nicht mehr nach einzelnen Technologien wie einer Kamera, die dann bestimmte Eigenschaften haben soll.“

Solche Anwender geben dem Technikanbieter die entsprechenden Anforderungen vor – also zum Beispiel die Genauigkeit und die Taktzeit, mit der ein bestimmtes Bauteil geprüft werden soll. Mit welchen Technologien dies genau umgesetzt wird, ist dann Sache des Anbieters. „Wir verkaufen quasi eine Anwendung“, so Klenke.

Der Umstand, dass Bildverarbeitung auch nicht-industrielle Anwendungen erobert, treibt diese Entwicklung voran. „Wir haben es zunehmend mit Kunden zu tun, die keine Vision-Experten sind“, sagt Basler-Vorstand Mehl. Diese benötigten daher viel mehr Begleitung durch den Hersteller. „Statt sich selbst die verschiedenen Bildverarbeitungskomponenten zusammenzusuchen, brauchen sie jemanden, der sie an die Hand nimmt und ihnen eine Lösung bereitstellt.“

Nach Meinung von Klenke schwappt dieser Trend nun auch auf den industriellen Bereich über. „Der Automatisierungsgrad wird immer größer. Und die Lösungen, die all die unterschiedlichen Technologien integrieren, werden komplexer.“ Das sei eine Herausforderung für jedes Unternehmen – auch für Firmen aus der Fertigungsbranche.

Generative KI könnte dem
Nutzer assistieren

Vielleicht könnte künftig auch Künstliche Intelligenz (KI) dafür sorgen, Bildverarbeitung für die Anwender einfacher nutzbar zu machen. KI wird bei Vision-Technologie ohnehin schon relativ breit eingesetzt. Bisher ging es dabei aber vor allem um Deep Learning. Entsprechende Lösungen sind in der Lage, automatisiert Fehler aus einer großen Masse an Bildern zu erkennen. Und im Gegensatz zum menschlichen Mitarbeiter ermüden sie dabei nicht. Besondere Stärke der lernfähigen Systeme sei es dabei, Defekte zu erkennen, die vorher noch nicht aufgetreten sind, erklärt Williamson.

Seiner Meinung nach könnte künftig auch eine andere Form von KI für die Bildverarbeitung nützlich sein. Damit meint er so genannte generative KI, die durch ChatGPT bekannt geworden ist. Der Gedanke dahinter: Bildverarbeitung ist komplex und die Zahl der Faktoren, die Einfluss auf das Ergebnis haben können, ist groß. Lösungen, die im Labor funktionieren, können bei einer konkreten Anwendung an der Produktionslinie versagen, weil zum Beispiel die Lichtverhältnisse ein Problem verursachen. Williamson könnte sich daher vorstellen, dass generative KI die Unternehmen dabei unterstützt, Bildverarbeitungsanwendungen einfacher und schneller umzusetzen – quasi wie ein Assistenzsystem. Er sieht auch die Möglichkeit, dass ein entsprechendes System den Anwender auf mögliche Probleme frühzeitig hinweist, wenn sich etwas an der Applikationsumgebung ändert.

Fehlende Daten machen
das Training teuer

Olaf Munkelt, Co-.Founder und Geschäftsführer des Software-Anbieters MVTec, ist diesbezüglich allerdings noch skeptisch. Diese Large Language Models, die mit dem Begriff generative KI gemeint sind, bräuchten extrem viele Daten, um trainiert zu werden. Ein Tool wie ChatGPT greift auf unzählige Informationsquellen zurück, um eine Aufgabe auszuführen. Wenn es um Bildverarbeitungsanwendungen geht, stehen aber kaum Daten in der nötigen Menge zur Verfügung. Es sei daher extrem teuer, ein entsprechendes Large Language Model zu trainieren, so Mukelt. „Und man braucht dafür mehrere Monate.“

Er kann sich aber vorstellen, dass KI einen Anwender aber auf andere Art bei der Umsetzung von Vision-Anwendungen unterstützt. So könnte die Technologie eventuell dabei helfen, relevante Informationen in bestehenden Dokumentationen schneller zu finden.

Grundsätzlich hält Munkelt generative KI für eine interessante Technologie. Doch seiner Meinung ist es noch zu früh, genau sagen zu können, wo und in welcher Form diese in der Bildverarbeitung einen Beitrag leisten kann.

Teledyne-Mann Klenke hält es auch für denkbar, dass generative KI künftig im Support der Bildverarbeitungsanbieter zum Einsatz kommt. Das heißt, dass Anwender, die Probleme bei einer bestimmten Anwendung haben, durch eine KI zur Lösung geführt werden. Auch dies könnte gerade für die Nutzer, die selbst keine Vision-Experten sind, hilfreich sein.

Unabhängig davon, wie realistisch solche und ähnliche Szenarien bereits heute schon sind – künstliche Intelligenz spielt bereits jetzt eine sehr dominante Rolle im Bildverarbeitungsmarkt. Das zeigt auch die Zahl an neuen Technikanbietern, die an entsprechenden Lösungen arbeiten. „Mein Schätzung ist, dass etwa 80 Prozent der Startups im Vision-Bereich sich mit KI in irgendeiner Form beschäftigen“, sagt Williamson. Und die Mehrheit dieser fokussiere sich dabei auf Applikationen rund um die Qualitätssicherung. So sorgen also auch die jungen Unternehmen dafür, dass die Party in der Bildverarbeitungsbranche weitergeht.


Bild: Landesmesse Stuttgart
Bild: Landesmesse Stuttgart

Vision zeigt Highlights der Bildverarbeitung

Vom 8. bis zum 10. Oktober wird sich auf dem Stuttgarter Messegelände alles um die Bildverarbeitung drehen. Dann findet die Vision 2024 statt, auf der Aussteller aus aller Welt ihre Produkte und Dienstleistungen vorstellen werden, mit denen sich Anwendungen in der Qualitätskontrolle aber auch vielen anderen Bereichen umsetzen lassen.

Stand April 2024 haben sich bereits 385 Anbieter aus 37 Ländern angemeldet. Projektleiter Florian Niethammer erwartet bis Oktober ein Ausstellerwachstum von über 10 Prozent im Vergleich zur Messe vor zwei Jahren. Ein Viertel davon werden Unternehmen sein, die das erste Mal auf der Vision vertreten sind.

Weitere Infos:

https://hier.pro/ZcXES

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