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Die Zukunft des Audits ist digital

Tools erleichtern den Wandel zu Remote-Audits
Die Zukunft des Audits ist digital

Die Zukunft des Audits ist digital
Die Rahmenbedingungen für die Auditierung von Managementsystemen verändern sich: Immer häufiger geht es darum, aus der realen Welt aktuelle Zustandsinformationen zu erfassen, diese umgehend auszuwerten, zu validieren und etwaige Korrekturmaßnahmen einzuleiten Bild: shutterstock.com
Die Rahmenbedingungen für Audits ändern sich. Ausgefeilte Konferenz- und Videotechnik löst gängige Audit-Methoden teilweise ab. Computergestützte Auditverfahren können bei Zertifizierungen wesentlich beitragen, die Effektivität und Effizienz zu erhöhen.

Der technologische Wandel und immer kürzere Innovationszyklen machen auch vor den Audits und Zertifizierungen keinen Halt. Die TIC-Branche (Testing, Inspektion, Certification) ist besonders herausgefordert. Das lateinisch abgeleitete Zuhören (audire) prägt ihr Selbstverständnis. Wie ist genau dieses personale Element – der kundige Vor-Ort-Eindruck – mit weltweiten Onlinevertriebswegen und digital vernetzten Produktionsbereichen vereinbar?

In vielen Sektoren löst sich die klassische lineare Abfolge von der Produktentwicklung über die Herstellung bis hin zum Marketing und Vertrieb auf. Gefragt ist heute vor allem die agile Interaktion mit den Kunden und Partnern der Lieferkette. In vielen Endprodukten sind daher umfangreiche Services aus vielen Bereichen der Herstellerorganisation integriert. Längst nicht mehr auf die Konformität der gesetzlichen Anforderungen beschränkt, müssen Audits daher die gesamte Prozesslandschaft der Lieferkette im Blick haben. Folglich verändern sich die Methoden der Auditierung und Zertifizierung. Prüfprotokolle und Berichte werden zunehmend digital abgefragt, was bis zur Vernetzung mit den IT-Systemen der Kunden reicht.

Mit der massenhaften Verfügbarkeit von Daten werden nicht nur die produktionsspezifischen Indikatoren der Qualität beziehungsweise die Werttreiber messbar, sondern auch die Normen und Qualitätsstandards selbst. Unternehmen analysieren, inwiefern sich der Werttreiber nach der Auditierung verändert hat. Auch das Tempo nimmt zu. Auditergebnisse müssen rasch und standortübergreifend verfügbar sein.

Vor diesem Hintergrund haben Dekra Prüfingenieure beispielsweise in Finnland eine Web-Anwendung als Prototypen zur Inspektion von Anlagen in der Erprobung. Mit der App können wie bei Google Street View Produktionsbereiche aufgenommen und kartographiert werden. Der Auditor bewegt sich auf seinem Mobiltelefon durch die Produktion. Messpunkte und Hinweise werden umgehend angezeigt, die mit der realen Umgebung abgeglichen und Abweichungen mit dem Unternehmen gleich besprochen werden können. Die nächste Stufe des digitalen Audits werden sogenannte Mixed-Reality-Lösungen sein. Entwickler von Dekra arbeiten beispielsweise an dem Einsatz der Hololens-Brille. Prüfer könnten mit ihr künftig die zuvor abgestimmte Navigation und die relevanten Informationen direkt im Sichtfeld der Brille eingespielt bekommen. Gleichzeitig haben sie die Hände frei und können ihren Bericht gleich diktieren.

Neue Rahmenbedingungen

Die Rahmenbedingungen für die Auditierung von Managementsystemen verändern sich: technisch und kulturell. Immer häufiger geht es darum, aus der realen Welt aktuelle Zustandsinformationen zu erfassen, diese umgehend auszuwerten, zu validieren und etwaige Korrekturmaßnahmen einzuleiten. Dekra setzt hierfür auch sogenannte Remote Audits ein. Die computergestützten Auditverfahren (CAAT) entwickeln sich zu einer wesentlichen Ergänzung im Zertifizierungsprozess, wenn der Auditor zum Beispiel bei stabilen Prozessen und einer Folgezertifizierung nicht unbedingt physisch anwesend sein muss.

Die definierten Tools für Remote-Audits umfassen Telefon- oder Videokonferenzen, interaktive webbasierte Kommunikation und Fernzugriffe auf Dokumentationen des Managementsystems und dessen Prozesse. Freilich sind die Möglichkeiten der intelligenten Vernetzung noch viel weitreichender vorstellbar. In Finanzaudits beispielsweise kann der Informationsfluss vollständig aufgezeichnet und visualisiert werden. Auf einen Blick ist erkennbar, ob Sollprozesse eingehalten werden und an welchen Stellen es zu Abweichungen oder Eingriffen kommt.

Remote-Audits sind nicht ganz neu, nehmen aber durch die enorme Dynamik webbasierter Medien- und Konferenztechnik an Fahrt auf. Bereits der Leitfaden zum Auditieren von Managementsystemen (DIN EN ISO 19011:2011) hat vor rund acht Jahren das Fernaudit als Alternative aufgezeigt. Großer Vorteil sind die Flexibilität, kürzere Rüstzeiten und dass simultan, standortübergreifend auditiert werden kann. Je nach Erfordernis können kurzfristig Sachverständige hinzugezogen werden, ohne durch Reisezeiten, Reisekosten oder umfangreiche Reisevorbereitungen limitiert zu sein. Dem Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologie sind jedoch klare Grenzen gesetzt. Und es gilt die oberste Prämisse, dass der Zertifizierungsprozess durch ein unstrukturiertes Fernaudit nicht gefährdet beziehungsweise unterwandert werden darf. So sind Remote-Audits nur gerechtfertigt, wenn sie zur höheren Effektivität und Effizienz des Audit beitragen, was in dem Abschlussbericht auch detailliert darzulegen ist.

Richtschnur ist die IAF MD 4:2018 als verbindliches Dokument. Für die Planungsphase ist zwingend vorausgesetzt, dass die IT-Infrastruktur des zu auditierenden Bereichs in puncto Datensicherheit, Netzstabilität, Dokumenten-Zugänge und Know-how der Beteiligten auf Eignung geprüft wird. Sollten während des Audits IT-Störungen oder Unterbrechungen auftreten, muss gestoppt werden. Tritt die Störung ein zweites Mal auf, kann das Audit nur noch physisch vor Ort beendet werden.

Die vorausschauende Planung und geeignete technischen Voraussetzungen sind kritische Erfolgsfaktoren für ein Fernaudit. Vor allem geht es nicht darum, die Auditzeit zu reduzieren, sondern das Audit noch fokussierter anzugehen. Ein Beispiel: Bei einem Management-Review treffen sich Auditor und Unternehmensleitung üblicherweise in einem Konferenzraum. Findet die Management-Bewertung allerdings schon eine Woche vorher als Videokonferenz statt, ist mehr Raum gewonnen, um die zur Verfügung stehende Auditzeit auf kritischere Unternehmensbereiche zu lenken.

Fernaudits bei Erstzertifizierung nicht sinnvoll

Allerdings zeigt die Praxis, dass bei einer ersten Zertifizierung Fernaudits nicht sinnvoll sind. Zu hoch ist das Risiko des Abbruchs. Meist fehlt den Beteiligten noch die Routine, das Verständnis für das Vorgehen oder der Überblick über die technischen Voraussetzungen. Zudem sollten zwischen einem Fernaudit und einer Vor-Ort-Audit maximal 30 Tage liegen. Wenn etwa bei einem Lieferantenaudit die Gesamtzeit durch den Einsatz von Konferenztools unter zwei Tagen sinkt, ist das Remote-Audit ebenso nicht zu empfehlen.

Trotz ausgefeilter Konferenztechnik und intelligenter Datenbanktools ist der persönliche Vor-Ort-Einsatz eines Auditors nicht zu ersetzen. Allerdings lassen sich die virtuellen Verfahren gerade bei Routinen effizienzsteigernd einsetzen, um mehr Auditzeit auf Unternehmensbereiche mit höherem Abstimmungsbedarf zu lenken. Daher ist gut vorstellbar, dass nicht nur die Zahl der Remote-Audits, sondern auch ihr Anteil am Gesamtaudit zunehmen wird. ■


Der Autor

Roman Zadrozny
Head of Service Division Audits, Executive Vice President

Dekra Group

www.dekra.de



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