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Digitalisierung
Digitaler Wandel: Der Innovations-Express wartet nicht

Firmen im Artikel
In Sachen Digitalisierung gibt es in den Qualitätsabteilungen in vielen Unternehmen noch Luft nach oben. Die Gründe sind vielfältig: Es fehlt an Kompetenzen und einer ganzheitlichen Strategie, die auch den Q-Bereich einschließt. Die Verantwortlichen müssen jetzt aktiv werden – auch beim Thema KI.

» Markus Strehlitz

Meine Beobachtung ist, dass die Digitalisierung in der Qualität etwa fünf Jahre hintendran ist“, berichtete Peakavenue-CEO Ulrich Mangold vor kurzem im Interview mit Quality Engineering. Es werde viel Geld in die Digitalisierung der Fertigung, der Prozesse im Einkauf oder der Entwicklung gesteckt. Aber der Qualitätsbereich sei diesbezüglich noch ein Stiefkind. „Es gibt natürlich Kunden, die weiter sind als andere“, fügt er hinzu. „Aber man sieht sehr oft, dass Prozesse manuell durchgeführt werden, die sehr aufwendig sind.“ Wie dies in der Praxis aussieht, beschreibt Mangold beispielhaft an Zeichnungen, die an einen Lieferanten geschickt werden. Dieser muss die Zeichnungen manuell stempeln, anschließend wird für den Erstmusterprüfbericht eine Liste in Excel erstellt. „Das Unternehmen muss dann wiederum abgleichen, ob die Liste vollständig ist und ob zum Beispiel die Toleranzen richtig abgeschrieben wurden.“

Bei einem einfachen Produkt wie einem Füller sei dies noch möglich. „Aber bei einem Getriebe beispielsweise stehen 800 Merkmale in der Liste. Da braucht man Heerscharen von Leuten, die das prüfen. Das führt auch zu viel Frust bei den Qualitätsmitarbeitern, Ineffizienz und Fehlern.“

Seine Einschätzung wird durch die Studie „Q-Organisation 2024“ bestätigt, welche die Deutsche Gesellschaft für Qualität (DGQ) durchgeführt hat und die 400 Antworten zu unterschiedlichen Fragen umfasst. Ein Teil davon bezieht sich auf den Digitalisierungsgrad in den befragten Unternehmen. Dabei ging es darum, wie weit einzelne Aufgaben rund um Qualitätsmanagement und Qualitätssicherung digitalisiert sind. Dazu zählten etwa Tätigkeiten wie Anforderungsmanagement, Qualitätsplanung und Problemlösung. Und das Ergebnis belegt den Nachholbedarf, den es im Q-Bereich gibt. Insgesamt sei nur eine sehr geringe Digitalisierung zurückgemeldet worden, berichtet DGQ-Experte Benedikt Sommerhoff im Podcast-Gespräch mit der Redaktion von Quality Engineering (siehe Kasten).

Korrelation zwischen
Qualität und Digitalisierung

Der stärkste Digitalisierungsgrad herrscht in den Unternehmen laut Studie, wenn es um die elektronische Bereitstellung von Vorgabedokumenten geht. Dies sei allerdings eine Aufgabe, bei der durch die Digitalisierung nur ein geringer Nutzen für den Anwender entsteht, so Sommerhoff, der bei der DGQ das Themenfeld Qualität & Innovation leitet.

In seiner Keynote zum digitalen Forum Quality Day von Quality Engineering, in der er ebenfalls die Studie vorgestellt hat, wies Sommerhoff außerdem auf eine interessante Korrelation hin. In der Studie zeigt sich, dass diejenigen Unternehmen, die eine hohe Qualität vorweisen können, auch stärker digitalisiert sind. Sommerhoff hebt jedoch hervor, dass noch nicht klar sei, ob es auch eine Kausalität zwischen diesen beiden Ergebnissen gibt.

Fest steht, dass die Digitalisierung im Q-Bereich noch nicht angekommen ist. Und selbst dort, wo es vielleicht danach aussieht, kann man nicht von wirklicher Digitalisierung sprechen. Denn Sommerhoff macht Unterschiede zwischen den einzelnen Begrifflichkeiten. Wenn es nur darum gehe, analoge in digitale Daten umzuwandeln, sei dies noch keine Digitalisierung. „Ich bezeichne das als Digitisierung.“ Diese bringe nur einen sehr geringen Nutzen. „Die Daten könnten genauso gut auf einem Blatt Papier stehen.“

Andreas Dangl, Geschäftsführer von Fabasoft Approve, sieht das ähnlich. Er kennt solche Fälle aus der eigenen Erfahrung. Häufig finde man bei den Kunden Digitalisierung auf dieser unteren Stufe vor. „Da wird mit Excel-Listen gearbeitet und per E-Mail kommuniziert“, berichtete Dangl im Gespräch auf der Messe Control. „Doch das ist noch keine wirkliche Digitalisierung.“

Von Digitalisierung kann man laut Sommerhoff dagegen erst dann reden, wenn die eingesetzte Technik zu Veränderungen führt. Das sei der Fall, wenn die digitalen Möglichkeiten beispielsweise für schnellere, schlankere oder einfachere Prozesse sorgen. Die dritte Stufe in diesem Modell stelle dann die digitale Transformation dar. Die sei erreicht, wenn wirklich neuartige Dinge mithilfe der digitalen Technologien entstehen. Und dies ergibt auch den meisten Nutzen. Grundsätzlich gilt: je höher die Digitalisierungsstufe, auf der sich ein Unternehmen befindet, desto größer der Mehrwert, der sich daraus ziehen lässt.

Beitrag zum Firmenerfolg nicht messbar

Aber wenn sich durch die Digitalisierung Vorteile erzielen lassen, warum ist dann der Q-Bereich diesbezüglich im Vergleich zu anderen Abteilungen so unterentwickelt? Für Mangold liegt das vor allem daran, dass die Qualitätsabteilung nur indirekt zum Unternehmenserfolg beiträgt. „Der Ursache-Wirkungs-Zusammenhang ist oft nicht transparent“, sagt der Peakavenue-Chef. „Wenn man zum Beispiel im Einkauf zwei zusätzliche Leute einstellt und die erfolgreich das Einkaufsvolumen um fünf Prozent nach unten drücken, dann sieht man da einen direkten Zusammenhang. Der lässt sich messen.“

Er berichtet von einem Dilemma in der Qualität. Wenn es ein Qualitätsproblem gibt und dieses gelöst wird, dann würden die entsprechenden Leute wie Helden gefeiert. „Die Quality Champions dagegen verhindern den Brand, bevor er entsteht. Doch die werden nicht gefeiert. Sie werden nicht wahrgenommen, weil es ja gar kein offensichtliches Problem gibt“, so Mangold. Und wen man weder sieht noch hört, bei dem kann man auch sparen – zum Beispiel bei der Digitalisierung.

Silodenken wirkt
als Bremse

Sommerhoff beklagt eine Silomentalität in vielen Unternehmen. Man denke zu viel in einzelnen Funktionen, statt sich daran zu orientieren, was mit der Digitalisierung insgesamt erreicht werden soll. Wenn man stattdessen ganzheitlich denke, dann gehe es darum, alle zur Verfügung stehenden Ressourcen – egal ob in Qualitätssicherung oder Produktion – dafür zu nutzen, Stückzahlen zum richtigen Termin und in der richtigen Qualität zu erreichen.

Laut Sommerhoff ist im Unternehmen ein gemeinsames Verständnis davon notwendig, was mit Digitalisierung erreicht werden soll – und dies auf allen Ebenen. „Digitalisierung ist ja kein Selbstzweck. Es geht darum, Fragen zu beantworten, wie etwa: Wie digital sollen unser Geschäftsmodell und unsere Produkte aussehen? Was sind die Herausforderungen dabei? Wie bekommen wir das passende Personal?“

Einen weiteren Grund für die schwache Digitalisierung in den Q-Abteilungen sieht der DGQ-Experte aber auch in den verloren gegangenen Kompetenzen. Er spricht dabei von einer Zertifizierungswelle in den 1980er und 1990er Jahren, die den Ausbildungsfokus verändert habe. Diese hatte seiner Meinung nach eine Entwicklung zur Folge, welche die Qualitätsmitarbeitenden von der Statistik weg und hin zur Textanalyse geführt hat. Statistisches Wissen wurde dann nicht mehr so stark unterrichtet. Unter Statistik könne man aber das begreifen, was heute Data Analytics oder Data Science genannt werde.

Hinzu sei gekommen, dass man sich durch den zunehmenden Einsatz von Software sehr stark auf die Programme verlassen habe und der Meinung war, dass man die dahinter liegende Mathematik nicht mehr verstehen müsse. „Wir haben die Software quasi nur als Produkt konsumiert.“ Als junger Ingenieur habe er dagegen noch Kollegen erlebt, die selbst statistische Werkzeuge programmiert haben. „Diese Kompetenzen sind uns abhandengekommen“, so Sommerhoff.

Die Digitalisierungsdefizite lassen sich laut Sommerhoff aber nicht in der Theorie beheben. Stattdessen muss man sich mit dem Thema konkret in der Praxis beschäftigen. „Man muss sich herantasten und sich kleine Use Cases suchen, in denen man lernt, bestimmte Instrumente einzusetzen.“

Dass die Innovationsgeschwindigkeit im digitalen Bereich extrem hoch ist, sollte niemanden davon abhalten, jetzt zu starten. Es bringt laut Sommerhoff nichts, drei Monate zu warten, um zu schauen, was sich bis dahin getan hat. „Wir sehen in der Praxis, dass nur die weiterkommen, die real etwas tun.“ Es sei ein Balance-Akt, mit etwas zu beginnen und sich damit auch festzulegen und gleichzeitig auch zu beobachten, ob etwas Neues entsteht.

Sommerhoff weiß, dass dies auch zu einer Überforderung führen kann. Schließlich kann es verwirrend sein, wenn die Aufmerksamkeit immer wieder auf eine neue technische Entwicklung gelenkt wird. Da ist die Versuchung groß, am Wegesrand stehenzubleiben und nur zuzusehen, wie der Innovations-Express an einem vorbeirauscht.

Viele Use Cases für den Einsatz von KI

Das gilt auch für den Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI), deren Entwicklungsgeschwindigkeit gerade besonders hoch ist. Doch auch in diesem Fall sollte man nicht nur Beobachter sein, sondern Mitgestalter. Denn KI eröffnet auch für das Qualitätsmanagement und die Qualitätssicherung viele neue Möglichkeiten.

Sommerhoff spricht von vielen Use Cases, die sich durch die Nutzung von KI ergeben. Dazu zähle zum Beispiel das Generieren von Skizzen für neue Prozesse. „Wenn ein neuer Prozess beschrieben werden soll, hat man sich dafür bisher mit mehreren Leuten für ein paar Stunden zusammengesetzt. Mit KI erhält man in fünf Minuten eine gute Skizze, die man danach mit dem Team bespricht.“

Auch Mangold ist der Meinung, dass KI viele Tätigkeiten erleichtern kann. So könne ein entsprechendes System etwa den Anwender bei der FMEA durch den Prozess führen und ihm bei jedem Schritt sagen, was er zu tun hat. „Dann müssen sich die FMEA-Moderatoren zwar technisch gut auskennen, aber vielleicht weniger in der Methodik und in der Software“, erklärt Mangold. Das Unternehmen könne dadurch den Schulungsaufwand stark herunterfahren.

Ein weiteres Beispiel, was der Einsatz von KI mittlerweile ermöglicht, liefert der Pumpenhersteller KSB. Dieser nutzt die Software von Fabasoft Approve, um die Lieferanten-, Kunden- und Qualitätsdokumentation zu digitalisieren. Die Software generiert automatisiert einen Quality Control Plan, der Prüfanforderungen für einzelne Produktkomponenten vorgibt.

Assistenzsystem macht Handlungsvorschläge

Die integrierte KI funktioniert wie ein Assistenzsystem, das dem Anwender Handlungsvorschläge für Sofort- und Vorbeugemaßnahmen, effizientere sowie präzisere Ergebnisse und 8D-Reports unterbreitet. Das System erkennt automatisiert technische Dokumente und deren Inhalte, extrahiert und analysiert daraus Informationen und verknüpft diese zu einer 360-Grad-Sicht.

Fabasoft-Approve-Geschäftsführer Dangl weist aber darauf hin, dass es immer noch der menschliche Nutzer ist, der letztendlich die Entscheidungen trifft. Die KI sei lediglich ein Hilfsmittel, das den Mitarbeiter bei seiner Tätigkeit unterstützt.

Für Sommerhoff ist es ohnehin entscheidend, auch den Menschen in der Digitalisierung und speziell beim Einsatz von KI nicht zu vergessen. Er spricht dabei von Wetware – quasi der dritten Säule der Digitalisierung neben Hardware und Software. Die Rollenprofile der Wetware – also des Menschen – würden sich verändern. Und auch dies müsse innerhalb einer Organisation geklärt werden.

Gerade mit dem Einsatz von KI gehen Ängste einher – zum Beispiel was die Auswirkungen auf den eigenen Job betrifft oder die Nutzung von persönlichen Daten. Dessen ist sich auch Sommerhoff bewusst. „Aber das darf uns nicht davon abhalten, die Use Cases zu identifizieren, die uns die Arbeit erleichtern und uns mehr Leistungsfähigkeit sowie mehr Effizienz ermöglichen“, sagt der DGQ-Experte. Und dann zitiert er den Publizisten und Digital-Vordenker Sascha Lobo: „Wir brauchen keine diffuse Angst, sondern
eine begründete Furcht.“ Was heißen soll: Man muss die Herausforderungen kennen und sich mit ihnen auseinandersetzen. Nur dann kann man diese auch bewältigen.

In der DGQ diskutiert
die KI mit

Bei der DGQ hat sich dafür ein kleines Team zusammengefunden, wie Sommerhoff berichtet. Zu diesem gehört unter anderem ein Data Scientist. Und bald soll noch ein weiteres hinzukommen. Dieses werde ein rein virtuelles Teammitglied sein, das aus unterschiedlichen KI-Bausteinen besteht. Es soll sogar einen eigenen Namen bekommen und sich mit den Menschen über die Möglichkeiten von KI in der DGQ austauschen. Ein paar Use Cases seien schon identifiziert worden, so Sommerhoff.


Quality Talk – der QE-Podcast

Quality Engineering schreibt nicht nur über Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement. Wir reden auch darüber – und zwar im neuen Podcast Quality Talk. In loser Folge diskutiert die QE-Redaktion mit Expertinnen und Experten über alle Themen, welche die Anwender und die Branche derzeit umtreiben.

Gast der ersten Folge ist Benedikt Sommerhoff, der bei der DGQ das Themenfeld Qualität & Innovation leitet. Er spricht über die Digitalisierung in den Q-Abteilungen, die Möglichkeiten von KI und die Rolle des Menschen in diesem Zusammenhang.

Zu finden ist Quality Talk auf den bekannten Podcast-Plattformen, auf Youtube und natürlich auf der Website von Quality Engineering.

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