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Wie sich Tragflächen mit einer Kamera fliegend vermessen lassen

Photogrammetrie im Einsatz bei Flugzeugen
Wie sich Tragflächen mit einer Kamera fliegend vermessen lassen

Um den Reibungswiderstand bei den Tragflächen seiner Flugzeuge zu optimieren, nutzt Lufthansa Technik eine von der Haifischhaut inspirierte Technologie. Für die optimale Anbringung sind Strömungssimulationen unter Berücksichtigung der tatsächlichen Tragflächenform während des Flugs nötig. Vermessen werden sie mit einem neuen Photogrammetrie-Verfahren.

» Sabine Koll

Eine der Aufgaben von Luftfahrtingenieuren ist die Optimierung der Flugzeugaerodynamik. Dazu führen sie Strömungsanalysen mit 3D-Modellen der Flugzeuge aus. Denn je geringer der Reibungswiderstand eines Flugzeugs in der Luft ist, desto geringer ist auch der Treibstoffverbrauch. Ein klassisches 3D-Modell des gesamten Flugzeugs im Stillstand kann im Hangar mit einfachen messtechnischen Methoden wie dem Laserscanning erstellt werden. Um zu verstehen, wie sich die Tragflächen im Flug verhalten, reicht das jedoch nicht aus, da ein Teil der Tankladung in den Flügeln steckt und während eines Flugs verbraucht wird.

Der Auftrieb und die Veränderung der Tankladung haben Einfluss auf die Krümmung: Die Tragflächen lenken je nach Flugabschnitt um mehrere Meter nach oben aus. Anhand von Modellen, welche die tatsächliche Flugzeugform während des Fluges wiedergeben, lassen sich computergestützte Strömungssimulationen (Computational Fluid Dynamics, kurz: CFD) der Haifischhaut-Technologie durchführen, um die optimale Position und Ausrichtung zu bestimmen.

„In der Regel werden für die Erstellung eines solchen 3D-Modells mindestens zwei Kameras benötigt. Oft sind die Bedingungen für eine Stereophotogrammetrie jedoch nicht gegeben, weil es in der Flugkabine etwa nicht möglich ist, mehrere Kameras mit Blick auf die Tragfläche korrekt auszurichten“, erklärt Dr. Karsten Schulz, Leiter der Abteilung Szenenanalyse am Fraunhofer IOSB. „Unsere neue Messmethode ermöglicht eine exakte Messung mit nur einer Kamera und ist eine Innovation für die Modellerstellung in schwierigen Anwendungsfällen.“

In der Kabine ist nur Platz
für eine Kamera

Besondere Herausforderung der Messung im Flug ist, dass sie im Linienflugbetrieb erfolgt, um Kosten und Ressourcen zu sparen. Die Messtechnik muss in der Kabine platziert und es muss durch Fensterscheiben hindurch gemessen werden, deren Effekt nicht immer im Vorhinein bekannt ist. Da mit einer einzelnen Kamera keine Entfernungen bestimmt werden können, sehen existierende Lösungen den Einsatz von Mehrkamerasystemen vor. Die Installation von solchen komplexen Systemen ist jedoch in Großraumflugzeugen auf Linienflügen mit Passagieren aufgrund des benötigen Platzbedarfs ein aussichtsloses Unterfangen.

Der am Fraunhofer IOSB entwickelte monokulare Ansatz löst dieses Problem: Die fehlende Entfernungsinformation wird durch zusätzliche Messungen am Boden gewonnen. Dazu wird die Oberseite der Tragfläche mit zahlreichen Messmarken beklebt, deren Positionen mithilfe eines Tachymeters eingemessen werden. Eine einzige fest in der Flugzeugkabine montierte Kamera erfasst und verortet diese Marken mehrmals pro Stunde in verschiedenen Flugzuständen.

„Das Verfahren verwendet eine einzige Kamera, die durch ein herkömmliches Kabinenfenster blickt. Alle paar Minuten während des Flugs nimmt sie ein Foto der Flügeloberseite auf und kartiert dabei die Positionen spezieller Markierungen, die zuvor auf dem Flügel angebracht wurden, genau kalibriert auf die Kameraposition in der Kabine“, berichtet Oliver Oeser, Projektleiter für Flugzeugmodifikation bei Lufthansa Technik, in einem Blogartikel bei Linkedin. „Während des gesamten Flugs erfasst die Kamera so die Bewegung jeder Markierung entlang des Flügels und generiert so die Daten für ein dreidimensionales Modell der ablenkenden Flügelgeometrie.“ Frachtflugzeuge von Lufthansa Cargo sollten die Aeroshark-Technologie als erstes erhalten, doch sie waren laut Oeser für den Photogrammetrie-Testflug nicht geeignet, denn ihnen fehlen die ausreichend dimensionierten Überflügelfenster, durch die die Kamera den Flügel beobachten kann.

Der Rest ist Mathematik: Ein Modell für Tragflächenverformung sieht vor, dass sich Bogenlängen während der Verformung nicht ändern, gleichzeitig können Längenänderungen durch Temperaturschwankungen rechnerisch berücksichtigt werden. Die Positionen der Messmarken können in den Messbildern ausgemessen und in Raumrichtungen umgerechnet werden. Eine Kamerakalibrierung vor Ort berücksichtigt den Einfluss der Fensterscheiben; die Entfernung zwischen Kamera und Zielmarken ergibt sich schließlich durch Lösung einer Optimierungsaufgabe.

„Unser zum Patent angemeldetes Photogrammetrie-Verfahren konnten wir mit Unterstützung eines Experten vom Karlsruher Institut für Technologie erfolgreich einsetzen“, sagt Dr. Jochen Meidow, Wissenschaftler am Fraunhofer IOSB. „Auf einem Lininenflug von Zürich nach San Francisco konnten wir das 3D-Modell der Tragfläche einer Boeing 777–300ER gewinnen und Lufthansa Technik zur Verfügung stellen. Unsere Methode lässt sich aber auch in anderen Kontexten einsetzen, in denen eine exakte Vermessung schwierig ist.“

Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung IOSB
Fraunhoferstr. 1
76131 Karlsruhe
www.iosb.fraunhofer.de


Bild: Lufthansa Technik

Kunststofffolie spart Kraftstoff ein

Am 3. Februar 2023 hat in Frankfurt das erste mit der treibstoffsparenden Aeroshark-Oberflächentechnologie modifizierte Frachtflugzeug von Lufthansa seinen Liniendienst aufgenommen. Aeroshark ist ein Oberflächenfilm aus Kunststoff, der der mikroskopischen Struktur von Haifischhaut nachempfunden ist. Er besteht aus rund 50 μm großen Rippen, den sogenannten Riblets. Nach und nach soll die Aeroshark-Modifikation nun auf der gesamten 777-Frachterflotte der Lufthansa Cargo zum Einsatz kommen, um diese elf Flugzeuge sparsamer und emissionsärmer zu machen. Für die Flugzeuge von Lufthansa Cargo rechnet Lufthansa Technik mit einer Kraftstoffeinsparung von circa 1 %. Hochgerechnet auf die gesamte 777-Flotte von Lufthansa Cargo werden so jährliche Einsparungen von mehr als 4.000 t Kerosin und fast 13.000 t CO2-Emissionen möglich, was ungefähr 53 einzelnen Frachtflügen von Frankfurt nach Shanghai entspricht.

Lufthansa Technik und BASF wollen Aeroshark darüber hinaus für zusätzliche Flugzeugtypen und größere Flächen weiterentwickeln, um Fluggesellschaften auf der ganzen Welt bei der Erreichung ihrer Emissionsziele zu unterstützen. In ersten Modellrechnungen könnte die Haifischhaut-Technologie in ihrer maximalen Ausbaustufe sogar CO2-Emissionen in einer Größenordnung von bis zu 3 % vermeiden.

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