Beschädigungen und Fehler an metallischen Bauteilen mit texturierter Oberfläche sind für das menschliche Auge oft leicht zu erkennen, bereiten bei der automatischen Prüfung aber häufig Schwierigkeiten. Der Grund sind die eingesetzten Bearbeitungsverfahren wie beispielsweise Dreh-, Schleif- oder Fräsbearbeitungen, die bereits bei Gutteilen eine hohe Variabilität in der Oberflächenstruktur erzeugen.
Eine anschließende thermische oder galvanische Behandlung der Teile verändert die produzierten Teile weiter und erhöht die Variabilität der Oberfläche und auch die Möglichkeiten zur Entstehung von Fehlern. Oberflächenfehler können bereits im Material des Werkstücks angelegt sein (zum Beispiel Risse und Lunker), bei der Bearbeitung entstehen (Drehrillen und Rattermarken) oder durch das Teilehandling entstehen wie Schlagstellen, Kratzer und Wasserflecken. Diese große Variabilität macht eine präzise, parametrische Beschreibung aller Fehler beziehungsweise der erlaubten oder gewünschten Solloberfläche ausgesprochen schwierig.
Dennoch ist in der Regel eine schnelle und zuverlässige 100-%-Prüfung der Bauteile erforderlich. Je nach späterer Funktion des Bauteils können selbst kleinste Schlagstellen das Werkstück unbrauchbar machen, wenn diese etwa auf späteren Dichtflächen auftreten.
Eine Möglichkeit stellt hier eine adaptive Bildauswertung dar. Diese orientiert sich an der Fähigkeit des Menschen, Unregelmäßigkeiten sowohl in bekannten als auch in unbekannten Oberflächen zu erkennen. Unter der Voraussetzung, dass die Defekte nur einen kleinen Teil der gesamten Oberfläche einnehmen, werden diese als auffällige Abweichungen vom Hintergrund wahrgenommen.
Diese Vorgehensweise wird von der am Fraunhofer IPA entwickelten, selbstlernenden Software zur Defekterkennung nachgebildet. Hierbei handelt es sich um ein unüberwachtes Lernverfahren ohne Hinterlegung einer Gutklasse.
In einem ersten Schritt wird eine Analyse der Oberfläche im aktuell vorliegenden Bild durchgeführt. Hierbei wird ein die Oberfläche charakterisierendes Modell erzeugt, welches jedoch lokale Störungen ausblendet. In einem zweiten Schritt wird die gesamte Oberfläche mit dem erzeugten Modell verglichen und abweichende Bereiche werden als Defekte erkannt. Damit sind Defekte als Störung in der im Bild dominierenden Oberflächenstruktur definiert und müssen nicht mühsam extern festgelegt werden.
System adaptiert sich auf jedes Prüfteil automatisch
Mit diesem Prüfkonzept vereinfacht sich für den Anwender die Oberflächenprüfung. Die Parameter zur Trennung von Gut- und Schlechtklasse müssen nicht mehr für jede Produktvariante festgelegt werden. Vielmehr adaptiert sich das System auf jedes Prüfteil automatisch.
Damit können erlaubte Schwankungen in der Oberflächenstruktur abgefangen werden. Für den Anwender reduziert sich die Anforderung darauf, die Fläche oder die Gestalt der Defekte zu tolerieren. Anwendungen sind zudem für unterschiedlichste Materialien wie etwa Metall, Keramik, Textil oder Schäume möglich.
In einer Variante der Software kann die Solltextur anhand eines Beispielbildes vorgegeben werden. Hier bleibt dann das die Oberfläche charakterisierende Modell über die gesamte Prüfzeit konstant. Dieses Vorgehen ist sinnvoll, wenn die Oberflächen an sich sehr konstant ausfallen, auftretende Fehler jedoch sehr großflächig auftreten.
Neben anderen Kriterien wie Genauigkeit und Durchsatz ist die Bedienbarkeit von optischen Prüfsystemen ein entscheidendes Kriterium für die Auswahl eines Prüfsystems. Dass unter der „Haube“ komplexe Algorithmen zu Werk gehen, bedeutet nicht zwangsläufig, dass auch die Bedienung komplex sein muss.
Komplexe, intransparente Programmabläufe überfordern den Anwender sehr schnell und können oftmals nur nach Schulungen und langen Einarbeitungszeiten beherrscht werden. Eine schnell anpassbare Prüfumgebung, welche den Anwender ermutigt, eigenständig Anpassungen für neue Produkte zu erstellen, muss als Ziel ausgegeben werden. Daher ist die Mensch-Maschinen-Interaktion von entscheidender Bedeutung sowohl für den erfolgreichen Einsatz einer autovisuellen Prüfanlage als auch für eine nachhaltige und wirtschaftliche Investition auf dem Gebiet der Qualitätssicherung.
Mit dem am Fraunhofer IPA entwickelten Bildverarbeitungspaket Emsis können zahlreiche optische Prüfaufgaben schnell und einfach gelöst werden. Die Entwicklung erfolgte nach dem Grundsatz, eine leistungsstarke und dennoch leicht zu bedienende Software zu erstellen, die durch ihre Flexibilität, speziell bei der Prüfung von vielfältigen Produktvarianten in großen Stückzahlen, zu überzeugen weiß.
Umfangreiches Hintergrundwissen ist nicht nötig
Durch die Wahl einer geeigneten Kombination von Kamera, Objektiv und Beleuchtung ist es möglich, an einer großen Vielfalt von Werkstücken maßgeschneiderte Lösungen für die verschiedensten Aufgabenstellungen zu realisieren. Dem Anwender wird ein Werkzeug zur Verfügung gestellt, mit dem Prüfprogramme ohne umfangreiches Hintergrundwissen schnell erzeugt und angepasst werden können.
Eine große Zahl der enthaltenen Mess- und Prüfwerkzeuge können direkt ohne Parametrierung angewendet werden. Selbst komplexe Prüfwerkzeuge wie die selbstlernende Oberflächenprüfung sind dabei so gut verpackt wie einfache Längenmessaufgaben und können wie diese toleriert werden. ■
Der Autor
Bernd Bieberstein
Wissenschaftlicher
Mitarbeiter
Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik
und Automatisierung IPA