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Bewerber-Stärken verschwinden in der Anonymität

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Bewerber-Stärken verschwinden in der Anonymität

Bewerber-Stärken verschwinden in der Anonymität
Dorothee Mayrhofer Beratungsgruppe Wirth + Partner, München www.wirth-partner.com
Obwohl seit Einführung des Antidiskriminierungsgesetzes von 2006 kein Bewerber wegen Alter, Geschlecht, Herkunft oder Religion bei der Einstellung benachteiligt werden darf, hat sich an der Praxis vieler Unternehmen wenig geändert. Daraufhin hat die Antidiskriminierungsstelle des Bundes das Pilotprojekt Anonyme Bewerbungen initiiert. Mit positiven Ergebnissen: Zuvor benachteiligte Kandidaten wurden stärker berücksichtigt. Doch gesichtlose Bewerbungen verdecken auch die individuellen Eigenheiten, die für die Auswahl oft entscheidend sind.

Fünf ausgewählte Unternehmen und drei öffentliche Arbeitgeber haben eineinhalb Jahre lang Bewerbungen nur über ihr entsprechendes Online-Portal – ohne Angabe von Name, Geburtsort, Alter, Familienstand – akzeptiert beziehungsweise diese Angaben mit hohen administrativen Aufwand geschwärzt. Für die Vorauswahl zählten nur Abschlüsse und Berufserfahrung. Erst vor dem Bewerbungsgespräch durften die Vorgesetzten Namen und Zeugnisse sehen. Nur auf Fotos zu verzichten, hätte für den gesetzten Anspruch nicht ausgreicht.

Mehr Frauen finden einen Job
Nach Abschluss der Testphase konnte man viele positive Erfahrungsberichte von Personalverantwortlichen lesen. Die Einstellungspraxis der Unternehmen hat sich zugunsten bisher eher benachteiligter Bewerbergruppen merklich verändert. So wurden vergleichsweise mehr Frauen und ausländische Bewerber in das Auswahlverfahren integriert und auch eingestellt.
Für Positionen, bei denen die Kernaufgabe der Personalabteilungen die richtige Auswahl aus einer Vielzahl von Kandidaten ist, stehen die Verantwortlichen täglich vor der Qual der Wahl. Auch bei Positionen, in denen sehr prozessorientiert gearbeitet wird und es weniger auf die persönliche Ausgestaltung durch den Arbeitnehmer ankommt, gibt es vermutlich viele potenziell passende Kandidaten. Da mag diese Vorgehensweise ein positiver Schritt in Richtung Chancengleichheit sein.
Was ist jedoch mit all jenen, bei denen aus unterschiedlichsten Gründen passende Kandidaten quasi wie die Stecknadel im Heuhaufen gesucht werden? Hier muten solche Methoden wie blanker Aktionismus an.
Vor-Urteile müssen nicht immer zu Lasten der Bewerber ausfallen. Vielleicht bekommt die sympathische türkische Bewerberin trotz schlechter Abschlussnoten einen Job, weil sie positiv auf dem Bild wirkt. Eine gesichtslose Bewerbung verhindert Individualität, die im Berufsalltag überall gefordert ist. Diversity (Frau/Mann, jung/alt, deutsch/interkulturell) ist doch das Zauberwort für mehr Produktivität im Unternehmensalltag.
Auswahlkriterien auf dem Prüfstand
Sicherlich muss jeder Einstellende sich regelmäßig ehrlich prüfen und seine Auswahlmaßstäbe laufend hinterfragen. Manchmal entsteht ein Schubladendenken, resultierend aus einer wiederholt kritisch reflektierten Lebenserfahrung. Muss das Rad wirklich täglich neu erfunden werden? Ist es unrecht, (Berufs-)Erfahrung in der Entscheidungsfindung zu nutzen?
Positiv ist, dass viele Beteiligte des Pilotprojektes eine Diskussion zur unternehmensinternen Rekrutierungspraxis in den jeweiligen Organisationen erlebt und ihre Auswahlkriterien auf den Prüfstand gestellt haben. Wenn am Ende eines Auswahlprozesses ehrbare Motive ursächlich sind, warum manche Bewerber auf die zu besetzenden Aufgabe nicht passen, dann werden anonyme Bewerbungen nur zu Zeit- und Kostenfressern. Denn diese Kandidaten fallen spätestens beim Gespräch aus dem Auswahlverfahren heraus.
Außerdem besteht bei diesem Verfahren auch die Gefahr, dass dieselbe Scheinheiligkeit/Doppelbödigkeit in den Entscheidungsprozessen entsteht, wie wir sie schon durch die arbeitsgerichtliche Verpflichtung bei der Zeugnisformulierung erleben. Klarheit und Transparenz stehen dort leider nicht an erster Stelle. Und das Streben danach ist sowieso äußerst schwierig, da neben Hardfacts wie fachliche Qualifikation im Beruf vor allem Softskills wie die persönliche Chemie für den Erfolg entscheidend sind.
Auch krumme Lebensläufe passen
Doch es gibt ohnehin ein Streben nach Individualität im Einstellungsprozess. Bei vielen Arbeitnehmerprofilen stehen die Arbeitgeber seit Jahren vor der Situation, dass sie nur wenige passende Bewerber zur Auswahl haben. Dort ist man offen für krumme Lebensläufe und weiß, dass die wahren Perlen sich oft in grauen Muscheln verstecken. Es gibt keine guten oder schlechten, sondern nur passende und unpassende Bewerber. Und die dürfen ihre Stärken nicht in der Anonymität verstecken.
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