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„Bildverarbeitung braucht Praxiswissen“

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„Bildverarbeitung braucht Praxiswissen“

„Bildverarbeitung braucht Praxiswissen“
Ingmar Jahr, Schulungsleiter der Vision Academy in Erfurt, die zu den Pionieren auf dem Gebiet der Aus- und Weiterbildung im Bereich der Bildverarbeitung zählt Bild: Vision Academy
Kein Unternehmen, das sich mit Bildverarbeitung befasst, kommt ohne ein gewisses Know-how der Technik aus. Auch dann nicht, wenn der Betrieb der Systeme an einen Dienstleister ausgelagert wird. Davon ist Ingmar Jahr überzeugt, Schulungsleiter der Vision Academy GmbH mit Sitz in Erfurt.

Herr Jahr, die Bildverarbeitung hat mittlerweile in vielen Bereichen Einzug gehalten. Viele Technologien sind ausgereift, oft werden sie von Dienstleistern implementiert. Ist damit für die Anwenderunternehmen alles im grünen Bereich?

Eine Lösung einzukaufen und sie am Laufen zu halten sind zwei Paar Schuh. Wenn man Bildverarbeitung einsetzt, dann tut man dies meist, weil man weiß, eine äußerst leistungsfähige Technologie zu nutzen, die nahezu überall einsetzbar ist, die eine der wenigen berührungslosen Technologien ist, die äußerst komplexe Daten mit sehr hohen Geschwindigkeiten verarbeiten kann und die obendrein anwendungsabhängig sehr genau sein kann. Man sollte sich aber auch darüber im Klaren sein, sich eine pflegebedürftige Technologie ins Haus zu holen. Auch wenn Bildverarbeitung berührungslos und verschleißfrei arbeitet, muss sich jemand darum kümmern. Einfach in Betrieb nehmen und für die nächsten Jahre seine Ruhe haben, das ist ein schöner Wunschtraum. Bildverarbeitung verlangt danach, dass es jemanden gibt, der bei Prozessänderungen und Störungen eingreifen kann. Dazu braucht der Anwender Bildverarbeitungskenntnisse. Spätestens bei der ersten Störung der Anlage kommt der Ruf danach.
Ist die Bildverarbeitung heute selbsterklärend oder eher komplex für die Anwender?
Wenn es um die reine Bedienung geht, gibt es etliche gute Beispiele, die zeigen, wie die Algorithmik übersichtlich in Bedienkonzepte umgesetzt werden kann. Das gilt besonders für die Vision Sensoren, deren Bedienung schnell erlernbar ist. Geht es allerdings um deren Auswahl oder um die Frage der Eignung, muss man auch einiges an Bildverarbeitungs-Wissen mitbringen. Oder man nutzt die zeitraubende Trial-and-Error-Methode. Da die Bildverarbeitung meist nicht „Aschenputtelaufgaben“ sondern komplette Maschinensteuerungsaufgaben übernimmt, besteht eine Bildverarbeitungslösung aus weitaus mehr als nur der Bedienung. Sie vereint Optik, Beleuchtungs-, Kamera-, Signalverarbeitungs-, Automatisierungs-, Steuerungs-, Schnittstellentechnik und obendrein Mechanik. Diese systembedingten Verknüpfungen machen die Technik häufig schwer durchschaubar, besonders dann, wenn etwas mal nicht so läuft, wie es soll. Da hilft nur solides Wissen.
Tragen neue Technologien wie die 3D-Bildverarbeitung zur Steigerung der Komplexität bei?
Auch wenn die Hersteller bemüht sind, die Systeme einfach bedienbar zu machen, steigt damit auch die Komplexität. Das liegt ganz einfach in der Physik der Sache. Zusätzliche Berechnungen in der Tiefe oder im Volumen sind nun mal schwieriger zu erfassen als jene in der Ebene. Hinzu kommt, dass es bei 3D eine ganze Anzahl physikalisch verschiedener Verfahren gibt, die die Tiefeninformation liefern. Und deren Funktion basiert auf einem recht umfangreichen Wissenshintergrund.
Wo liegen die Aufwände? Bei der Inbetriebnahme oder bei der Pflege des Systems?
Das kommt darauf an, wie mit der Frage des Make or Buy umgegangen wird. Wer sich für das Make entscheidet, wird sehr wahrscheinlich schon bei Konzeption, Lösungsfindung, Konstruktion, Programmerstellung und bei der Inbetriebnahme etlichen Aufwand verbuchen. Aber auch der Einkauf einer fertigen Lösung schützt nicht vor Aufwand: Man muss sich auch weiter darum kümmern. Wer das ignoriert, den wird die Bildverarbeitung auf längere Sicht mit Fehl- oder Nichtfunktion strafen. Und das trotz aller Einfachheit der Bedienung und Robustheit der Verfahren. Bildverarbeitung ist nun mal eine Synthese verschiedener Technikdisziplinen.
Wo liegen die generellen Fallstricke bei der Bildverarbeitung, die es Ihrer Ansicht nach notwendig machen, sich mit der Technik vertraut zu machen?
Lassen Sie mich diese Frage mit einem abgewandelten Zitat beginnen: Am Anfang ist das Licht. Im wahrsten Sinne des Wortes beginnen die Fallstricke ganz vorn im Signalweg – bei der Bildgewinnung. Was hier versäumt wird, das lässt sich später schlecht, zum Teil gar nicht mehr ausbügeln. Teilweise lässt sich dann nicht mehr reproduzieren, was schief gegangen ist. Und mit diesen Daten sollen dann vertrauenswürdige Ergebnisse generiert werden? Die pragmatischen Amerikaner haben da einen schönen Spruch: Trash in – Trash out. Wo als Eingangsdaten „Müll“-Bilder genutzt werden, kann als Ergebnis auch nur „Müll“ herauskommen.
Welche Rolle spielt somit das Licht?
Die wichtigste. Die Software hat die vorrangige Aufgabe auszuwerten und nicht Versäumnisse des Systemdesigns zu korrigieren. Und bei der Bildgewinnung kommt auf dem Weg von der Beleuchtung über das Prüfobjekt, durch die Optik, die Signalwandlung im Bildaufnehmer, die Digitalisierung und die Ablage des Bildes im Bildspeicher nun mal die ganz Physik des Lichts, der Mechanik und der Elektronik zusammen. Alles nur durch die begrenzte „Auswerte-Brille“ der Algorithmik/Mathematik/Informatik zu betrachten, erfasst viel zu wenige Aspekte der ganzheitlichen Technologie Bildverarbeitung. Das bemerken wir immer wieder in unserer zu sehr softwaregläubigen Zeit. Anders gesagt: Was sind 1000 Euro für eine passende Beleuchtung gegenüber vier Wochen vergeblicher Softwareentwicklung?
Was passiert im Extremfall , wenn sich niemand im Unternehmen um die Bildverarbeitung kümmert?
Ganz einfach: Die Bildverarbeitung wird nicht genutzt, nachts abgeschaltet („Wir haben es ja schon vorher gewusst: die Technik funktioniert nicht“), oder demontiert und in die Ecke gestellt. Investitionen werden in den Sand gesetzt („Das war von vornherein zu teuer“) und es wird Stimmung dagegen gemacht („Als wir noch alles manuell gemessen haben, stimmten die Werte immer“). Bemerkenswerterweise passieren die negativen Dinge aber immer dann, wenn niemand dazu abgestellt wird, sich um die Bildverarbeitung zu kümmern. Daher auch meine Botschaft an die Personal-Entscheider: Der Einsatz von Bildverarbeitung bedeutet nicht nur Einsparungen beim Inspektionspersonal, sondern auch Investition in qualifiziertes Wartungs- und Instandhaltungspersonal, das die leistungsfähige Technik souverän beherrscht. Nur so können alle Potenziale der Bildverarbeitung ausgeschöpft werden.
Welche Entwicklungen beobachten Sie derzeit bei den Anwenderunternehmen: Bauen sie Kompetenzen im Bereich Bildverarbeitung auf – oder wird dieses oft an Dienstleister ausgelagert?
Erfreulicherweise beobachte ich seit zehn Jahren , dass die vormals ausgelagerten Bildverarbeitungs-Dienstleistungen wieder in die Betriebe zurückgeholt werden und eigene Abteilungen oder zumindest -gruppen aufgebaut werden. Offensichtlich haben sich einige Unternehmen durch die Auslagerung der „Kompetenz Bildverarbeitung“ blaue Flecken geholt. Sie wollen das Risiko der Nichtfunktion von Anlagen, ausufernde Service-Rechnungen der Lieferanten oder Abhängigkeiten nicht mehr riskieren.
Sollte jedes Unternehmen, das Bildverarbeitung einsetzt, eigenes Know-how aufbauen?
Es kommt natürlich darauf an, wie groß ein Betrieb ist und wie häufig er Bildverarbeitung einsetzt . Kleine Betriebe mit einzelnen Anlagen werden verständlicherweise externe Serviceleistungen zur Wartung und damit externes Wissen in Anspruch nehmen. Aber jeder, der auch nur ab und an eigene Lösungen für die Bildverarbeitung entwickelt, also typischerweise Systemintegratoren, sollte entsprechendes Wissen aufbauen, um schnell und flexibel die Möglichkeiten und Chancen der Technologie auszuschöpfen. Auch für Maschinenbauer, die in ihre Anlagen Vision-Systeme integrieren, sollte der Know-how-Aufbau selbstverständlich sein. Erfreulicherweise ist dies bei dieser Gruppe heute Standard.
Gibt es eine Faustformel dafür, welche Mitarbeiter wie tief in die Technik einsteigen sollten?
Viel zu wissen ist immer gut. Jedoch wird es zeitliche, aufgabenbedingte und auch budgetbedingte Begrenzungen geben. Je nach Ausrichtung des Unternehmens kann die Wissenstiefe sehr verschieden sein. Im Allgemeinen unterscheiden sich nach dem Wissensstand die Aufgabengebiete von Instandhaltungs- und Wartungspersonal, von Systemintegratoren, von Entwicklern und Maschinenbauern. Diese Stufung bilden wir mit den Aus- und Weiterbildungsangeboten der Vision Academy auch ab.
Gibt es in Deutschland hinreichend Weiterbildungsmöglichkeiten in diesem Bereich, die die unterschiedlichen Voraussetzungen der Mitarbeiter in den Unternehmen berücksichtigen?
Ich glaube nein. Im akademischen und eher theoretischen Bereich hat sich in den letzten Jahren zwar einiges getan. Aber gerade im berufspraktischen Bereich ist noch viel Aufbauarbeit zu leisten. Industrielle Bildverarbeitung findet nun mal in rauer Industrieumgebung statt und nicht im beschaulichen Labor. Und für die berufspraktische Weiterbildung gibt es nur wenige Angebote. Die Vision Academy hat dies aufgegriffen und Trainingsprogramme für verschiedene Anwendergruppen geschaffen. An praktischen industriellen Aufgabenstellungen wird herstellerneutral, effektiv und fachrichtungsübergreifend fundiertes Hintergrundwissen vermittelt und praktisch erfahren. Denn Begreifen kommt nun mal von „Anfassen“.
Sabine Koll
„Es geht nicht ohne Investitionen in qualifiziertes Personal“
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