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Die Wärme bringt es an den Tag

Thermoanalyse sichert die Qualität von Chemiefasertextilien
Die Wärme bringt es an den Tag

Bevor Textilien zu Endprodukten verarbeitet werden, muss ihre anwendungsgerechte Qualität gesichert sein. Bei synthetischen Geweben geschieht dies unter anderem durch die Thermoanalyse, bei der Fehler in der Zusammensetzung des Polymers und bei der Faserherstellung nachvollzogen werden können.

Über 1.200 Textil- und Modebetriebe (mit mehr als 20 Beschäftigten) in Deutschland mit zusammen mehr als 120.000 Beschäftigten und einem Umsatzvolumen von gut 22 Milliarden Euro bilden ein starkes Wirtschaftspotential. Die 230 in diesen Zahlen enthaltenen Textilveredelungsbetriebe (davon 120 reine Veredler) sind das auch qualitätstechnisch gesehen. Denn sie bestimmen mit der von ihnen gelieferten Faserqualität die Güte der daraus gefertigten Textilien. Geeignete Verfahren zur Messung und Sicherung dieser Qualität sind also unabdingbar.

Zur Herstellung von Textilien ist eine ganze Palette von Verfahrensstufen nötig. Der Lebenszyklus eines Textils beginnt mit der Naturfaser oder der Herstellung synthetischer Fasern, der nächste Schritt ist die Herstellung von Garnen daraus. Aus den Garnen wiederum werden etwa durch Weben, Stricken, Wirken, oder Vliestechniken flächige Textilgebilde hergestellt. Die Veredlungsverfahren (Vorbehandlung, Färben, Bedrucken und Ausrüsten) folgen. Fasern und Garne können aber auch schon vor der Verarbeitung zu Textilien vorbehandelt werden.
Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit der Qualitätsprüfung und -sicherung von Chemiefasertextilien, dargestellt an der Dynamischen Differenz-Thermoanalyse, die Dr.-Ing. Eva Bittmann, werkstoff & struktur, im oberfränkischen Herreth, in Zusammenarbeit mit zertifizierten werkstofftechnischen Labors, wie Weber & Leucht GmbH, Fulda, zu diesem Zweck einsetzt.
„Textilien aus Chemiefasern durchlaufen einen komplexen Fertigungsprozess vom Polymer über die Faser- und Garnherstellung bis zum Endprodukt, etwa einem Gewebe. Vielfältige Rezeptur- und Prozesseinflüsse haben Auswirkungen auf das Materialverhalten und damit die Qualität textiler Produkte“, erläutert Dr. Bittmann und fährt fort: „Mit Hilfe der Thermischen Analyse ist es möglich, Rückschlüsse auf einige dieser Faktoren zu ziehen.“
So können beispielsweise bestimmte Additive wie UV-Absorber auf Salzbasis an ihrer nukleierenden (keimbildenden) Wirkung erkannt oder die Temperatur der Trocknung oder Thermofixierung nachvollzogen werden. Auch über das Vorhandensein flüchtiger Stoffe wie Lösungsmittel gibt die Thermische Analyse Auskunft.
Zu den gängigsten Chemiefasern gehören Polyester und Polyamid. Als teilkristalline Kunststoffe sind sie in der Lage, bei Abkühlung aus der Schmelze kristalline Strukturen zu bilden. Da dies in der Regel nicht vollständig geschieht, sondern auch noch ungeordnete, sogenannte amorphe Bereiche verbleiben, kann hier bei weiterer Wärmezufuhr eine zusätzliche Kristallisation erfolgen.
Polymere outen sich in der Wärme
Kristallisations- und Schmelzeffekte lassen sich mit Dynamischen Differenz-Thermoanalyse (Differential Scanning Calorimetry – DSC), dem wichtigsten Verfahren der Thermischen Analyse, qualitativ erfassen. Hierbei wird der Wärmefluss einer in einem kleinen Tiegel befindlichen Kunststoffprobe, etwa einem Stückchen Chemiefasergewebe, und einem leeren Referenztiegel vergleichend gemessen. Die Tiegel befinden sich in einem Ofen, der linear (10°C/min) aufgeheizt und abgekühlt wird. Das Messergebnis wird in einer Kurve dargestellt, die den Wärmefluss über der Temperatur zeigt.
Zum Beispiel kann man anhand des Kurvenverlaufs der ersten Aufheizung eines gefärbten Polyestergewebes dessen Anlieferungszustand begutachten und Informationen über seine thermische Vorgeschichte erhalten. Der stark ausgeprägte Peak bei 259°C kennzeichnet das Schmelzen der beim Schmelzspinnprozess entstandenen Kristallite. Der Flächeninhalt dieses Peaks repräsentiert die Schmelzenthalpie, das heißt den Wärmeinhalt dieses endothermen Prozesses, bei dem Wärme für das Schmelzen der Kristallite eingebracht wird, ohne dass die Temperatur ansteigt. Weiter findet man bei zirka 170°C einen kleinen Peak. Hier schmelzen diejenigen Kristallite, die sich im festen Zustand beim Trocknungsvorgang des Gewebes gebildet haben. Erfahrungsgemäß liegt die zugehörige Prozesstemperatur etwa 10–15°C niedriger, also bei etwa 160°C. Im direkten Vergleich der Abkühlkurven zweier, aus unterschiedlichen Chargen stammender Polyestergewebe gleichen Typs zeigt sich folgendes Bild: Die gegenüber den Schmelzpeaks nach oben, in „exotherme“ Richtung zeigenden Peaks veranschaulichen das Kristallisieren unter Wärmeangabe der in der ersten Aufheizung erzeugten Kunststoffschmelze. Gewebe 1 kristallisiert bei einer um 4°C höheren Temperatur als Gewebe 2, was darauf hindeuten könnte, dass ersteres einen größeren Anteil nukleierender Additive besitzt. An den hauptsächlichen Kristallisationspeak schließt sich jeweils ein weiterer, breiterer an, der möglicherweise auf eine zweite (polymere) Substanz hinweist.
Fazit
Die Differenz-Thermoanalyse (DTA) ist ein thermisches Verfahren zur Materialanalyse. Es nutzt die Tatsache eines charakteristischen Energieumsatzes beim Phasenübergang zur qualitativen Analyse, basierend auf einem Vergleich der Temperaturen einer Probe und einer ausgewählten Referenzsubstanz. Eine aus der DTA weiterentwickelte Methode ist die hier beschriebene Dynamische Differenzkalorimetrie (Differential Scanning Calorimetry – DSC), bei der die Wärmestrom-Differenz erfasst wird. Damit können charakteristische Temperaturen und kalorische Kenngrößen ermittelt werden.
Klaus Diebold, Fachjaournalist

Nachgefragt
Frau Dr. Eva Bittmann vermittelt hier Basiswissen über Polymere, das uns für das Verstehen der Thermoanalyse wichtig zu sein scheint.
Kristallisation
Beim Abkühlen einer Thermoplastschmelze bilden sich Kristallite, deren Wachstumsgeschwindigkeit von verschiedenen Faktoren abhängt. Meist ist ein hoher Kristallisationsgrad erwünscht, der gute Festigkeit und Steifigkeit bei hoher Zähigkeit, gute Chemikalienbeständigkeit etc. bedingt. Da dies in der Regel nicht vollständig geschieht, sondern auch noch ungeordnete, so genannte amorphe Bereiche (in glasartigem, flüssigem Zustand) verbleiben, kann hier bei weiterer Wärmezufuhr eine zusätzliche Kristallisation erfolgen. Wenn man zu schnell abkühlt, haben die Kristallite zu wenig Zeit, um sich zu bilden. Das kommt natürlich auch auf die materialspezifische Wachstumsgeschwindigkeit an: Bei PE geht es ganz schnell, bei PET z.B. dauert es sehr lange, deswegen sind die PET-Flaschen ja auch durchsichtig, das heißt nicht-kristallin. Gibt man einem Kunststoff Keime hinzu, geht das Kristallisieren aus der Schmelze schneller. Während des Abkühlens setzt dieser Effekt bei höheren Temperaturen ein (freut den Verarbeiter!). Deswegen setzt man in der Kunststofftechnik oft Nukleierungsmittel zu. Bei den Fasern scheint es umgekehrt zu sein: Die eigentlich für einen anderen Zweck eingesetzten Additive machen sich durch den Nebeneffekt der Nukleierung bemerkbar; wenn sie nicht drin sind, fällt diese Nukleierung weg.
Kristallisation als Qualitätsmerkmal
Optimale respektive nicht-optimale (Teil-)Kristallinität ist auch ein Qualitätsmerkmal. Wenn nämlich ein eigentlich zum Kristallisieren befähigter Kunststoff in der Verarbeitung nicht genügend auskristallisiert wurde, tut er dies möglicherweise später, bei Lagerung, Weiterverarbeitung etc. Das führt unter anderem zu Dimensionsänderungen und Verzug.
UV-Absorber
UV-Absorber sind Stoffe, die das UV-Licht wegfangen, also in komplexer Weise unschädlich machen. Ohne UV-Absorber wird das rote T-Shirt draußen möglicherweise gelb. Zu viele Absorberstoffe machen die Faserherstellung teurer.
Wenn Kurven sprechen
Kann aus den Kurvenverläufen abgelesen werden, ob und aus welchem Grund eine Faser oder ein Gewebe bei der Thermoanalyse durch den „Qualitätsraster“ fällt, war unsere Frage? Bittmann: Wenn Stoffe in ihren thermischen Eigenschaften identisch sein sollen, ihre DCS-Kurvenpeak-Maxima aber mehr als 2°C voneinander abweichen, dann stimmt vermutlich etwas nicht. Generell lassen sich die Ursachen für die Abweichung aber nicht formulieren, es kommt immer auf den Einzelfall an – und nicht zuletzt auf die Erfahrung dessen, der die Thermoanalyse durchführt. Oft steht die Thermische Analyse aufgrund der schnellen und kostengünstigen Beurteilung am Anfang der Fehlersuche. Aufwändige Methoden wie z.B. Gaschromatographie und Massenspektroskopie ermöglichen dann, dem Fehler genauer auf die Spur zu kommen.
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