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Entwicklung mit System

Wie Toyota von DRBFM profitiert
Entwicklung mit System

Qualitätsmethoden in der Entwicklung sind häufig nur ein Rechtfertigungselement. Mit ihrer Hilfe soll der Nachweis guter Ingenieursarbeit erbracht werden. Dies geschieht in mehrfacher Hinsicht nachträglich. Damit können Qualitätswerkzeuge kaum noch Wert produzieren. Toyota hat gezeigt, dass das Qualitätswerkzeug Design Review Based on Failure Mode (DRBFM) produktiv in den Dienst der Entwicklung gestellt werden kann, was dazu führt, dass robustere Produkte den Kunden begeistern.

Marcus Schorn, Gründer und Vorstand der PLATO AG

Design Review Based on Failure Mode (DRBFM) ist ein Werkzeug, das von Tatsuhiko Yoshimura entwickelt wurde. Yoshimura ist ein Toyota-Veteran, der 32 Jahre in diesem Unternehmen für Zuverlässigkeit zuständig war. Nun bekleidet Yoshimura den Rang eines Direktors bei General Motors und hilft dem weltweit größten Automobilhersteller, seine Qualitätsprobleme in den Griff zu bekommen. Im Zentrum seiner Aufgabe steht jetzt die Auseinandersetzung mit den kulturellen Voraussetzung, die geschaffen werden müssen, damit die Qualitäts- und Engineeringmethode DRBFM auch im Westen erfolgreich sein kann.
Yoshimura hat einen großen Teil seines beruflichen Lebens der Aufgabe gewidmet, Probleme zu verhindern, bevor sie auftreten. Auch er räumt ein, dass er innerhalb von Toyota mit diesem Ansatz häufig relativ einsam da stand1. Seine Kollegen, die als „Trouble-shooter“ agierten, waren anscheinend die Helden des Unternehmens: sie lösten allerdings Probleme, die bereits aufgetreten sind. Er kommt zu einem Resultat, das dem Ergebnis einer Studie des MIT2 ähnelt: „Nobody Ever Gets Credit for Fixing Problems that Never Happened“. Es scheint so, als ob die Lernfähigkeit eines Unternehmens, Fehler präventiv zu vermeiden und nicht nur aufgetretene Fehler „optimal“ zu beseitigen, einer Reife des Unternehmens bedarf, die durch Offenheit für Verbesserungsprozesse gekennzeichnet ist. Ein Lernprozess kann aber in der Regel nicht beliebig schnell erzwungen werden; hier spielt – auch bei besten Absichten – der Faktor Zeit eine entscheidende Rolle.
Mythos Top-down-Optimierung
Auch westliche Management-Methoden zielen darauf, vorausschauend Probleme anzugehen. Häufig sind diese Problemlösungsansätze mit einem Leitbild oder einer Vision verknüpft, die von oben nach unten – top down – durchgereicht werden sollen. Die Durchsetzung der Optimierungsziele wird hier typischer Weise direktivistisch erzwungen. Die Logik ist einfach: wer die Strategie als sinnvoll erachtet, der muss sich auch den einzelnen Teilzielen verpflichtet fühlen. In diesem Artikel vertreten wir die These, dass sich dahinter ein teilweise naives zumindest aber stark simplifizierendes Weltbild verbirgt.
Ein Beispiel für ein Weltbild der Effizienz, das sich wie ein einfaches, gutes Kochrezept liest, ist etwa:
  • Auf allen Ebenen muss ein klares Verständnis von Wert im Sinne des Kundennutzens vorhanden sein.
  • Das Handeln (Prozesse) muss unter dem Blickwinkel von „Wert“ und „Verschwendung“ aktiv reflektiert und kritisch bewertet werden.
  • Verschwendung gilt es zu identifizieren und zu beseitigen3
Jeder dieser Sätze verfügt über eine gute Plausibilität. Toyotas Denkweise scheint getroffen. Die implizite Folge aus den Regeln, wird dann allerdings schnell so formuliert: „Jetzt, Herr Ingenieur, setze tunlichst nicht mehr das um, was du kannst und höre auf, deine Träume verwirklichen zu wollen!“
Commitment des Ingenieurs notwendig
Unsere Auffassung ist es, dass sich hinter derartigen Forderungen ein Zwangsapparat formiert, der Kreativität, Hingabe, Verpflichtung und langfristiges Engagement im Keim erstickt.
Das Wohl des Ingenieurs steht darum im Zentrum der Philosophie von Yoshimura und Toyota. Es ist nicht unerheblich, inwieweit der Ingenieur seine Träume leben kann. Hier scheint es sehr wohl Schnittstellen zwischen den Erkenntnissen westlicher Psychologie und östlicher Unternehmenspraxis zu geben. Warum sollten Änderungsprozesse deshalb nicht dort ansetzen, wo diese Träume ihre Gestalt annehmen? Mit dem Ingenieur verhält es sich nicht anders als mit allen anderen Menschen. Der Grad der Verbundenheit mit der (Um-)Welt entscheidet darüber, wie gut das, was der Mensch zu geben bereit ist, das trifft, was andere benötigen. Da ein Volltreffer an dieser sensiblen Stelle sehr unwahrscheinlich ist, entscheidet die Qualität des Dialoges (Good Discussion, siehe unten) mit meinen Mitmenschen und Kunden (down-stream, wie Yoshimura sagt) darüber, ob ich mit dem, was ich hervorbringe, meinen Abnehmer auch wirklich erreiche.
Grundlegend für das Gelingen des Dialoges ist der menschliche Wunsch, bei dem anderen auch wirklich ankommen zu wollen. Ein anderes Wort für diesen Wunsch ist: Leidenschaft. Damit diese und direktes Feedback überhaupt in der Prozesskette wahrgenommen werden können, verlangt Yoshimura der Entmenschlichung der Prozesse entgegenzuwirken und persönliche Interaktion und Feedback in Teams zu fördern.
Qualitätswerkzeuge stehen im Dienst der Entwicklung
Die hauptsächliche Schwäche des Mythos der Effizienz sieht Yoshimura darin, dass die vom Management erdachte Effizienz-Strategie aus unterschiedlichen Gründen niemals oder verfälscht beim Ingenieur ankommt und dort womöglich schlicht Widerstand erzeugt – eben Ineffizienz. Gegen den Mythos der Effizienz durch globale Optimierungsbestrebungen hält Yoshumira das Verwenden von einfachen Metaphern. Ihnen wird von vornherein und bewusst keine wissenschaftliche Fundierung gegeben. Ihre Aufgabe ist es, eine Idee zur Verbesserung zu transportieren.
Die theoretische Untermauerung von Metaphern ist nicht nur unnötig, sondern auch schädlich: die scheinbare Rationalisierung der Metapher entzieht ihr ihre kreative und subjektive Ausdrucksstärke. Vielmehr ist der Aspekt der Offenheit der Auslegung sogar seitens des Managements gewünscht. Dies lässt dem Team die notwendige Gestaltungsfreiheit. Das Grundprinzip des Veränderungsprozesses ist damit Selbstorganisation. Dieser Prozess geht dann von unten nach oben und wird sehr wahrscheinlich in einem ersten Schritt keine perfekt organisierten, abgestimmten und vereinheitlichten Ergebnisse hervorbringen, dafür aber eine Mannschaft, die hinter dem steht, was sie geschaffen hat: vor allen Dingen hinter den Regeln, die sie sich selber gegeben hat.
Die magischen drei
Der Methodensatz oder die Qualitätsphilosophie von Yoshimura heißt GD3 (ausgesprochen englisch: G – D – Cube). GD3 steht für Good Design, Good Discussion und Good Dissection.
An der Spitze der Philosophie steht Good Design. Good Design ist ein robustes Design. Robustes Design erlangt, wer folgende beiden Regeln beachtet:
  • 1. setze möglichst viele bewährte und robuste Komponenten ein und
  • 2. suche aktiv versteckte Knospen von Problemen.
Methoden für Good Design werden von westlichen Unternehmen besser beherrscht. Yoshimura sieht eine westliche Überlegenheit bei den Methoden und Verfahren im Bereich Good Design, so wie er in den PLATO Total Quality Engineering-Prozessen umgesetzt ist.
Hinter Good Discussion steht im Wesentlichen die Methode DRBFM. Hinter Good Dissection steht die Methode DRBTR – Design Review Based on Test Results, also das Test- und Evaluierungsverfahren bei Änderungen. Yoshimura entwickelte DRBTR als ein Zugeständnis an westliche Denkweisen. DRBFM ist der ursprüngliche Kern seiner Engineering-Methode.
DRBFM ist im Wesentlichen eine entwicklungsbegleitende Fragetechnik und Kreativitätsmethode sowie zugleich auch eine Philosophie zur diskursorientierten Designfindung bzw. Designbewertung. Die Methode ist aus der Erkenntnis entstanden, dass Änderungen das höchste Fehlerpotenzial enthalten, unabhängig davon, ob aus Kostengründen, Feldfehlern, Innovationsdruck oder Anforderungsgründen (z.B. Gesetze) an Produkten, Systemen oder Prozessen geändert wird. Good Discussion heißt: den Design-Ingenieur dem Kunden näher bringen. Durch die Kunden- und Marktorientierung in der Diskussion des Design-Teams mit dem Review-Team wird ein Referenzsystem geschaffen, ohne das Lernen schwer möglich ist. Der Collaboration-Aspekt der Methode sorgt dafür, dass die Teammitglieder direktes Feedback vom Kunden und anderen Stakeholdern erhalten. Das Design-Team wird quasi geerdet, was direkt bewirkt, dass eine ernsthafte Auseinandersetzung miteinander stattfindet, ohne unnötige Schonung und durch konstruktive Fokussierung auf das, was der Kunde ausdrücklich will.
Die Rolle der IT
Bei der Unterstützung durch die IT sind drei Aspekte zu unterscheiden:
  • 1. Die Moderationssituation
  • 2. Die Workflowsteuerung
  • 3. Die Kommunikationskultur
Zu 1. weist Yoshimura darauf hin, dass die DRFBM-Untersuchung eine Teamarbeit darstellt, die schwer mit IT-Mitteln zu begleiten ist. Dies liegt daran, dass bei der Online-Dokumentation üblicherweise ein Beamer verwendet, um den Bearbeitungsstand im Formblatt oder anderen Strukturen darzustellen. Dadurch wird die Aufmerksamkeit von dem betroffenen Teil abgezogen, das in der Mitte der Gruppe die Besprechung zentrieren soll. Alleine die Tatsache, dass sich die Mitglieder einer DRBFM Sitzung um das Teil oder die Zeichnung versammeln, stellt sicher, dass jeder Teilnehmer eine andere Perspektive einnimmt. Es wird parallel gedacht und gehandelt – jeder ist immer dran. Als überaus sinnvoll sieht Yoshimuras Team den Einsatz von virtuellen Besprechungsräumen an.
Gleichzeitig sieht Yoshimura die Notwendigkeit einer guten Dokumentation der DRBFM Arbeit. Das implizite Wissen einzelner soll in dauerhaftes, hochstrukturiertes, zentralisiertes Unternehmenswissen überführt werden4. Das DRBFM-Formblatt ist dazu nur ein Mittel zum Zweck.
Bezogen auf 2. erkennt Yoshimura die Notwendigkeit von Softwaresystemen in verteilten Organisationen an. Er erwartet, dass IT Systeme sowohl den Gedankenprozess einer DRBFM unterstützen, als auch die Zusammenarbeit zwischen Kunden und Lieferanten und zwischen Teams an mehreren Standorten. Idealerweise repräsentiert die Software einen virtuellen Projektraum, in dem sich verteilte Teams treffen und diskutieren können.
Zu 3. gilt, dass Toyota zwar nicht gänzlich ohne IT (Tool-)Unterstützung auskommt, aber über kein zentrales IT System verfügt, das den DRBFM-Prozess unterstützt. An dieser Stelle werden kulturellen Unterschiede zwischen westlichen und östlichen Unternehmen am deutlichsten. Toyota hat ein „Informationssystem“ geschaffen, das interne Prozesse unterstützt und nicht auf IT basiert. Yoshimura erklärt an dieser Stelle, dass Toyota den Vorteil hat, die Entwicklung an einem Ort konzentriert zu haben und nicht durch Zukäufe belastet ist. Gleichzeitig macht er deutlich, dass westliche Unternehmen unmöglich die Art und Weise kopieren können, wie sich Toyota intern „anfühlt“. Hier wurde seitens Toyotas seit Jahrzehnten in eine ganz andersartige Kommunikations-Infrastruktur investiert. Westlichen Unternehmen entspricht IT-basierte Kommunikation. Wer also von den Toyota-Verfahren profitieren will, sollte einen guten Mix aus IT-Systemen und darin ermöglichter persönlicher Kommunikation herstellen. Beim Einsatz von IT-Systemen ist unbedingt darauf zu achten, dass sie flexibel genug sind, Selbstorganisation zu unterstützen und gleichzeitig den abteilungsübergreifenden DRBFM-Prozess.
Wertlose Formalismen überwinden
DRBFM unterscheidet sich von der FMEA und anderen Qualitätswerkzeugen durch die informelle Art der Bearbeitung bei gleichzeitig hoch strukturierter Vorgehensweise. Toyota geht es im Diskurs mit seinen Zulieferern (oder in den eigenen Projekten) darum, mit der Methode direkt Wert zu produzieren, also Probleme zu lösen und Produkte zu verbessern. DRBFM baut auf FMEA auf, sie verankert die FMEA im Entwicklungsprozess. Voraussetzung dafür ist, dass die FMEA-Inhalte den Ingenieuren während ihrer Entwicklungsarbeit leicht zugänglich sind. Der Ingenieur schreibt dann während der Erstellung eines Änderungsantrages die FMEA fort, ohne überhaupt zu merken, dass er an einer FMEA arbeitet. Dadurch wird die Risikoanalyse teil der normalen Entwicklungsarbeit.
Da haben sich strenge Formalismen als hinderlich erwiesen. Die Formalismen, die von der SAE, dem APQP Prozess und den VDA-Vorschriften her bekannt sind, erweisen sich bei kritischer Betrachtung nur als untaugliches Druckmittel, Qualität oder zumindest Einheitlichkeit zu erzwingen. Der Rechtfertigungsanteil der Arbeit (mit Qualitätsmethoden) überwiegt dann die kreative Problemlösungskomponente.
Yoshimura weist immer wieder darauf hin, dass besser über Strukturen, Systeme, Schnittstellen und deren Funktionen sowie zentral über mögliche Sorgen bei einer Änderung gesprochen werden sollte, als darüber wie das Formblatt richtig auszufüllen ist. Prozessorientierte Entwicklung unterstützt den Ingenieur bei der Bewertung und Verbesserung seines Designs und der Abstimmung der Konstruktion auf die Fertigungsprozesse
Anmerkungen und Literatur
  • 1Ein Fazit, das er in seinem Buch „Mizenboushi“ zieht (grobe Übersetzung ins deutsche: „Präventive Maßnahmen“)
  • 2Repenning, N. and J. Sterman (2001); California Management Review 43(4): 64–88; Winner, 2001 Accenture Award as the best paper published in the California Management Review in 2001. Work reported here was supported by the MIT Center for Innovation in Product; Development under NSF Cooperative Agreement Number EEC-9529140.
  • 3„Automobil Industrie“, 05/2005, S24 ff
  • 4Ikujiro Nonaka, Hirotaka Takeuchi, „Die Organisation des Wissens“, 1997
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