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Kaizen am Niederrhein

Meilen- und Stolpersteine aus 10 Jahren
Kaizen am Niederrhein

Auf den Bochumer Qualitätstagen fand der Vortrag von Dipl.-Ing. Wolfgang Kreienbaum, Werksleiter bei Lemken ganz besonderes Interesse. Die Offenheit der Berichterstattung des vorwiegend mittelständischen Unternehmens über aufgetretene Schwierigkeiten bei der Entwicklung zu dezentralen Produktionsstrukturen und signifikantem Wachstum war ungewöhnlich. Die direkte, humorvolle Darstellung von Problemen und Lösungen erweckte höchste Aufmerksamkeit.

Dipl.-Ing. Hubertus Felmy, Consultant, Soest

Der kontinuierliche Verbesserungsprozess (KVP), japanisch Kaizen genannt, steht für den Begriff der ständigen Prozessverbesserung. Dies erfordert eine Kultur, die die Mitarbeiter einbezieht und sie an Problemlösungen und Prozessoptimierungen verantwortlich beteiligt.
Soweit die Theorie, wie aber reagierten die Mitarbeiter in der Praxis auf dem dornigen Pfad der Umsetzung?
Das Familienunternehmen Lemken GmbH & Co. KG haben wird heute in der 6. Generation geführt. Im Jahr 1999 erwirtschafteten 600 Mitarbeiter einen Umsatz von 143 Millionen DM. Der Hersteller von Bodenbearbeitungsgeräten und Drillmaschinen gilt als Marktführer bei Pflügen und Grubbern. Durch große Auftragsbearbeitung erzielt die Firma eine große Variantenvielfalt und realisiert eine Lieferzeit von maximal vier Wochen.
Vor 1992 befand sich Lemken in einer schwierigen Ausgangslage. Der Markt spielte verrückt: Er schrumpfte durch Flächenstilllegung. Durch neue Konkurrenzmärkte entstand ein hoher Kostendruck. Die anspruchsvolleren und ungeduldigen Kunden stellten wachsende Anforderungen an Variantenvielfalt und Termintreue. Kleine Losgrößen wurden gefordert. Die Umlaufbestände wuchsen auf 10 Mio. DM bei 80 Mio. Umsatz. Maschinenkapazität und Material gab es zur falschen Zeit in der falschen Menge. Die Fertigungssteuerung wurde immer aufwändiger und träger. Daraus entstand ein hoher Lagerflächen- und Transportbedarf. Die wöchentlichen Produktbesprechungen wurden immer schwieriger. Die Zusammenarbeit gestaltete sich durch die entstandenen Reibungsverluste stets komplizierter. Ein neuer Lösungsansatz musste gefunden werden.
Wie gelang der Turnaround?
Die neue Werksleitung setzte gemeinsam mit der Belegschaft und dem Betriebsrat kundenorientierte, marktgerechte Ziele. Die starre Werkstattorganisation wurde aufgelöst und durch Fertigungsinseln ersetzt. Arbeitsgruppen wurden gegründet, Materialfluss und Arbeitsprozesse optimiert, betriebliche Abläufe schlanker gemacht, Rüstzeiten durch Investitionen vermindert, eine neue Vertrauenskultur aufgebaut.
Die vermutlich entscheidende Verbesserung entstand durch Kundenbezug der nun produktorientierten Gruppe. Die Mitarbeiter durften im Team Qualität, Termine und ihre Leistung selbst verantworten und ihr Umfeld selbst gestalten. Sie wurden in betriebswirtschaftliche Entscheidungen eingebunden. Räumliche Nähe, der überschaubare Arbeitsbereich und die gemeinsam zu bewältigenden Aufgaben führten zu Eigenengagement, Selbstvertrauen, Flexibilität, Schnelligkeit und Erfolg.
Verantwortung, Befugnisse und Fähigkeiten
Der Wegfall von Hierarchieebenen führte zu gemeinsamer Produktionsplanerstellung mit dem Vertrieb, der Materialbeschaffung innerhalb des Budgets, Personalbedarfsplanung, Planung und Verwaltung der Gleitzeitkonten, Verwaltung des Überstundenbudgets, Qualifikationsmaßnahmen, Pflege der Produktkalkulation und Preislistengestaltung, Planung und Verwaltung des Investitionsbudgets bis hin zur Verantwortung für die Qualität und Reklamationsbearbeitung. Der Akkordlohn wurde abgeschafft, es gibt keine gruppenbezogenen Lohnanteile mehr. Erfolg oder Misserfolg werden nur firmenübergreifend gemessen. Alle Mitarbeiter können freiwillig am Lemken Gewinn-Beteiligungsmodell teilnehmen.
Der Plan-/Ist-Vergleich Auftragseingang, Absatz und Umsatz erfolgen je Gruppe wöchentlich. Monatlich werden die Vorgaben von Anwesenheit, Beständen und Gemeinkosten abgeglichen. Der Geschäftsbericht erfolgt jährlich. Ende 1998 haben alle Lemken-Mitarbeiter eine externe Schulung in den Bereichen Kommunikation, Gesprächsführung und die Vorgesetzten ein Moderatorentraining absolviert. Im Jahr zuvor wurden DM 1.600,- pro Mitarbeiter in Qualifizierung investiert.
Erzielte Ergebnisse
Der Kunde wird schneller, zuverlässiger und besser bedient. Der Vertrieb bekommt verbindliche Lieferterminzusagen, der gewerbliche Mitarbeiter darf sich aktiv in den Prozess einbringen. Auch die Vorgesetzten und der Betriebsrat erhielten ein neues Rollenverständnis. Sie tragen jetzt wesentlich zu Leistungssteigerung, „Wir-Gefühl“ und Weiterentwicklung bei. Die Umsatzsteigerung von 80 Mio. DM innerhalb von 7 Jahren auf 143 Mio. DM in 1999 konnte sich ebenso sehen lassen, wie die Zunahme der Beschäftigten im gleichen Zeitraum von 470 auf 600 Mitarbeiter.
Ganzheitliche Veränderung erfordert strategische Ausrichtung des gesamten Unternehmens, konsequente zielorientierte Steuerung, externe und interne Kundenorientierung, den Aufbau einer Vertrauenskultur, mehr Offenheit gegenüber der Belegschaft, Mut zur Selbstkritik, erhöhte Handlungsspielräume und Selbstkontrolle, Bereitschaft von einander zu lernen, zukunftsorientiertes Wissensmanagement, Zeit, Kapital, und Geduld. Der Durchbruch wurde durch den Abbau von Führungskräften und Hierarchieebenen, dezentrale Fertigung, entbürokratisierte Abläufe, verbesserte Managementqualität, gezielte Mitarbeitermotivation sowie Beteiligung der Mitarbeiter am Unternehmenserfolg erzielt.
Weniger Häuptlinge, mehr Indianer
Neue Strukturen lassen sich nur im Team entwickeln. Der Informationsfluss soll nicht nur Fakten sondern Emotionen transportieren. Steigen die Arbeitszufriedenheit und Produktivität, nehmen die Kundenzufriedenheit und Wettbewerbsfähigkeit zu. Der Erfolg strahlt von innen nach außen. Er hilft mit, Marktanteile zu gewinnen und Nachhaltigkeit zu erzielen.
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