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Liebesheirat Qualität und Innovation?

World Congress on Quality and Improvement/Orlando, USA
Liebesheirat Qualität und Innovation?

Eines stand angesichts des zweitgrößten Konferenzzentrums der USA in Orlando, Florida, gleich zu Beginn des World Congress on Quality and Improvement (WCQI) vom 31. April bis zum 2. Mai 2007 fest: Die Kalorien des American Breakfast ließen sich mühelos im Laufe des Tages beim Wechsel zwischen den weit entlegenen Seminarräumen abtrainieren.

Birgit Otto BSc MA, BO Consult, Services for Excellence, Osfildern

ASQ Quality Community wächst wieder
Neugierig geworden durch das Motto „Fueling Innovation“ (Innovation anheizen) hatten sich mehr als 2.100 Teilnehmer für drei Tage in der Freizeitparkmetropole im Südosten der Vereinigten Staaten eingefunden. Die nach langen Jahren wieder steigende Teilnehmerzahl spiegelt auch die positive Trendwende in der Zahl der Mitglieder für die American Society for Quality (ASQ), Veranstalterin des WCQI, wider. „Zum ersten Mal seit neun Jahren steigt unsere Mitgliederzahl wieder,“ teilte der scheidende Präsident, Ron Atkinson, bei der Jahresversammlung erfreut mit. „Wir können Mitglieder halten, haben sogar eine solide Basis von knapp einem Viertel unserer Mitglieder, die sich in unserer letzten Befragung als loyal erwiesen. Wir gewinnen neue Mitglieder – die Qualitygemeinde wächst wieder!“ Den Erfolg führt Atkinson auf das Engagement des Qualitätsvereins in der Politik, bei der Pressearbeit, bei der Bereitstellung von Wissen („Body of Knowledge“) insbesondere für Neulinge der Qualitätsszene aus den Bereichen Medizin, Service, Öffentliche Verwaltung und Bildungswesen und ein individualisiertes Mitgliederangebot unter Verwendung des Internet zurück.
Auch die Internationalisierung der ASQ schreitet voran. Mitglieder aus 125 Ländern sind inzwischen vertreten. Die ASQ bietet nun auch Webinars (webbasierte Schulungen) in Spanisch und den Blog „Ventana a la Calidad“ an. World-Partnerschaften wurden inzwischen mit anderen gemeinnützigen Qualitätsorganisationen weltweit geschlossen. So hat sich die ASQ mit Gleichgesinnten in Argentinien, Kanada, Brasilien, Hongkong, Japan, Korea, Singapur, EOQ, Finnland, Irland, Spanien, Deutschland (DGQ), der Türkei, Israel und im Vereinigte Königreich vernetzt.
Ideenmangel
Während für den dreitägigen Kongress ein gelungenes Format gefunden worden war, bei dem sich Plenum und kleinere Seminare abwechselten, so ließen die gebotenen Inhalte zum ersten Mal seit vielen Jahren zu wünschen übrig. Dem Kongress fehlte der große Atem, der die Teilnehmer über drei Tage trägt, sie inspiriert, ihnen Ideen in den Kopf setzt, die sie nicht mehr loslassen. Zwar zeigten einige der Vortragenden im Plenum auf, welche Fragen unter dem Motto des Kongresses „die Innovation anheizen“ für die Qualitätsgemeinde wichtig sind. So schoss Alain Kahane im Vortrag, wie man bahnbrechende Neuerungen in einem komplexen Umfeld schaffe, gleich volle Breitseite in die gemütliche Quality/KVP-Welt: „Die meisten Probleme sind heute komplex, wohingegen die meisten Q-Werkzeuge sich auf Problemsituationen konzentrieren, die einfach sind!“ Fast die lebende Antwort darauf war der Auftritt des ISO-Generalsekretärs Alan Bryden, dem zum Thema Innovation und globaler Wettbewerb nichts Weiteres als die Aufzählung der ISO-Standards einfiel. Da wäre mehr drin gewesen, angesichts der Fragen, die sich durch die Globalisierung stellen: Wie positioniert sich eine westlichen Werten und Traditionen verbundene Standardorganisation der sich abzeichnenden Machtverschiebung in asiatisch, arabische oder afrikanische Traditionen? Welchen Beitrag leisten Standards für eine nachhaltige Entwicklung der Welt? Wie viele Standards braucht eine sich rasant ändernde Welt? Eine lustig-bunte Powerpoint Präsentation ohne jede Aussage, geschweige denn dem Mut, sich einer wirklichen Diskussion zu stellen, war diesem Fachpublikum nicht angemessen.
Aus den Gesprächen in den Kaffeepausen und während des Besuchs der Ausstellung war deutlich anzumerken, dass die Kongressteilnehmer gekommen waren, um auf ihnen wichtige Fragen Antworten zu finden: Wie geht es eigentlich mit dem Beruf des Qualitätsmanagers weiter, wenn Qualität Alle im Unternehmen angeht, wenn nicht mehr genügend Zeit bleibt, um Dinge zu verbessern, wenn das Innovationstempo so hoch ist, dass KVP-Werkzeuge sinnlos werden? Ketzerisch war zu hören, dass es den Beruf des QM wohl bald nicht mehr geben werde.
Alter Wein in neuen Berater-Schläuchen
Leider hat das für den Kongress verantwortliche Team die Referenten nicht genügend sorgfältig ausgewählt. So erlebten die Kongressteilnehmer viel alten Wein in neuen Schläuchen – manchmal mit der Unverfrorenheit schlechter Unternehmensberater, die außer dem Titelblatt Nichts an ihrer Präsentation ändern. So wird die ASQ zur Werbeplattform für Berater und verkauft sich unter Wert.
Die Zeiten sind vorbei, in denen – wie in den 1990er Jahren im Kongress in Chicago – die schwergewichtigen Qualitätsmanagementdirektoren der großen drei US- Automobilhersteller aus dem Nähkästchen plauderten und die Qualitätsmanager der Zulieferer- und anderer Industrien an ihren Lippen hingen. Wer heute einen solchen Kongress besucht, möchte sich austauschen mit Gleichgesinnten, möchte Ideen einbringen und mitnehmen. Wir alle wissen heute, dass Innovation nicht nur in den Unternehmen mit den großen Namen entsteht – im Gegenteil.
Noch die richtigen Q-Werkzeuge?
Was blieb also hängen vom diesjährigen Kongress? Es wurde deutlich, dass die Qualitätsbewegung sehr wohl ein gewichtiges Wort mitzusprechen hat bei den neuen Herausforderungen, vor denen die Welt steht: Nachhaltige Entwicklung, Globalisierung, Verschiebung der Marktmacht, Neuorientierung ganzer Gesellschaften, Nationen und Kontinente. Es ist allerdings fragwürdig, ob die ehrwürdigen Methoden und Werkzeuge, mit denen man auch auf dem WQCI noch werkelte, in der Lage sind, diese Herausforderungen zu meistern.
Risiko und Innovation managen
Interessanterweise setzten sich die internationalen Beiträge wesentlich besser mit dem Kongressthema Innovation und Qualität auseinander. So konnte Dr. Steve Tanner vom European Centre for Business Excellence in Leeds (GB) erste Ergebnisse einer qualitativen Untersuchung zu Formen von Innovation europäischer Unternehmen vorstellen. Die ersten Ergebnisse: Innovationsaffine Organisationen sind im Umgang mit Misserfolgen toleranter als risikoscheue. Risiko- und Innovationsmanagement, so Tanner, spielen ineinander, wobei die untersuchten Organisationen ähnliche Risikomanagementsystem hatten, sich aber in der Form ihres Innovationsmanagement sehr unterschieden. Letzteres scheint sich eher aus einer bestimmten Unternehmenskultur heraus zu entwickeln, als sich in Standardsystemen abzubilden.
Kunden an Innovation teilhaben lassen
Prof. Dr. Mohamed Zairi vom European Centre for TQM an der Universität Bradford (GB) schlug einen Innovationsansatz unter dem Begriff der „Customer Centered Innovation“ hervor. Er ging hart mit den vielen eBusiness Lösungen ins Gericht, die für ihn gerade das Gegenteil einer Innovation um den Kunden herum seien. „Es handelt sich meist um ein gefühlloses Take-it-or-leave-it Angebot, das für die Anbieterseite optimiert ist, Werte wie Glaubwürdigkeit oder eine emotionale Verbindung aber vollkommen vernachlässigt“. Der Kunde oder Konsument, so Zairi, sei nicht nur der Leistungsempfänger am Ende der Innovationskette, sondern müsse vielmehr selbst Teil einer innovativen Lösung sein. Für diesen fließenden Innovationsprozess empfahl er eine fünfstufige Vorgehensweise, die er nach den Schlagworten der einzelnen Stufen, das 5-R-Modell nennt:
  • Ritual: Wie der Kunde/Konsument sich gegenüber unserer Leistung verhält
  • Realness: Wie der Kunde/Konsument unsere Leistung erfährt
  • Reaktion: Wie der Kunde/Konsument emotional auf unsere Leistung reagiert
  • Reflection: Wie der Kunde/Konsument unsere Leistung beurteilt
  • Resolution: Welche Schlüsse der Kunde/Konsument durch die Erfahrung mit unserer Leistung zieht.
Seine These eines kundenzentrierten Innovationsprozesses untermauerte Zairi durch die Ergebnisse einer Studie, bei der Konsumenten neuartig verpackter Fertigprodukte sich deutlicher für eine bestimmte Verpackungsvariante entschieden, nachdem sie deren Vorzüge kennen gelernt hatten und die Symbole auf der Verpackung zu deuten wussten.
Auffallend viele Zuhörer fanden in diesem Jahr die 22 Teilnehmer des Internationalen Excellence-Teamwettbewerbs. Auch wenn über zwei Drittel der Teams aus den klassischen Industriezweigen der Fertigung stammte (Automobil, Luftfahrt, Schifffahrt), so waren doch fünf Teams aus der Dienstleistung vertreten, eine Time-Share-Kette, eine amerikanische Schule, eine Einheit des Amerikanischen Roten Kreuzes, eine Sozialeinrichtung des Staates Florida und das Housing & Development Board von Hongkong. Auch der Team Award wird internationaler: 8 von 22 Finalisten kamen aus Mexiko, Hongkong, Japan und Südkorea. Die Präsentationen bewiesen durchweg, dass konsequent angewandte, klassische TQM-Verfahren, wie SIPOC-Analyse, Ishikawadiagramm FMEA, Pareto usw. wunderbare Erfolge erzielen, wenn es darum geht, das vorhandene Geschäft zu verbessern. Als Gewinner räumten schließlich die drei Teams von Boing ab. Boing setzt konsequent auf LEAN und den Einsatz von Verbesserungsteams.
Lean (wieder) im Zentrum
Im vergangenen Jahr deutete es sich schon an, nun wurde es zu Welle: Lean ist (wieder) in. Was in der ASQ vor fünf Jahren als kleine Liebhabergruppe begann, hat sich zur mitgliederstärksten Division entwickelt. Zur Zeit schreibt man an einem „Body of Knowledge“ für Lean und denkt über entsprechende persönliche Zertifizierungsangebote nach. Interessant wird sein, wie sich diese neue, alte Welle mit der abklingenden Six Sigma Welle verbindet. Schaukelt sich ein Sturm auf, oder ergänzen sich die beiden Qualitätsansätze? Noch scheint man sich bei der ASQ nicht darüber im Klaren zu sein, wie man miteinander umgeht. Vertreter beider Schulen umschwänzelten sich während des Kongresses gegenseitig. Hoffentlich einigt man sich rasch. Das letzte, was die Praxis braucht, sind Scheinschlachten um die Theorie!
Der WCQI blieb dieses Jahr Antworten auf viele Fragen, die sein innovativer Titel aufwarf, schuldig: Ist Benchmarking z.B. wirklich eine Methode, um Neues zu erfahren? Imitieren wir damit nicht lediglich eine Methode, die für eine bestimmte Organisation zu einer gewissen Zeit erfolgreich war? Wiederholen wir im heutigen, schnelllebigen Geschäft überhaupt Prozesse in solcher Anzahl, dass sich eine Six Sigma Analyse lohnt? Wie gehen wir mit unseren Verbesserungswerkzeugen für Teams um, wenn sowohl die Teams als auch die Produkte und Lösungen sich mehr und mehr der realen Welt entziehen? Passt Lean auch auf eBusiness? Wird der nächste Kongress in der Internetwelt „Second Life“ stattfinden? Nein, noch lädt die ASQ vom 5. bis 7. Mai 2008 mit dem Thema „Generation Quality“ nach Houston, Texas ein.
QE 502
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