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Qualitätsmanagement – Last oder Chance?

Erfahrungsbericht aus fünfjähriger Zertifizierungstätigkeit
Qualitätsmanagement – Last oder Chance?

Wird ein betriebsbezogenes und für den Alltag ausgelegtes QM-System tagtäglich angewendet und nicht nur vierzehn Tage vor dem nächsten Überwachungsaudit des Zertifizierers aufgearbeitet, so wird gerade das QM-System für Handwerksbetriebe zum unverzichtbaren Managementinstrument und somit zur Investition und Chance für die Zukunft. Ein Zertifizierungsunternehmen berichtet über seine Erfahrungen bei kleinen und mittleren Unternehmen.

Dipl.-Ing. Manfred Kruschel, Geschäftsführer der NIS Zertifizierungsgesellschaft mbH Hanau

Die Arbeits- und Produktqualität sowie die damit verbundene Kundenzufriedenheit hatten im deutschen Handwerk stets oberste Priorität, auch ohne daß diese Maxime in dicken Qualitätsmanagementhandbüchern bzw. in einer Unternehmens- oder gar Qualitätspolitik werbewirksam dokumentiert und veröffentlicht worden war. Während in den Handwerksbetrieben noch heftig über den Sinn und Zweck der Einführung der Normenreihe DIN EN ISO 9000 ff. diskutiert wurde, schafften die Industrieunternehmen, insbesondere aus dem Maschinenbau, der Eisen-/ Stahl- und Elektroindustrie sowie der Automobilindustrie vollendete Tatsachen.
Angetrieben von den Forderungen der Auftraggeber und Besteller, der Notwendigkeit der Verbesserung der betrieblichen Abläufe und aus Marketingzwecken begaben sich mehrere tausend Unternehmen auf den steinigen und dornenreichen Weg zum Qualitätsmanagement-System (QM-System) oder Qualitätssicherungssystem, wie man es 1987 zum Zeitpunkt der Einführung der o. g. Normenreihe noch nannte. Das Endziel war und ist in jedem Fall die Zertifizierung.
Spätestens hier stellten sich für eine Vielzahl der Handwerksbetriebe unüberbrückbare Hürden, sprich Kosten in den Weg. Bei Beratungskosten von z. T. über DM 35 000,- (ohne die internen Vorbereitungs- und Nachbereitungskosten) und Zertifizierungskosten von ca. DM 10 000,- bis DM 25 000,- für einen mittelständischen Betrieb mit ca. 30 Mitarbeitern sowie die Zertifizierungsfolgekosten, zuzüglich den jährlichen Überwachungskosten stießen nicht wenige Betriebe an ihre finanzielle Leistungsgrenze.
Infolge der Kundenanforderungen und somit des immer stärker werdenden Wettbewerbsdruckes organisierten dennoch auch Handwerksbetriebe ihre internen Abläufe nach qualitätsmanagementrelevanten Gesichtspunkten mit der Vorgabe, sich die Konformität mit den geforderten/anwendbaren Regelwerken von einer neutralen Institution bestätigen und zertifizieren zu lassen. Neuerdings verlangen die Automobilhersteller von ihren direkten Lieferanten für 1997/98 nicht nur die obligatorische ISO 9001/9002/9003-Zertifizierung, sondern zusätzlich den neutralen Nachweis, daß die branchenbezogenen Zusatzforderungen gemäß VDA 6.1, QS 9000 etc. ebenfalls erfüllt werden, was schließlich auch auf die Unterlieferanten durchschlägt.
Finanzierbare und fachkompetente Hilfe
Bereits frühzeitig haben Fachverbände und Handwerkskammern Startschwierigkeiten für eine Vielzahl der Betriebe vorausgesehen und sich darauf eingestellt. Unter der fachlichen Leitung und zum Teil auch mit finanzieller Unterstützung der Länder zogen Handwerksbetriebe bei der Einführung und Zertifizierung ihres betriebsspezifischen und damit prozeßorientierten QM-Systems nach.
So wurden u. a. in einem gut zweijährigen Projekt des Fachverbanded Metall NRW über sechzig Betriebe bei der Einführung eines QM-Systems bis hin zur Zertifizierungsvorbereitung fachlich und mit Zuwendungen des Landes NRW unterstützt.
In den Beratungsleistungen des Fachverbandes wurde Wert darauf gelegt, daß die Betriebe nicht nach der Norm umstrukturiert wurden, sondern daß die Norm lediglich ein Leitfaden beim Aufbau eines prozeßorientierten QM-Systems darstellt, dessen inhaltliche Forderungen es zu erfüllen gilt. Angemessenheit, Zweckmäßigkeit und Praxisorientierung hatten Vorrang vor Formalismus und engstirnigem Normendenken. Die individuelle Beratung stand stets unter dem Motto: „Es gibt kein normiertes QM-System“. Jedes QM-System muß unter angemessener Beachtung der inhaltlichen Normforderungen individuell auf den Betrieb zugeschnitten sein und die Belange sowie den Liefer-und Leistungsumfang bzw. das Dienstleistungsangebot des Betriebes berücksichtigen.
Dabei ist es wichtig, daß nicht das Wunschdenken festzulegen ist, sondern zu den einzelnen Normelementen die tatsächlichen Abläufe, die sich im Alltag bewährt haben, erneut auf den Prüfstand zu stellen und allgemein verständlich zu dokumentieren sind.
Viele Betriebe neigen dazu, nach Einsichtnahme in die QM-Dokumentation der großen Industrieunternehmen oder gar schlimmstenfalls nach dem Erwerb eines teuren Musterhandbuches durch eine total überzogene und überorganisierte Papierflut den Praxisbezug und damit die Akzeptanz ihrer Mitarbeiter für dieses System zu verlieren.
Kriterien für die Auswahl des Zertifizierers
Die Durchführung der Zertifizierungen übernahm eine verbandsunabhängige und neutrale Zertifizierungsstelle.
Für die Empfehlung des Zertifizierers war maßgeblich, daß sich schon früh abzeichnende Branchentrends ausreichend berücksichtigt wurden. Aufgrund der Marktgegebenheiten mußte auch der Zertifizierer in die Pflicht genommen werden, sich sukzessive für die Zertifizierung der branchenspezifischen Zusatzanforderungen der Automobilindustrie (QS 9000, VDA 6.1), des Umweltmanagements (ISO 14001, „Öko-Audit-Verordnung“), der Kerntechnik (KTA 1401) und des Sicherheitsmanagements (SCC) qualifizieren und akkreditieren zu lassen.
Einstellung des Zertifizierers
Das Startzeichen für den Zertifizierer gibt der Betrieb, nachdem die dafür ausgebildeten Berater des Fachverbandes einen erfolgreichen Soll/Ist-Vergleich der Norm- und Betriebskonformität des eingeführten QM-Systems im Rahmen eines auf das Zertifizierungsaudit vorbereitenden Voraudits durchgeführt haben. Bereits bei der Organisation des Voraudits wird darauf geachtet, daß der Auditor des Verbandes nicht an der Beratung zur Einführung des QM-Systems direkt beteiligt war.
Der Zertifizierer prüft im Anschluß in einem ersten Schritt betriebsspezifisch, inwieweit die Maßnahmen zur Erfüllung dieser Vorgaben angemessen, zweckmäßig und unter Beachtung der Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten festgelegt sind. Im zweiten Schritt wird im Rahmen des Zertifizierungsaudits überprüft, ob und wie der Betrieb die QM-Elemente gemäß den festgelegten Maßnahmen in die betrieblichen Prozesse umgesetzt hat und danach arbeitet.
Die Zertifizierung ist unter der Leitung eines erfahrenen und branchenkundigen Auditors viel mehr als nur der nackte Vergleich zur Norm mittels einer für den Praktiker meist unverständlichen Checkliste. Es geht auch um Logik der Abläufe, um Bemühungen zur ständigen Verbesserung und um das Verständnis aller Mitarbeiter. Es geht außerdem darum, die Aufbruchstimmung und die damit verbundene Startmotivation nicht zu drosseln, sondern zu fördern.
Vor dem Hintergrund dieser sorgfältigen Vorbereitung sowohl durch Beratung als auch Auditierung ist es nicht verwunderlich, daß weniger als 5 Prozent der zertifizierten Betriebe nach dem Zertifizierungsaudit nochmals nachbessern mußten.
Kleine und mittelständische Handwerksbetriebe
In kleinen und mittelständischen Betrieben fehlt die Stabsabteilung als Zuarbeiter für die Unternehmensleitung. Vieles macht der Chef selbst, der QM-Beauftragte sowie der überwiegende Anteil der Mitarbeiter haben in der Regel mehrere Funktionen und Aufgaben zu erfüllen.
Die QM-Maßnahmen werden traditionsbedingt produktbezogen ausgerichtet. Ein ständiger Kontakt und die informelle Kommunikation aller Mitarbeiter untereinander ist die tägliche Praxis. Hohe Flexibilität gegenüber der mittelfristigen Planung ist für jeden Handwerksbetrieb existentiell unabdingbar und schließlich gewährleistet die flache Organisationshierarchie eine hohe Überschaubarkeit und Transparenz der betrieblichen Abläufe.
Diese Aspekte müssen bei der Einführung des Systems von den Auditoren des Zertifizierers angemessen berücksichtigt werden. Unabdingbar sind dabei die Branchen- und Strukturkenntnisse und somit die Fachkompetenz sowohl des Beraters als auch des Zertifizierers.
Qualitätsmanagement im Handwerksbetrieb
Die Balance zwischen Papierflut und Dokumentationsnotwendigkeit zu finden, ist ein Kardinalproblem. Entweder wird eine regelrechte Papierflut, bestehend aus pauschalen Anweisungen ohne direkten Bezug auf die betriebliche Aufbau- und Ablauforganisation einschließlich zusätzlicher Checklisten verursacht oder ein Papiernotstand nach dem Motto ausgelöst: „Dies ist eh jedem bekannt“. Betriebsanweisungen, Organisationsanweisungen, Anweisungen aus gegebenem Anlaß und Verfahrensanweisungen mit ergänzenden Nachweislisten/Checklisten haben z. T. Anweisungs- oder Empfehlungscharakter. Jedem sind sie bekannt bzw. werden von jedem benutzt, wenn sie zum eigenen Vorteil ausgelegt werden können.
Im Voraudit oder im Zertifizierungsaudit werden allerdings die Synergien bei der Erfassung, Auswertung und Bearbeitung dieser Regelungen u. a. bei den Maßnahmen zu den internen Fehlern, Verbesserungsvorschlägen, Lieferantenbeanstandungen und Kundenreklamationen offenkundig. Eine Vereinheitlichung der Abläufe und Anpassung sowie Reduzierung der Dokumentationsvielfalt ist die logische Folgerung.
Ein weiterer kritischer Pfad zeichnet sich bei der Bewertung des QM-Systems und der Durchführung der internen Audits ab.
Warum ist plötzlich eine dokumentierte Bewertung des QM-Systems anhand von Zahlen, Daten und Fakten wie Fehlern und Reklamationskosten und den Ergebnissen interner Audits etc. erforderlich? Dazu sollen für den kommenden Bewertungszeitraum noch meßbare Ziele abgeleitet werden. Ja und das alles, obwohl der Chef, in Personalunion oft auch der QM-Beauftragte (QMB) des Unternehmens, tagtäglich, einschließlich Sonn- und Feiertage im Betrieb präsent sind? Wenn er nicht weiß, was im Betrieb vorgeht, wer dann?
Erst wenn der Leitung und den Mitarbeitern klar ist, daß es hier auf die Systematik ankommt, wie mit den Verbesserungsvorschlägen, internen Fehlern, Lieferantenbeanstandungen und Kundenreklamationen umgegangen wird, welche Kosten verursacht wurden und werden, welche Maßnahmen zu ergreifen sind, wer für die Verfolgung zuständig ist und ob sie wirksam sind (welche Einsparungen sie in Heller und Pfennig dem Betrieb gebracht haben), erst dann werden diese Elemente der Norm nicht als lästiges Übel sondern als notwendige Hilfe betrachtet.
Spätestens jetzt, wenn ein direkter Vergleich zu den vorherigen Bewertungszeiträumen möglich ist, sieht man die Notwendigkeit für ein Mindestmaß an Dokumentation ein. Nun lassen sich auch der Sinn interner Audits einschließlich deren systematischer Planung und Dokumentation sowie der Sinn der Verfolgung der Korrekturmaßnahmen durch Mitarbeiter des Betriebes erkennen. Durch Mitarbeiter, die mit den Abläufen und Regelungen vertraut sind, die sie selbst mit festgelegt haben und nach denen sie arbeiten. Gerade sie haben ein begründetes Eigeninteresse besser zu werden: nämlich die Erhaltung ihres Arbeitsplatzes.
In nicht wenigen Fällen sind es überwiegend die in der Norm enthaltenen Führungselemente, die ein Umdenken hinsichtlich der Integration aller Mitarbeiter in die Entscheidungsprozesse und der Festlegung der Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten in der Aufbau- und Ablauforganisation eines Handwerksbetriebes bewirken.
Schlußbemerkung
Bei ca. 50 Prozent der zertifizierten Betriebe läßt sich nachvollziehen, daß Kostenreduzierungen, insbesondere bei den Fehlerkosten (intern festgestellte und Reklamationskosten des Kunden), aber auch bei den Fehlerverhütungskosten und bei den Prüfkosten nachweislich zu verzeichnen sind.
Dagegen lassen sich zu den Auftragsabwicklungszeiten wegen der betrieblichen Verschiedenheit kaum zuverlässige Aussagen treffen. Offenbar gilt der Grundsatz, daß der Kunde bestimmt, wann Feierabend gemacht wird.
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