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Rohdiamant für Excellence

Auf dem Siegertreppchen
Rohdiamant für Excellence

Mercedes-Benz Motorenwerk Untertürkheim der Daimler AG will es wissen: Teilnahme an fünf Wettbewerben bringt erste und zweite Plätze für die LEAN ausgerichtete Fabrik mit Ambitionen auf noch umfassendere Excellence.

Birgit Otto BSc MA, BO Consult, Services for Excellence, Ostfildern

„Mitmachen!“, rät Heinz-Werner Marx, Leiter des Motorenwerks Stuttgart-Untertürkheim der Daimler AG, bei meinem Besuch in Untertürkheim. Das Werk hat sich 2007 gleich fünf externen Wettbewerben gestellt: „Die Beste Fabrik“ (Veranstalter: Wirtschaftswoche, WHU und INSEAD), „Fabrik des Jahres“ (Veranstalter: Beratungsunternehmen AT Kearney und Zeitschrift Produktion), Manufacturing Excellence – MX Award (Veranstalter: TU Berlin und Financial Times Deutschland), Automotive Lean Production Award (Veranstalter: AGAMUS Consult und Zeitschrift Automobil-Produktion) und dem Wettbewerb um den Ludwig-Erhard-Preis (LEP). Drei Kriterien entschieden über die Auswahl der Wettbewerbe: Stellenwert, Gewinner der Vorjahre und die Passgenauigkeit mit eigenen Zielen.
Assessoren bohren nach
„Wenn wir etwas machen, dann machen wir es gleich richtig,“ lacht Marx und fügt hinzu: „Der LEP war übrigens der einzige, bei dem wir als Bewerber für die Teilnahme bezahlen mussten.“ Doch Marx ist sich sicher: „Das gezahlte Startgeld war es absolut wert! Wir waren wirklich sehr beeindruckt, mit welcher Professionalität sich das ehrenamtliche Assessorenteam in die Arbeit stürzte. Ihre Anregungen waren den Einsatz um ein Vielfaches wert!“ Selbst vom direkt vor den Werkstoren stattfindenden Cannstatter Wasen, dem schwäbischen Äquivalent zum Münchener Oktoberfest, hätten sich die Assessoren bei ihrem Vor-Ort-Besuch nicht ablenken lassen. Eine Woche lang haben sie sich bis tief in die Nacht intensiv mit dem Bewerber beschäftigt.
„Sie haben immer wieder nachgefragt, wie unsere Prozesse im Detail funktionieren, wie sich Regelkreise schließen und wie wir den Ablauf überwachen,“ so Heinz-Werner Marx weiter. „Besonders spannend fand ich die Diskussion mit branchenfremden Assessoren. Das ist für alle Beteiligte eine wunderbare Erfahrung. Gerade die Automobilbranche schmort nicht selten im eigenen Saft.“
Neu aufgestellt mit MPS
Man ist sich sicher, dass man mit dem Mercedes-Benz Produktionssystem (MPS), ähnlich der japanischen LEAN Prinzipien für eine schlanke Produktion, die Wettbewerbsfähigkeit des Werkes erhöht hat. Doch Marx räumt ein, dass es manchem Mitarbeiter in den Jahren des Personalabbaus nicht leicht gefallen sei, motiviert zu bleiben. „Wir wollen, dass unsere Mitarbeiter wieder stolz darauf sind, beim Daimler zu arbeiten,“ sagt Heinz-Werner Marx auf dem Weg vom Büro ins Werk und öffnet schwungvoll die Eingangstür zur Fertigung. Wir treffen Stefanie Brümmer, Teamleiterin der V-Motorenmontage und ihren Teamleiterkollegen Frank Bader von der Zylinderfertigung.
Das Werk hat in den vergangenen Jahren massiv an der Verbesserung seiner Prozesse gearbeitet und ist jetzt gut in Sachen LEAN Management unterwegs. Die riesige, helle Halle unterscheidet sich kaum vom nahe gelegenen Museumsbau. Klar, hier wird kein Mythos beherbergt, sondern hart für die Zukunft des Konzerns gearbeitet. Aber die Ästhetik einer schlanken Fabrik mit klaren Formen und Farben, mit 1.200 Menschen, die ordentliche Arbeit abliefern können, ist mindestens so faszinierend wie „Silberpfeile“ und „Adenauer“ im Museum nebenan. Die Teamleiter übersetzen diese Ästhetik in ihre Alltagssprache: „Letztendlich geht es um Produktivität – daran werden wir gemessen, und die ist nur mit absolut klaren Prozessen erzielbar.“
Echte Arbeit verbessern
Man sieht den Dreien an, dass sie stolz sind auf ihre Fabrik, ein zwischen zwei Eisenbahnlinien hinein gesetzter Bau, 700 Meter lang und 160 Meter breit. „Das war logistisch natürlich eine echte Herausforderung“, erklärt Frank Bader. Unser Werk arbeitet praktisch ohne Gabelstapler, hat kurze Wege, keine Lager und ist optisch übersichtlicher geworden.“ Er schwärmt: „Heute legen wir den Fokus wirklich auf die eigentliche Arbeit. In der Vergangenheit haben wir nicht selten die Nacharbeit optimiert, anstatt uns darum zu kümmern, die Arbeit so zu gestalten, dass erst gar keine Nacharbeit notwendig wird“, lacht Frank Bader.
Führungskräfte am Gemba
Das ist alles nicht vom Himmel gefallen. Schon seit 2000, als Leiter der Motorenproduktion im Berliner Mercedes-Benz Werk setzt sich Heinz-Werner Marx kompromisslos für MPS ein. Dass das Mercedes-Benz Produktionssystem dank Berliner Schnauze ganz schnell zu „Marx’ Putzsystem“ mutierte, ficht den Überzeugungstäter nicht an. „So falsch war der Spitzname gar nicht. Es ging wirklich erst einmal darum, zu putzen, zu streichen, aufzuräumen und umzuräumen,“ lacht Marx. Auch in Stuttgart geht es ihm immer um das Eine: Qualität und Produktivität. „Unser Weg war dazu genau richtig: Material raus, Mitarbeiter besser sehen, Prozesse besser sehen, Verschwendung sehen,“ sagt Marx.
„Das geht aber nur,“ hakt Teamleiter Frank Bader ein, „wenn Führungskräfte wirklich am Gemba sind, also in der Produktion.“ Die Voraussetzungen waren schnell geschaffen: Büros in der Produktion, Glastüren, regelmäßige Treffen an den Informationsbereichen. „Aber es war eine neue Erfahrung für alle Beteiligten. Viele Mitarbeiter fragten sich, warum der Meister denn schon wieder da sei? Wir alle mussten erst lernen, dass es nur darum geht, den Wertstrom durch unsere Fabrik fließen zu lassen, und jeder dabei aktiv mithelfen muss.“
LEAN lernen in Europa
Durch die parallele Teilnahme an verschiedenen Wettbewerben, die sich letztendlich alle um die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit drehen, lernte der vielgereiste Marx: „Man muss eigentlich gar nicht mehr nach Japan fliegen – es gibt hier in Europa, ja in Deutschland klasse Beispiele für LEAN.“ Eine ganze Reihe von Weltklassefirmen nutze die Wettbewerbe, um ihre Abläufe stets aufs Neue zu prüfen und sich aktiv einer Welt des Benchmarking auszusetzen, „ob Kautex, Bosch, Brose oder Siemens – das ist wirklich spannend“, findet Marx.
QE-Lesern, die sich noch nicht an externe Wettbewerbe wagen, rät Marx: „Es geht um Wettbewerb – nehmen Sie teil! Wagen Sie es, riskieren Sie es!“ und verschmitzt fügt er hinzu: „Ihre Kommunikationsabteilung können Sie ja davon unterrichten, wenn Sie gewonnen haben.“
Gut produziert macht auch Laune
Mit der Teilnahme an externen Wettbewerben wollte Marx allen zeigen, dass sich das Blatt gewendet hat. „Wir haben nicht nur eine klasse Produktpalette, sondern sind auch in der Lage, sie leistungsstark zu produzieren.“ Natürlich sei es vom Motorenbau bis zur fertigen Limousine in glitzernden Verkaufsräumen ein weiter Weg, aber mit dem MPS habe man die Grundlage geschaffen, dass Mitarbeiter wieder stolz auf ihre Arbeit sein können. „Qualität ist für unsere Marke natürlich das Entscheidende,” weiß Marx. „Wichtig ist mir, dass wir es nach einigen schweren Jahren geschafft haben, das Thema Qualität nicht nur in Bezug auf unsere Produkte, sondern auf die Art und Weise ihrer Herstellung neu zu besetzen.“
Den Anstoß für die Bewerbung um den LEP gab übrigens der Wettbewerb: Nach einem Austausch mit dem Werksleiter des BMW-Werks in Dingolfing, das 2004 beim LEP teilnahm und ausgezeichnet wurde, entschloss sich Marx zur LEP-Teilnahme: „Die höchste nationale Auszeichnung für Spitzenleistung im Wettbewerb – na, da wollten wir doch dabei sein!“
Dreiklang Vision-Strategie-Prozess
Beim LEP geht es nicht in erster Linie um Markenimage und Produktpalette, sondern um den Nachweis einer ganzheitlichen, zielgerichteten Unternehmensführung. Auch wenn man sich bei Daimler vor einigen Jahren bewusst nicht für die Übernahme des EFQM-Excellence Modells als Managementsystem entschieden habe, so habe man natürlich eine Vision, eine Strategie und klare Prozesse, erklärt mir Marx. „Wenn man eine Strategie, seine Prozesse im Griff und natürlich belastbare Ergebnisse aus dieser Arbeit parat hat, dann sind die Teilnahmebedingungen zu erfüllen!“
Auf meine Frage, wie sie den Assessorenbesuch erlebt hätten, antworten alle Drei unisono sehr positiv. „Ich hatte schon bei der Vorbereitung den Aha-Effect: Mann, wir haben doch wirklich viel, was wir zeigen können“ sagt Frank Bader. Seine Teamleiterkollegin ergänzt: „Ich habe mich aber auch gut vorbereitet, hatte alles in einem Ordner parat. So konnte ich nachweisen, was wir machen. Das war schon wichtig. Die Assessoren wollten wirklich verstehen, wie alles zusammen funktioniert.“ Es sei ein bisschen wir bei einer Prüfung in der Schule, sind sich die beiden bei unserem Rundgang durch die Fertigung einig, die gute Vorbereitung sei die halbe Miete.
Live vor Ort statt Fragebogen
„Wir mussten unsere Leute vorbereiten, ihnen den Freiraum geben, auch Fragen mal nicht beantworten zu können,“ erinnert sich Stefanie Brümmer. „Aber natürlich wollten wir auch sicher stellen, dass wir zu den jeweiligen Themen die besten Ansprechpartner aufbieten. Die Assessoren wollen wirklich alles sehen – Vielen kann man einfach etwas erzählen, aber die LEP-Assessoren ließen sich nicht abwimmeln!“ „Beim Ludwig-Erhard-Preis kommen die Assessoren vor Ort. Da geht es nicht darum, nur einen Fragebogen auszufüllen,“ greift Heinz-Werner Marx ins Gespräch ein. Aber der Vor-Ort-Besuch sei eine riesige Chance für einen inspirierenden Austausch und eine wahre Fundgrube für Verbesserungsideen. „Ich glaube, der Vor-Ort-Besuch war besonders für unsere produktnahen Servicebereiche eine echte Herausforderung, da diese nicht so auditerfahren sind wie die Produktion.“
Es sei wirklich gut, Schwachpunkte zu erkennen, indem man sich an Anderen reibt, insbesondere wenn sie von außen kämen“, fasst Heinz-Werner Marx, seine Erfahrung mit dem LEP Vor-Ort-Besuch zusammen. „Assessoren fragen ganz klar über den Produktionstellerrand hinaus. Sie wollen genau wissen, wie Mitarbeiter im System aktiv sind und wie unsere Umweltverpflichtung und unser soziales Engagement mit den Erfolgen unserer Produktion harmonieren.“
Jahresziel Begeisterung
Sehr beeindruckt habe das Assessorenteam die Anlauffabrik mit der man schon pro-aktiv in den Produktentstehungsprozess eingreifen und damit Verschwendung frühzeitig vermeiden könne. Hier werden auch Mitarbeiter frühzeitig ausgebildet, die später die Motoren fertigen. Offen bekennt der Produktionsleiter: „Unser nächster Ansatz ist die Mitarbeitermotivation. Wir haben hier das beste Motorenwerk der Welt! Aber das müssen wir auch unseren Mitarbeitern vermitteln. Wir Führungskräfte sind überzeugt, dass der Weg den wir eingeschlagen haben, richtig ist. Das bringt Produktivität und eine phänomenale Qualität.“ Man müsse die Mitarbeiter noch viel stärker als bisher einbinden. Der Feedback-Bericht des LEP Assessorenteams habe hier klare Impulse gegeben. „Unsere Mitarbeiterbefragung muss verbessert werden. Außerdem brauchen unsere Mitarbeiter eine klare Identifikation. Es muss uns einfach gelingen, unsere Mitarbeiter neu für unser Unternehmen zu begeistern.“ Konkret habe man sich daher entschlossen, Begeisterung als eines der drei Bereichsziele 2008 festzuschreiben.
Impulse feiern
In Untertürkheim hat man 2007 kräftig gefeiert, ist mit verschiedenen Delegationen zu den Preisverleihungen gereist, hat zur Weihnachtsfeier ein großes Fest mit allen beteiligten Mitarbeitern gefeiert, Publikationen auch im Werk verteilt, die Erfolge breit kommuniziert und die Preise sichtbar in den Bereichen aufgestellt. Auch wenn man bei manchen Auszeichnungen nicht auf die oberste Stufe springen konnte, wird man 2008 an keinem Wettbewerb teilnehmen. „Wir haben mit dem neuen Ziel, Begeisterung zu schaffen, eine ganz wichtige Justierung unseres Programms vorgenommen. Dieser Impuls ist Gold wert. Aber damit sind wir vollauf beschäftigt.“ Man habe nun genügend Impulse, um wieder allein und in persönlichen Lernkontakten auf dem Weg der Verbesserung voran zu schreiten.
Keine LEP Wiederholungstäter!
Dann richtet Marx noch eine Bitte an die Initiative Ludwig-Erhard-Preis, den Veranstalter der Auszeichnung für Spitzenleistung im Wettbewerb: „Ich finde es nicht gut, wenn man in irgendeinem der Wettbewerbe zu lange hängen bleibt und dann einen falschen Ehrgeiz entwickelt. Eigentlich sollten nicht nur der Erstplatzierte, sondern alle Platzierten gleich mal für drei Jahre gesperrt werden, um ganz vielen Unternehmen eine Chance zu geben, einfach einmal die Erfahrung einer externen Bewertung und Anerkennung zu machen.“
Perfekte Produkte: stark produziert
Auch den scheinbaren Widerspruch zwischen einer mit der Marke transportierten Perfektion und einem naturgemäß immer unvollständigen KVP löst Marx souverän. Dabei folgt er einer einfachen Managementregel: „Ich bin ergebnisorientiert – wie wir dies erzielen, ist mir erst mal egal. Ich muss helfen, dass wir es gemeinsam erzielen.“ Mit dem Lächeln der Sieger fügen Frank Bader und Stefanie Brümmer hinzu: „Inzwischen finden es immer mehr Kollegen klasse, wenn wir mit low tech, also Stift und Papier, einem high tech Produkt zum Leben verhelfen.“ „Na, und die Zeiten, wo Standards und best practice erst mal so oft optimiert wurden, bis sie MB-Unikate waren, sind Gott sei Dank auch vorbei!“, stimmt Heinz-Werner Marx seinen Kollegen zu.
Die Auszeichnungen für das Mercedes-Benz Motorenwerk in Untertürkheim sind die externe Anerkennung für ihren Mut, doch was passiert intern? Die Neugier treibt andere Konzerneinheiten nach Cannstatt – und nicht nur wegen des berühmten Volksfests, sondern um von denen zu lernen, die den Mut hatten, rechtzeitig einen neuen Weg zu suchen. Wahrlich ein Rohdiamant für Excellence – Glückwunsch.
QE 504
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