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Viele Einflussfaktoren im 3D-Druck

Forum Qualitätssicherung in der additiven Fertigung
Viele Einflussfaktoren im 3D-Druck

Die additive Fertigung stellt eine Herausforderung für die Qualitätssicherung dar. Darüber und über die möglichen Lösungen diskutierten Experten aus Industrie und Wissenschaft auf dem zweiten Fachforum „Qualitätssicherung in der additiven Fertigung“, das Quality Engineering und Fraunhofer IPA gemeinsam veranstalten.

Additive Fertigung sei wie ein Kind, das vor der Pubertät steht und noch keine Ahnung von Sex hat, sagte Steffen Hachtel, Geschäftsführender Gesellschafter von F. & G. Hachtel in seiner Keynote. „Alle wollen es, aber keiner weiß genau, wie es geht“.

Das Unternehmen F. & G. Hachtel aus Aalen hat seine Wurzeln im Spritzgießen und hat bereits verschiedene additive Verfahren mit Kunststoff getestet. „Mit dem Resultat: Verkaufen können wir die Teile eigentlich nicht“, stellt der Geschäftsführer fest. Sein Ziel ist es, technisch funktionale Bauteile wie etwa Ersatzteile additiv zu produzieren – und das in der gleichen Qualität wie Spritzgieß-Bauteile. „Unsere Kunden haben ihre Qualitätsanforderungen hinsichtlich Oberfläche, Formtreue und mechanisch-thermischem Eigenschaftsprofil“, sagt Hachtel. „Da kann man nicht argumentieren: Das kommt aus dem 3D-Drucker, das geht nicht besser.“

Hachtel nutzt jetzt das Hot Lithography Verfahren von Cubicure, einem Start-up aus Wien. Dabei werden hochviskose, hochmolekulare Harze verarbeitet. Noch verfügt Hachtel nicht über Langzeiterfahrungen. „Aber die Qualität der Bauteile scheint der von Spritzgießteilen am nächsten zu kommen“, so Hachtel.

Doch auch hier kommen Maßhaltigkeit oder andere Qualitätsparameter nicht „out of the box“: Um reproduzierbare Ergebnisse zu erhalten, wählt das Unternehmen ein pragmatisches Vorgehen. Dabei ist für den Geschäftsführer klar, dass man die gesamte Prozesskette beherrschen muss. Um dies gegenüber Kunden nachzuweisen, strebt Hachtel eine entsprechende Zertifizierung durch den TÜV für das Hot Lithography Verfahren an.

Am Anfang stand dabei die Qualifizierung der Anlage. „Man muss wissen, wie genau die Anlage arbeitet. Daher kommt man um eine Kalibrierung der Anlage mit Skalierungsfaktoren nicht herum. Das ist für jedes Verfahren notwendig“, stellte Hachtel klar.

Zwei bis drei Monate dauerte dieser Schritt bei der Cubicure-Maschine. Doch das hat sich gelohnt: Hachtel erzielt damit heute reproduzierbare Bauteilgenauigkeiten, die sich im Bereich von 0,02 bis 0,03 mm bewegen. Hinsichtlich Präzision liegen die Maße im Bereich zwischen 0,05 und 0,06 mm. Von Vorteil ist dabei laut Hachtel, dass sein Unternehmen über einen Computertomograph verfügt, mit dem sich Ergebnisse sehr schnell qualifizieren lassen.

Machine Learning sichert Produktqualität

Wie komplex das Thema Qualitätssicherung in der additiven Fertigung ist, machte Simina Fulga-Beising deutlich. Sie ist Senior Scientist in der Abteilung Bild- und Signalverarbeitung am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA).

Unabhängig von den additiven Verfahren gebe es unzählige Faktoren, die gleichzeitig einen direkten Einfluss auf die Qualität der gefertigten Bauteile hätten, so Fulga-Beising. Jeder dieser Faktoren lässt sich grob einem der Bereiche Daten, Equipment, Material, Produktion und Batch oder Post-Processing zuordnen.

Sie sieht dabei großes Potenzial für Methoden der künstlichen Intelligenz. „Der Einsatz von Machine-Learning-Verfahren kann ein kontinuierliches Gleichgewicht der Qualitätseinflussfaktoren und somit eine selbstorganisierte Produktqualität durch Selbstkontrolle und Selbstregelung sichern“, sagte die Wissenschaftlerin.

Mit dem Einflussfaktor Material beschäftigte sich Manfred Schmid, Leiter R&D SLS am Innovation Center for Additive Manufacturing Switzerland der ETH Zürich. Die Dichte und Oberflächenbeschaffenheit des verwendeten Pulvers habe großen Einfluss auf die Qualität des Bauteils.

Anwendern von additiven Verfahren konnte er in diesem Zusammenhang eine nützliche Empfehlung geben. Blatt 1.1 der VDI 3405 beschäftige sich mit der Materialqualifizierung und könne als Hilfestellung dienen, so Schmidt. Sie stellt auch die Basis einer entsprechenden ISO-Norm dar, die sich zurzeit noch im Entwicklungsstadium befindet.

Daneben erläuterte er zwei Messverfahren für die Überprüfung der Pulverqualität: den Melt Flow Index sowie die Hausnerzahl als dimensionelle Kennzahl zur Charakterisierung von Pulvern. Beide seien geeignete Verfahren, müssten aber jeweils vor dem Hintergrund der spezifischen Anwendung betrachtet werden.

Doch nicht nur das Pulver hat Einfluss auf die Qualität. Bereits bei der Produktgestaltung lässt sich auf die Qualität hinwirken. So zeigte Volker Junior, wie schon fertigungsgerechte Konzeption und Konstruktion helfen, die Hürden bei der Implementierung von additiver Fertigung zu überwinden.

„Dabei sollte man nicht überlegen, wie man additive Fertigung für bestehende Produkte nutzen kann – sondern umgekehrt, wie uns additive Fertigung bei neuen Probleme helfen kann“, so Junior, der als Geschäftsführer des Ingenieurdienstleisters Phoenix tätig ist. Er ist sicher: „Die meisten Probleme der Qualität in der additiven Fertigung gehen auf die Weiterverwendung von Produktkonzepten zurück, die für andere Fertigungsverfahren optimiert wurden. Notwendig ist aber eine funktionsorientierte Neukonzeption.“

Dazu gehören laut Junior im ersten Schritte Funktionsanalysen unter unterschiedlichen Perspektiven – nämlich der Benutzungsfunktion (wie geht ein Anwender mit dem Produkt um) über die technische Funktion (was muss das Produkt können) und daraus abgeleitete Funktionen.

Branchenübergreifende ISO-Norm ist in Arbeit

Normen und Standards sind ein weiteres wichtiges Thema in der Qualitätssicherung. Das verdeutlichten Sven Gaede, bei der Deutsche-Bahn-Tochter DB Engineering & Consulting tätig, und Gregor Reischle, Head of Additive Manufacturing bei TÜV Süd Product Service.

„Wir stellen klare Anforderungen an unsere 3D-Druck-Rahmenvertragspartner“, berichtete Gaede. „Diese müssen nach gewissen Qualitätsstandard-Niveaus arbeiten. Doch diese Qualitätsstandards gibt es bis heute nicht wirklich. Damit unsere Dienstleister das Wissen erlangen, pushen wir diese gesamte Thematik seit Jahren.“

Dabei geht es der Bahn um Reproduzierbarkeit und Qualität – also Qualitätssicherung, Dokumentation und Mitarbeiterqualifikation – sowie um Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit von Maschinen und Prozessen. Daher arbeitet die Bahn gemeinsam mit dem TÜV Süd und anderen Partnern an einer branchenübergreifenden DIN SPEC 17071 „Anforderungen an die Herstellung von Bauteilen mittels additiver Fertigung – Leitfaden für qualitätsgesicherte Prozesse bei additiven Fertigungszentren“.

Das Dokument erscheint laut Reischle im April und richtet sich an Dienstleister und Auftraggeber von additiver Fertigung. Das Ziel ist ein ISO-Level-Standard. Dabei handelt es sich um ein Prüfprogramm mit 250 Fragen, die von der Unternehmensführung über das Auftrags- und Produktionsmanagement und die eigentliche additive Fertigung bis hin zur Nachbearbeitung reichen. Nachweise müssen in Form von Laufkarten und anderen Dokumentationen erbracht werden.

„Der Qualitätssicherungsprozess muss vor allem gelebt werden, das fordern wir bei einem Audit ein“, sagt Reischle. Die ersten Dienstleister der Bahn sind bereits zertifiziert beziehungsweise befinden sich derzeit im Audit.

Um Dokumentation ging es unter anderem auch beim Vortrag von Rechtsanwalt Daniel Wuhrmann von der Kanzlei Reuschlaw. Er berichtete zum Beispiel, dass Dokumentationen in vielen Fällen von den Unternehmen vernachlässigt würden. Das beziehe sich auf Produktionsabläufe ebenso wie auf Erprobungs- und Entwicklungsprozesse.

Hinzu kommt: Besonders in arbeitsteiligen Prozessen, in denen also viele verschiedene Player involviert sind, fehlen häufig eindeutige vertragliche Regelungen, die festlegen, wer wofür verantwortlich ist. Solche Prozesse, in denen zum Beispiel Aufgaben an Dienstleister abgegeben werden, sind gerade beim 3D-Druck häufig anzutreffen.

Eine wichtige Rolle spielt natürlich das Thema Produkthaftung. Und auch das ist nicht trivial. „Die Produkthaftungsnormen, die Ansprüche von Geschädigten gegenüber Herstellern definieren, sind komplex und wichtig“, so Wuhrmann. „Zu verstehen, ob das eigene Produkt als solches im Sinne der gesetzlichen Regelungen gilt, wer Hersteller ist und welche Pflichten mit welcher Funktion einhergehen, ist elementares Grundwissen.“ ■


Die Autoren

Sabine Koll

Markus Strehlitz

Redaktion

Quality Engineering


Mehr zum Event

Weitere Fotos vom Forum sowie das Programm finden Sie auf der Webseite von Quality Engineering: http://hier.pro/MdTcV


Renishaw stimmt auf das Event ein

Eingeläutet wurde das Forum am 20. Februar 2019 ab 17 Uhr mit einem Vorabend-Event bei Renishaw in Pliezhausen. Kernkompetenz von Renishaw ist die industrielle Messtechnik, doch baut das Unternehmen sein Geschäftsfeld für generative Fertigung stark aus: Dazu gehören Laser-Fertigungssysteme und Dienstleistungen im Solution Center für generative Fertigung, in dem die Abendveranstaltung stattfand.

Geschäftsführer Heiko Müller gab einen Überblick über die additive Fertigung bei Renishaw. Jan Linnenbürger, Leiter Messtechnik und Qualitätssicherung, sprach über optimale Prozessketten in der additiven Fertigung. Anschließend wurde eine Führung in Kleingruppen durch das Solution Center angeboten, geführt von Experten der Abteilung Additive Manufacturing. Der Abend klang mit Networking und einem entspannten schwäbischen Abendessen aus. ■

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