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Wissen, wie gut man wirklich misst

Kalibrierte Werkstücke helfen Prüfprozesse zu optimieren
Wissen, wie gut man wirklich misst

„Wie geeignet ist mein Prüfprozess eigentlich?“ – Dieser Frage müssen sich die Zulieferer und Hersteller besonders in der Automobil-Industrie nicht zuletzt aus Wettbewerbsgründen stellen. Dabei geht es unter anderem um die Berücksichtigung der Messunsicherheiten, die sich entweder sehr aufwändig (z.B. nach GUM) unter Beachtung einer ganzen Reihe von Einflussfaktoren nur abschätzen, oder deutlich wirtschaftlicher durch den Einsatz eines kalibrierten realen Werkstücks, bestimmen lassen.

Dipl.-Ing. Carsten Schwehn, DKD-Laborleiter, Feinmess, Bad Endbach Walter Lutz, Fachjournalist, Haiger

Der Ruf nach solchen realen und im DKD kalibrierten Werkstücken für den Nachweis der Prüfprozesseignung wird daher immer lauter und ist bereits in einschlägigen Normen und Richtlinien, wie der VDA 5 und anderen festgehalten. Dieser Beitrag führt die Erkenntnisse rund um das „Virtuelle KMG“ in der Praxis weiter.
Experten wissen: Die goldene Regel der Messtechnik (Verhältnis der Messunsicherheit zur Toleranz 1:10) bei immer enger werdenden Fertigungstoleranzen einzuhalten, ist nicht einfach bzw. manches Mal unmöglich. Die Unkenntnis der Einflussfaktoren, die sich in einer jeweils individuellen Messunsicherheit bezogen auf jedes Messmerkmal darstellen, kann in der Praxis zur Fehlentscheidungen führen. Außerdem lassen sich keine Aussagen über die Prüfprozesseignung der eingesetzten Messtechnik und die systematischen Unsicherheitsbeiträge treffen. Ein Grund beispielsweise für die Automobil-Industrie, in der neuen VDA 5-Richtlinie die sogenannte Prüfprozesseignung (PPE) festzuschreiben. Denn schließlich sollen die zugelieferten Teile aus aller Welt beim Zusammenbau perfekt passen und auch über die geplante Lebensdauer funktionstüchtig bleiben.
Aber mit herkömmlichen Methoden wie Abschätzung und Wiederholungsmessungen ist es sehr kompliziert und langwierig, diese Messunsicherheit verlässlich zu ermitteln. Einflussfaktoren sind u. a. das Messmittel und die verwendete Vorrichtung, die angewandte Messstrategie, das Objekt selbst, werkstückbedingt streuende Eigenschaften, aber auch die Umweltbedingungen, unter denen gemessen wird, und der Mensch, der die Messung durchführt.
Außerdem unterscheiden sich in den meisten Fällen die Ergebnisse der Referenzmessungen von den Resultaten der fertigungsnahen / fertigungsintegrierten Messtechnik.
Der Weg zum kalibrierten Werkstück
Einen einfacheren und verlässlichen Weg verspricht der Einsatz von kalibrierten Werkstücken, um vorhandene Prozesse besser zu analysieren und zuverlässige Werte für die „Fähigkeit“ des Messgerätes zu erhalten. Im Entwurf der VDI/VDE 2617 Blatt 8 – Prüfprozesseignung von Messungen mit Koordinatenmessgeräten – heißt es: „Die experimentelle Ermittlung der Messunsicherheit wird nach ISO/TS 15530–3 bzw. DIN 32881–3 durch mehrfache Messung mit nur einem kalibrierten Werkstück durchgeführt. Der Einfluss der Werkstückeigenschaften wird separat abgeschätzt. Ein Teil davon kann durch Messungen an mehreren unkalibrierten Serienteilen erfasst werden.“
Die Ermittlung der Prüfprozesseignung ergibt für die Praxis wichtige Entscheidungshilfen für die einzusetzende Messtechnik und eine Bewertung, ob die vorhandene Messtechnik für das jeweils zu messende Werkstück taugt. Dieser Aspekt ist gerade beim Einsatz preiswerter Fertigungs-KMG für die laufende Fertigungskontrolle entscheidend. Grundlage für diese Prüfprozesseignung ist das Virtuelle KMG der Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig, um ein reales Werkstück in einem vom Deutschen Kalibrierdienst (DKD) akkreditierten Labor kalibrieren zu können mit dem Anwender erstmals eine Messunsicherheit für ihren Prozess ermitteln können.
Das erste akkreditierte DKD-Labor, das auch die Entwicklung mit der PTB als Pilotanwender gegangen ist, ist die Feinmess GmbH&Co.KG in Bad Endbach! Im Feinmess-Labor (klassifizierter Feinmessraum nach VDI/VDE 2627) findet sich ein Leitz-KMG vom Typ PMM 12106, das mittels einer Zerodurplatte für das Zusammenspiel mit dem „Virtuellen KMG“ kalibriert wurde.
Der Kalibrierschein gibt Aufschluss
Um ein Werkstück zu kalibrieren und für die Prüfprozesseignung einzusetzen, benötigt das DKD-Labor die Kenntnis über die genaue Kalibrieraufgabe sowie die Messstrategie, die in Absprache mit dem Kunden oder nach seinen Vorgaben definiert wird. Anhand dieser Rahmenbedingungen kalibriert Feinmess das jeweilige Bauteil des Kunden.
Am Ende der Messungen steht ein „amtliches Zeugnis“, der DKD-Kalibrierschein. Hierin sind unter einem Kalibrierzeichen alle relevanten Angaben zu finden, die Aufgabe und Werkstück charakterisieren. Gegenstand, Hersteller, Typ, Seriennummer und Auftraggeber sind ebenso gelistet wie Auftragsnummer und Datum der Kalibrierung.
Der Kalibrierschein dokumentiert außerdem textlich und bildlich das verwendete Kalibrierverfahren, das KMG und seine Kalibrierung sowie Angaben zur Hard- und Software. Unter dem Punkt Messbedingungen sind die Aufspannung des Werkstücks und die verwendete Tasterkonfiguration beschrieben. Es folgen Angaben zur Bestimmung des Werkstück-Koordinatensystems und die Beschreibung der Kalibrieraufgabe. Messstrategie, Berechnungsmethode und Umweltbedingungen sind ebenfalls gelistet. Damit ist die geforderte Eindeutigkeit gegeben. Am Ende stehen die eigentlichen Messergebnisse und die jeweiligen Messunsicherheiten.
„Mit diesen kalibrierten Werkstücken sind unsere Kunden erstmals in der Lage, die spezifischen Messunsicherheiten ihrer KMG- Messungen oder anderer Messeinrichtungen zu qualifizieren und damit eine Aussage über die Prüfprozesseignung der verwendeten Messtechnik zu treffen“, sagt Dipl.-Ing. Carsten Schwehn, DKD-Laborleiter bei Feinmess. „Spekulative Diskussionen erübrigen sich dadurch zukünftig.“ Um die PPE in der Praxis feststellen zu können, sollte das DKD-kalibrierte Bauteil sowie Werkstücke aus der laufenden Produktion von mehreren Werkern z. B. jeweils 20 Mal auf dem betriebseigenen KMG bzw. spezieller Messeinrichtungen gemessen werden.
Mit Hilfe der Excel-Vorlage der VDI/VDE 2617 Blatt 8 können die übernommenen Messdaten merkmalsbezogen ausgewertet werden. Für jedes Merkmal wie „Symmetrie der Flügelschlitzebene zum Lagerdurchmesser“ oder „Planlauf der Fläche am Laufdurchmesser“ wird ein Messprotokoll erzeugt, aus dem der Anwender seinen Messprozess bewerten kann. Gelistet sind hier die Messungen mit Datum und Uhrzeit, Prüfer, die Werte des kalibrierten Werkstücks und die der produzierten Teile.
Feinmess hat für die QUINDOS-Software (Hexagon Metrology GmbH in Wetzlar, ehemals Leitz Messtechnik GmbH) entsprechende Auswerteprozeduren erstellt, um für die Prüfprozesseignung von KMG dieses Auswertung zu automatisieren.
Weniger Diskussion – mehr Sicherheit
Aus dem Verhältnis der ermittelten erweiterten Messunsicherheit zur Toleranz (gpp) für das Prüfmerkmal, ergibt sich unter Berücksichtigung des vorgegebenen Grenzwertes Gpp (Verhältnis der maximal zulässigen Messunsicherheit zur Toleranz), ob der Prüfprozess geeignet ist oder nicht. Wenn hier grünes Licht (PPE geeignet: JA) gegeben wird, ist der bewertete Prüfprozess okay. Kommt die Untersuchung zu einem negativen Ergebnis, hat der Anwender Kriterien an der Hand, seinen Prüfprozess entsprechend zu optimieren und Verbesserungen einzuleiten. Mit dieser zielgerichteten Fehlersuche und der sich erübrigenden meist spekulativen Diskussion, wo denn die Ungenauigkeiten liegen, sieht Schwehn entscheidende Vorteile: „Das spart dem Anwender Zeit und Kosten. Außerdem kann man mit dieser Vorgehensweise Aussagen treffen, ob bei einem neuen Produkt die gewählte Messtechnik geeignet ist. Kunden, die heute bereits DKD-kalibrierte Werkstücke nutzen, befinden sich damit auf dem Weg, den schon die ISO 9000 fordert: Der Nachweis der Prüfprozesseignung.
Feinmess, Bad Endbach
QE 513

DKD – Labor:
Die Feinmess GmbH & Co.KG, Gesellschaft für Qualitätssicherung und Messtechnik mit Sitz in Bad Endbach-Bottenhorn, bietet seit 1993 ihr Dienstleistungen auf dem Gebiet der Koordinatenmesstechnik an. Anfang 2003 wurde das Unternehmen von der PTB zugelassen als erstes DKD-Labor für die Kalibrierung prismatischer Werkstücke auf KMGs. Dazu verfügt Feinmess über einen klimatisierten Feinmessraum (klassifiziert nach VDI/VDE 2627) und ein hochgenaues KMG vom Typ Leitz PMM 12106 mit einer Längenmessabweichung (MPE E) von 0,8 + L/400 (L in mm). Zum Leistungsspektrum gehören neben den DKD- Kalibrierungen, Lohn- und Auftragsmessungen und die Erstellung von Erstmuster-Prüfberichten, die Prüfmittelüberwachung, Kalibrierung von Einstellmeistern, Lehren, Ver- zahnungen, sowie die Überwachung, Kalibrierung und Korrektur von KMGs sowie die Messraum-Klassifizierung beim Kunden vor Ort. Aus der Praxis heraus liefert Feinmess die Software toEMPB für die Umsetzung von QUINDOS-Messergebnisse in Excel-Tabellen (auch die PPE Auswertung!) und FEINTEMP, das Temperatur- und Feuchte-Messsystem zur Überwachung und Klassifizierung von Messräumen nach VDI 2627. Die Erstellung von QUNIDOS-Messprogrammen und Schulung in dieser Software gehört ebenfalls dazu.
Feinmess, Bad Endbach
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