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„Es ist noch einige Prüfarbeit zu leisten“

Aleksander Koprivc, Industry Manager Automotive bei Zwick, im Interview
„Es ist noch einige Prüfarbeit zu leisten“

Neue Werkstoffe, globale Produktion und Elektromobilität sind derzeit die großen Herausforderungen in der Automobilindustrie. Dies hat auch Auswirkungen auf die Qualitätssicherung, wie Aleksander Koprivc erklärt, Automotive-Experte beim Mess- und Prüftechnikspezialisten Zwick. Handlungsbedarf sieht er besonders bei den Batterien von Elektrofahrzeugen. Bei den Energiespeichern werde noch sehr rudimentär geprüft, verbindliche Standards fehlten.

Herr Koprivic, was sind derzeit aus Ihrer Sicht die großen Herausforderungen beim Thema Qualitätssicherung in der Automobilbranche?

Koprivc: Die großen Trends Leichtbau und Effizienzsteigerung spiegeln sich sehr stark in der Werkstoffentwicklung, Bauteilauslegung sowie der Fügetechnik wider. Klassische Materialien wie Stahl und Aluminium werden beständig weiterentwickelt, aber zeitgleich kommen zunehmend Alternativen zum Einsatz, die neben dem Gewichtsvorteil und möglichen Kostenvorteilen die vergleichbare Funktionalität, Verarbeitbarkeit, Sicherheit und Wiederverwertbarkeit bieten müssen. Aus unserer Sicht stellen diese ständig weiterentwickelten Werkstoffe hohe Ansprüche an Entwickler und Konstrukteure, da beim Einsatz von neuen Werkstoffen teilweise Neuland betreten wird. Teile und Komponenten müssen bei deutlich weniger Gewicht hohe Sicherheitsanforderungen erfüllen. Zudem ist es wichtig, den optimalen Werkstoff an der richtigen Stelle im Fahrzeug verbauen zu können. Hier ist besonders die Fügetechnik gefordert, da sie den Material-Mix auf Dauer zusammenhalten muss.
Welche Auswirkungen haben Konzepte wie der modulare Querbaukasten bei VW auf die Qualitätssicherung?
Koprivc: Die Vereinheitlichung von Bauteilen über mehrere Modellreihen hinweg resultiert in deutlich höheren Stückzahlen, die zudem weltweit an verschiedenen Standorten produziert werden. Das erfordert zusätzliche Anstrengungen bei der Entwicklung und Produktion der Teile. Hierbei ist es zunehmend wichtiger, dass die Qualität in den Sicherungsstandards weltweit eingehalten und durchgehalten werden. Rückrufaktionen können unter diesen Umständen globale Ausmaße annehmen.
Gibt es weitere Herausforderungen?
Koprivc: Die großen Hersteller produzieren mittlerweile dort, wo sie auch ihre Autos verkaufen. Dazu muss aber ausreichend Know-how transportiert werden, um in China oder Brasilien die gleiche hohe Qualität produzieren zu können. Das ist für alle weiterhin eine ziemlich große Herausforderung, da es viele Parameter zu beachten gilt. So kann zum Beispiel eine identische Prüfmaschine in China signifikant unterschiedliche Prüfergebnisse zum Stammwerk liefern. Um das zu vermeiden, muss zunehmend Wert gelegt werden auf die weltweite Mitarbeiterqualifizierung, Einhaltung von QS-Prozessen, verläßliche Prüfmittel und eine erstklassige Kommunikation. Nur so kann man im globalen Qualitätswettbewerb bestehen.
Ist das vornehmlich ein Problem der Fahrzeugbauer oder betrifft das auch Mess- und Prüftechnikspezialisten wie Zwick?
Koprivc: Auch wir sind stark gefordert. Wir stellen zwar nur die Prüftechnik, müssen unseren Kunden aber weltweit unterstützen, diese richtig und effizient einzusetzen. Das heißt, wir müssen überall Produktqualität und umfassende Dienstleistungen bieten. Unsere Kunden müssen sich auf uns verlassen können – weltweit.
Das heißt konkret?
Koprivc: Wir müssen dafür sorgen, dass das Anwenderunternehmen nicht komplett davon abhängig ist, wie der Endnutzer mit dem Messgerät umgeht. Das Prüfsystem muss dem Anwender sagen können, wie gut er gemessen hat. Er muss wissen, wie groß die Messunsicherheit ist und wie sich diese reduzieren lässt. Wir arbeiten daher daran, noch mehr Intelligenz in unsere Software zu integrieren und Fehlerquellen auszuschließen.
In der Automobilindustrie werden zunehmend größere Fahrzeugkomponenten von den Zulieferern bereitgestellt, der OEM orchestriert quasi nur noch den Zusammenbau. Beinflusst dies auch die Qualitätssicherung?
Koprivc: Ja. Outsourcing erfordert generell, dass der OEM sehr eng mit seinen Lieferanten zusammenarbeiten muss. Und das wird umso schwieriger, je weiter man sich vom OEM entfernt – also Tier 2, Tier 3 und so weiter. Zudem muss ein OEM immer mit alternativen Lieferanten arbeiten, um reagieren zu können, falls einer von diesen ausfällt. Darüber die Kontrolle zu behalten, kostet viel Energie. Wir versuchen, dem OEM die Arbeit zu erleichtern, indem wir zum Beispiel eine größtmögliche Transparenz und Kontrollierbarkeit der Prüfprozesse sicherstellen. Mit Hilfe der Prüfsoftware können möglichst viele Parameter gemanagt und dokumentiert werden. Dann kann sich der OEM auch wirklich auf das Prüfzertifikat verlassen, das ihm der Lieferant vorlegt.
Sie haben die neuen Werkstoffe erwähnt. Ist der Eindruck richtig, dass die Qualitätssicherung solchen Innovationen immer ein bißchen hinterherhinkt?
Koprivc: Das liegt in der Natur der Sache. Wenn ein Werkstoff neu oder weiterentwickelt wird, dann muss man das Verhalten des Werkstoffes erst mal kennenlernen. Man muss verstehen, wie er sich unter bestimmten Bedingungen verhält, zum Beispiel bei besonderen Belastungen oder unter bestimmten Temperaturen. So kann es durchaus sein, dass bestehende Prüfstandards nicht mehr zeitgemäß sind und neue entwickelt werden müssen. Diese finden dann später in der Serienfertigung Anwendung.
Müssen denn immer alle Prüfmöglichkeiten ausgereizt werden oder gibt es Grenzen?
Koprivc: Es ist wichtig, den Prüfaufwand auf ein erträgliches Maß zu reduzieren. Man kann einen Werkstoff oder Bauteile exzessiv prüfen. Damit gewinnt man sicher noch weitere Erkenntnisse, das wäre wirtschaftlich aber nicht mehr sinnvoll. Mit ihrer jahrzehntelangen Erfahrung und mit modernen statistischen Methoden hat die Automobilindustrie dieses Thema gut im Griff.
Ein Werkstoff, der in der Automobilindustrie zurzeit an Bedeutung gewinnt, ist CFK. Bestes Beispiel dafür ist BMW. CFK stellt aber auch besondere Anforderungen an die Qualitätssicherung.
Koprivc: Das ist richtig. CFK ist eigentlich schon gut bekannt aus dem Luftfahrtbereich. Dort hat man die Prüfstandards und die Prüftechnik auch gut im Griff. Aber das lässt sich leider nicht eins zu eins auf den Automobilsektor übertragen. Die Anforderungen unterscheiden sich grundlegend, so dass die Automobilindustrie eigene Standards entwickeln muss.
Inwiefern?
Koprivc: Aufgrund der längeren Entwicklungszyklen und geringen Stückzahlen haben die Qualitätsverantwortlichen in der Luftfahrt deutlich mehr Zeit, Werkstoffe und Bauteile zu validieren. Auch konnte man sich historisch der Erkenntnisse der Militärtechnologie bedienen. Zudem hat die Regulierung einen deutlich höheren Einfluss als in der Fahrzeugindustrie. Letztlich sind auch die Anforderungen an die CFK-Bauteile im Flugzeug andere als im PKW. Große Unterschiede gibt es in den Bauteilformen und -größen, den Belastungen – also zyklisch versus stößig –, den Temperaturen – bei Flugzeugen bis zu -50 °C – und dem Crashverhalten. Flugzeuge brauchen keine Knautschzone. Die Prüfanforderungen an die Bauteile sind damit auch andere. Dem muss man Rechnung tragen und Prüfstandards speziell für die Automobilindustrie entwickeln.
Das Beispiel BMW zeigt, dass CFK gerade beim Thema Elektromobilität eine große Rolle spielen könnte. Auch dies ist ein Bereich, den Qualitätsspezialisten künftig verstärkt im Auge haben müssen. Sind denn dort schon alle Prüfmethoden ausgreift oder gibt es noch Handlungsbedarf?
Koprivc: Wir gehen davon aus, dass die Elektromobilität zukünftig für mehr Prüfaufwand sorgen wird. Bisher ist dem allerdings nicht so. Denn die meisten Fahrzeuge, die elektrifiziert werden, sind herkömmliche Serienfahrzeuge bei denen man den Verbrennungs- gegen einen Elektromotor ausgetauscht hat. So leiten sich auch die Prüfmethoden von bestehenden Verfahren ab. Fahrzeuge wie der Opel Ampera und der BMW i3 sind dagegen die ersten Fahrzeuge, die serientauglich speziell für Elektroantriebe entwickelt worden sind. Da hier komplett neue Entwicklungs- und Konstruktionsansätze verfolgt werden, Leichtbau konsequent umgesetzt wird, neue Werkstoffe und Fügetechniken Verwendung finden und neue Antriebs- und Energiespeichertechnologien eingesetzt werden, ist noch einige Prüfarbeit zu leisten.
Und für die braucht man spezielle Prüfverfahren?
Koprivc: Bei diesen Fahrzeugen werden die gleichen Sicherheitsmaßstäbe angesetzt wie bei den herkömmlichen Autos. Sie müssen somit auch die gleichen Tests durchlaufen. Es gibt aber bei den Energiespeichern noch keine verbindlichen Standards, so dass hier teilweise noch sehr rudimentär geprüft wird. Das ist zumindest mein Eindruck.
Was heißt das genau?
Koprivc: Die Prüfverfahren wurden von den Vorgaben für Consumer-Batterien übernommen. Aufgrund der Komplexität im Fahrzeug können die Vorschriften für Batterien in Mobiltelefonen nicht eins zu eins auf den Automobilbereich übertragen werden. In einem Fahrzeug herrschen andere Bedingungen. Da muss man zum Beispiel im Crashfall mechanische Verformungen einberechnen. Oder größere Temperaturschwankungen beachten, die von etwa -30 bis +60 °C reichen.
Das hört sich deutlich nach Handlungsbedarf an.
Koprivc: Es gibt schon Initiativen, die sich damit beschäftigen. So sind gerade verschiedene Sicherheitsnormen entstanden, die aber besonders im Bereich mechanischer Prüfverfahren noch ziemlich viel offen lassen, da es einfach noch keine genügenden Erfahrungswerte gibt. Es gibt es also aus unserer Sicht noch einiges zu tun.
Wie geht Zwick dieses Thema an?
Koprivc: Wir beobachten die Entwicklung. Und wir unterstützen OEMs, Zulieferer und Prüfdienstleister, wenn diese an ihre Grenzen stoßen, weil sie die entsprechende Prüftechnik nicht zur Verfügung haben. Da Dienstleister im Auftrag handeln, werden oft nur die Minimalvorgaben des Gesetzgebers erfüllt.
Wie bereitet sich Zwick grundsätzlich auf Anforderungen durch neue Entwicklungen wie etwa Leichtbau vor?
Koprivc: Wir sind offen und immer im Kontakt mit den Herstellern und Zulieferern. Außerdem bieten wir modulare Lösungen an, die der Kunde extrem flexibel einsetzen kann. Auf diese Weise können wir uns auch leicht an neue Anforderungen anpassen. Wir betreiben auch ein großes Prüflabor, in dem wir für Kunden mechanische Prüfungen durchführen und neutrale sowie verlässliche Prüfergebnisse ermitteln. Das hilft uns, quasi am Puls der Zeit zu sein und uns früh mit neuen Leichtbauherausforderungen in der Prüftechnik zu beschäftigen. So haben wir einen speziellen Probenhalter entwickelt, der sehr kurze metallische Probekörper im Zugversuch halten kann, was mit bisheriger Technik nicht möglich war. Ein weiteres Beispiel ist die berührungslose Dehnungsmessung an Probekörpern, für die wir spezielle Video- und Lasertechnik entwickelt haben. ■
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