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Vom Qualitäts- zum Komplexitätsmanager

Qualitätssicherung in der gesamten Wertschöpfungskette
Vom Qualitäts- zum Komplexitätsmanager

Über den langfristigen Erfolg eines Unternehmens entscheiden zunehmend die Qualität der Produkte und ein solides Markenimage. Notwendig ist daher die effiziente Steuerung aller Produktionsprozesse – und zwar in einem integrierten Ansatz über die gesamte Wertschöpfungskette. Diese Erkenntnis ist zwar nicht neu, aber in der Praxis stoßen Qualitätsmanager mit etablierten Methoden und Lösungsansätze oft an ihre Grenzen.

Wer die Komplexität der Wertschöpfung in den Griff bekommen will, sollte mit Kunden und Partnern Erfolgspotenziale aufdecken und Best-Practice-Lösungen erarbeiten – tatsächlich ist das eine der aktuell wichtigsten strategischen Aufgaben für Qualitätsmanager. Nur stellt die Arbeitsrealität in vielen Unternehmen dem leider noch Hindernisse in den Weg: vor allem die Produktentwicklung ist zum Beispiel oftmals eine Closed-Shop-Veranstaltung. Speziell für das Qualitätsmanagement gilt dabei häufig immer noch die Richtlinie „Qualität ist, wenn der Kunde zurückkommt und nicht das Produkt.“

Natürlich ist die Kundenperspektive entscheidend – aber eben nicht eine ausschließlich auf den Herstellprozess abzielende Produktperspektive. Denn in einer über Unternehmensgrenzen hinweg integrierten Produktion ist es die Qualität aller Prozesse, die erfolgskritisch ist. Wie will man sonst die Qualität eines Produkts sichern, an dessen Entstehung man nur zu 20 % beteiligt ist? Aus diesem Grund müssen Qualitätsmanager die Prozesse bei Lieferanten und deren Lieferanten im Blick haben – im Extremfall bis hin zu den Rohstoffproduzenten am Ende der Kette.
Wie das in der Praxis im Teilbereich der Fertigung gelingt, zeigt das Beispiel des chinesischen Automobilherstellers Brilliance. Das Unternehmen zählt in China bereits zu den Top 10 OEM und will sich mit einer verbesserten Qualitätssicherung im dortigen Premium-Segment etablieren. Das Markenimage von Brilliance litt in der Vergangenheit unter einer veralteten Technik und schlechten Crashtestergebnissen. Um den Wandel zur Luxusmarke zu vollziehen, musste Brilliance also vor allem einen raschen, signifikanten und messbaren Qualitätsfortschritt in allen Produktionsbereichen erreichen.
Dazu konzentrierte sich das Unternehmen in einem entsprechenden Projekt auf drei Verbesserungsphasen: Den Anfang machte eine Analysephase, in der Brilliance mit Hilfe von Lean Scans die Prozesse der gesamten Fertigungskette identifizierte und teilweise neu definierte. Dabei prüfte man anhand unterschiedlicher KPIs, welche messbaren Qualitätsergebnisse erreicht wurden: etwa mittels Audit Scores für Gewährleistungs- und Kulanzkosten oder für die Nachbearbeitungszeit pro Modell. Zudem kamen Aspekte wie das Prozessdesign, die Karosserie- und Teilequalität, die Prozess- und Fertigungsmanagementstandards sowie die Mitarbeiterkompetenzen auf den Prüfstand.
Qualitäts-Gates eröffnen Verbesserungschancen
Die zweite Phase konzentrierte sich auf eine Verbesserung der Fertigungsabläufe, insbesondere über Mitarbeitertrainings und eine Pilot-Implementierung. Nach der Methode der 5S-Arbeitsgestaltung optimierte Brilliance Arbeitsplätze in verschiedenen Gewerken seiner Produktion. Hier achtete man sowohl darauf, Ordnung und Sauberkeit für eine störungsfreie Umgebung mit niedrigen Unfallrisiken zu schaffen als auch die Basis für die Herstellung qualitativ verbesserter Fahrzeuge zu erhalten. So soll die Belegschaft in Zukunft mit Hilfe von Qualitäts-Gates Verbesserungschancen schnell erkennen. Zusammen mit Qualitätsregelkreisen und der Einführung einer strukturierten Problemlösungsmethodik lässt sich so sicherstellen, dass die Mängelquote immer weiter sinken wird. In der dritten Projektphase, der Identifizierungsphase aller Verbesserungsmaßnahmen, erfolgte der Roll-Out aller Handlungsschritte im Unternehmen. Hierbei ging es auch darum, über die neuen Prozesse stabil und adaptiv für zukünftige Veränderungen zu gestalten und so über die Produktion hinaus Agilität in weiteren Bereichen der Wertschöpfung zu erlangen.
Neben den ersten Erfolgen bei messbaren KPIs der Qualitätssicherung profitieren bis heute alle Beteiligten von Erfahrungen im interkulturellen Austausch. Gerade bei internationalen Projekten sollte man nie ein ähnliches oder gleiches Qualitätsbewusstsein voraussetzen, sondern sehr aufmerksam beobachten, wo die Unterschiede liegen und ob ein gemeinsam entwickeltes Verständnis auch in der Praxis gelebt wird. Im Falle des Brilliance-Projektes erwiesen sich dabei zum Beispiel chinesisch-deutsche Teams als zentraler Erfolgsfaktor, die zusätzlich von chinesischen Consultants und deutschen Beratern mit jahrelanger Erfahrung bei asiatischen OEM und Zulieferern unterstützt wurden. So gelang es dem Projektteam etwa, ein langwieriges Problem mit unregelmäßigen Spaltmaßen an der Fahrzeugkarosse zu lösen – ein weiterer Schritt hin zur chinesischen Premium-Klasse und zu einer effektiven Qualitätssicherung.
Komplexitätsbewältigung ist das große Thema
Doch was sollten Qualitätsmanager ganz unabhängig von Branche oder Marktumfeld beachten, wenn sie derart komplexe Prozesse nicht nur in Teilbereichen, sondern über die ganze Wertschöpfungskette hinweg koordinieren müssen? Die erste und gleichzeitig entscheidende Frage lautet: Ist man als Qualitätsmanager schon in der Phase der Produktentwicklung sowohl im eigenen Unternehmen als auch bei den Partnern mit im Boot? Denn hier, beginnend beim Produktionsdesign über die Auswahl der richtigen Lieferanten bis hin zur Industrialisierung, entstehen drei Viertel der Fehler. Um den Erfolg und die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens zu gewähren, sind folgende Faktoren essenziell:
  • Auswahl der richtigen Lieferanten und Zulieferer
  • Evaluierung der Prozesse der Partner
  • Festlegung einer adäquaten QM-Strategie auf deren Basis die geeigneten Werkzeuge zur Gestaltung der Wertschöpfungskette bestimmt werden
  • Initiierung von Kommunikationsprozessen und Schaffung von Transparenz
  • Betreiben einer Fehleranalyse über Unternehmens- und Bereichsgrenzen hinweg, um Wiederholungsfehler zu vermeiden
  • Etablierung integrierter Prozesse
Gelingt es dem Qualitätsmanager, integrierte Prozesse zu etablieren, die jeden relevanten Partner und Funktionsbereich erfassen, von der Entwicklung über den Einkauf und die Logistik bis hin zu Produktion und Vertrieb, verändert es die Organisation. Ein Unternehmen, das über ein solches QM-Verständnis verfügt, erreicht höhere Flexibilität, Adaptionsfähigkeit und steigert seine Agilität sowie „Schnittstellenexzellenz“. Das sind die unabdingbaren Voraussetzungen, um in einer volatilen Umwelt langfristig erfolgreich zu sein. ■
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