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Witte Barskamp: “Die Spanntechnik der Zukunft ist digitalisiert“

Interview mit Witte Barskamp
“Die Spanntechnik der Zukunft ist digitalisiert“

“Die Spanntechnik der Zukunft ist digitalisiert“
Jens Düffert hat bei Witte Barskamp neue Strukturen geschaffen, um etwa die Geschwindigkeit bei Kundenprojekten zu erhöhen. Bild: Witte Barskamp
Die Spanntechnik für die Messtechnik wird zunehmend digital, sagt Jens Düffert, Geschäftsführer von Witte Barskamp, im Interview mit Quality Engineering.

» Sabine Koll

Herr Düffert, Spanntechnik gilt in der Qualitätssicherung nicht gerade als „sexy“ Produkt. Wie sehen Sie das?

Jens Düffert: Ob etwas sexy ist, liegt ja mehr oder weniger im Auge des Betrachters. Aber nein, Sie haben schon recht: Wir stellen rein technische Produkte her – und die müssen zunächst einmal funktional sein und nicht emotional berühren. Doch auf der anderen Seite hören wir im Gespräch mit unseren Kunden immer wieder, dass sie unsere Spannsysteme sehr mögen, weil sie gut konstruiert sind, sehr schön gefertigt sind und eine gute Haptik haben. Sie wirken im Vergleich zu Wettbewerbsprodukten, welche die gleiche Funktionalität haben, einfach professioneller. Das spricht viele Kunden an, im Sinne von „das mag ich lieber“ oder „damit arbeite ich lieber“. Insofern sind unsere Spannsysteme vielleicht doch sexy.

Nun ist es ja so, dass sich viele Unternehmen in der Qualitätssicherung ihre Spannmittel selbst bauen. Wann wird zu Ihren Systemen gegriffen?

Düffert: Keine Frage, viele Unternehmen bauen ihre Vorrichtungen selbst oder nutzen ganz einfache Dinge wie Knetmassen, um Bauteile auf der Messmaschine zu fixieren. Wenn man ein Bauteil über einen längeren Zeitraum auf der Messmaschine hat und dann nie wieder, dann ist das auch sicher okay. Unser Alufix-Baukastensystem kommt immer dann zum Zug, wenn man sehr flexibel sein möchte, wenn man modulare Messmittel braucht, die man schnell montieren und schnell zu einem neuen Messmittel ummontieren kann. Ein Lohnfertiger hat ja typischerweise sehr viele verschiedene Messaufgaben und Bauteile. Für ihn kommt es darauf an, relativ zügig zwischen verschiedenen Bauteilen zu wechseln – und unsere Systeme sorgen dafür, dass die Messaufgaben bei gleicher Qualität und mit gleicher Genauigkeit erledigt werden. Wiederholbarkeit und Wiederholgenauigkeit sind die großen Vorteile. Unsere Systeme rechnen sich oft schon nach der zweiten oder dritten Messaufgabe. Hinzu kommt, dass auch Nicht-Messtechniker die Systeme einfach aufbauen können.

Welche Erwartungen haben die Anwender in der Qualitätssicherung vor allem an die Spanntechnik? Sie haben ja ein zweites großes Standbein in der Zerspanung – unterscheiden sich Erwartungen?

Düffert: Zwischen diesen Bereichen gibt es sehr große Unterschiede. Im Zerspanungsbereich wirken ja große dynamische Kräfte, da muss die Spanntechnik dafür sorgen, dass sich das Bauteil beim Bearbeiten nicht löst. In der Messtechnik hingegen geht es darum, dass man bestimmte Messpunkte wiederholbar supergenau ermittelt. Da wirken keine Kräfte von außen auf das Bauteil. Da kann man viel filigraner aufbauen, da kommt es eher auf Wiederholgenauigkeit an.

Welche Entwicklungen prägen nach Ihrer Einschätzung derzeit die Messtechnik – und was bedeutet dies für die Spanntechnik?

Düffert: Wir haben ja ein starkes Standbein in der Automobilindustrie, und hier ist vor allem der Trend zur Atline- beziehungsweise Inline-Messtechnik deutlich spürbar. Damit verbunden ist, dass immer mehr optisch gemessen wird. Das heißt, es findet eine Verlagerung der Aufgaben vom Messraum in die Fertigung statt. Und auch im Messraum wird zunehmend optisch gemessen; bei einigen Kunden geschieht dies bereits heute zu 100 %. Für die Messvorrichtung ist es im Prinzip egal, ob taktil oder optisch gemessen wird. Das beeinflusst unser Geschäft also nicht. Allerdings sehen wir auch, dass im einen oder anderen Bereich bereits virtuell gemessen wird – und wenn sich dies zunehmend durchsetzt, braucht es natürlich tendenziell weniger Spanntechnik.

Wird die Digitalisierung die Spanntechnik verändern?

Düffert: Ja, durch die digitalen Möglichkeiten wird es Veränderungen am Markt geben. Wir denken über den Ausbau unseres Online-Konfigurators nach. Auch bei uns geht die Entwicklung dahin, Intelligenz in die Vorrichtungen zu bringen. Diese Entwicklung wird sicher nicht den klassischen Vorrichtungsbau ersetzen, doch in Zukunft wird man beide Welten miteinander kombinieren.

Was heißt das konkret, wenn Sie sagen, Sie wollen Intelligenz in die Spanntechnik bringen?

Düffert: Denkbar wäre es, dem Messtechniker bereits im Messprogramm Vorschläge zu unterbreiten, wo er einen Spanner oder eine Messplatte positionieren sollte. Das wird eine Software sein, die über eine Schnittstelle mit der Messgeräte-Software verbunden ist. Damit könnte man dem Messtechniker die Arbeit erleichtern. Auch könnte man für die vorausschauende Wartung der Vorrichtungen Sensorik darin verbauen, sodass es erst gar zu einem Stillstand durch Versagen oder Bruch kommt. Dann könnte man einfache Dinge abfragen, wie zum Beispiel, ob alle Spanner an der richtigen Stelle gesetzt sind, ob sie richtig gespannt sind oder ob ein Bauteil richtig liegt. Dafür kann man dem Bauteil oder der Spannvorrichtung die notwendigen Informationen mitgeben. Das heißt, die Spannvorrichtung erhält Sensorik. Solche Produkte sind bei uns in der Entwicklung.

Wann wird es solche intelligente Spanntechnik bei Ihnen geben?

Düffert: Die ersten Neuheiten werden wir bereits dieses Jahr auf den Markt bringen. Doch in der Breite rechne ich schon noch mit ein oder zwei Jahren Entwicklungszeit bis zur Marktreife. Wir sind tief in der Entwicklung drin. Zudem wollen wir den Bereich der Automatisierung künftig noch weiter ausbauen.

Was haben Sie im Bereich Automatisierung vor?

Düffert: Wir sehen, dass die Qualitätssicherung in vielen Unternehmen ein großer Kostenblock ist, den man reduzieren muss. Hinzu kommt der Fachkräftemangel. Vor diesem Hintergrund werden wir oft gefragt, wie man Aufgaben so automatisieren kann, dass sie nicht mehr zwingend der Messtechniker übernehmen muss. Wir bieten ja heute schon vollautomatisierte Systeme an – beispielsweise Beladetechnik oder unsere Strukturplatten für die Bauteillogistik. In diese Richtung denken wir weiter. Ich glaube, der Trend geht dahin, dass man zunehmend übergreifend automatisierte Lösungen zwischen Messräumen und Fertigung benötigt. Das können auch selbstfahrende mobile Plattformen sein. Oder auch Hebetechnik. Das sehe ich als einen weltweit wachsenden Markt an.

Welche Rolle spielt hier die Digitalisierung?

Düffert: Ohne Digitalisierung wird es auch hier nicht gehen: So wird in Zukunft das Transportmittel mit dem Messgerät kommunizieren, um zum Beispiel zeitig das nächste Bauteil aus der Fertigung zum Koordinatenmessgerät im Messraum zu bringen. Wir denken dabei an standardisierte Produkte, aber auch an solche, die wir als Projektgeschäft gezielt für die individuellen Anforderungen des Kunden entwickeln und fertigen. Wir haben nicht umsonst den Ruf, dass wir vor allem dann gefragt sind, wenn es kompliziert wird.

In welchen Märkten sehen Sie für automatisierte Vorrichtungen und Transportsysteme Potenzial?

Düffert: Ich muss vielleicht klarstellen, dass wir nicht generell in das Geschäft etwa mit fahrerlosen Transportsystemen einsteigen wollen. Das beherrschen andere besser. Unser Fokus wird immer auf der Kombination mit der Messtechnik liegen. Um aber auf Ihre Frage zu kommen: Die Automobilindustrie ist da sicher der Vorreiter, dem andere Branchen folgen werden. Global gesehen registrieren wir eine starke Nachfrage vor allem in Europa und den USA. Dort sind wir mit einer Vertriebsniederlassung ja genauso vertreten wie auf dem chinesischen Markt, den wir über unsere Niederlassung in Singapur bedienen.

Und wie hat sich der chinesische Markt für Sie entwickelt?

Düffert: Auf der einen Seite kaufen die chinesischen Industrieunternehmen – dem Wunsch der Regierung entsprechend – zunehmend heimische Produkte. Dadurch ist der Markt für uns schwieriger geworden, zumal es dort Kopierer unserer Produkte gibt, die mit Dumpingpreisen auf den Markt gehen. Auf der anderen Seite gibt es ja gerade in der chinesischen Automobilindustrie viele neue OEMs, bei denen wir mit unseren Produkten punkten können. Vollautomatisierte Lösungen wie unsere Strukturplatten können unsere chinesischen Wettbewerber eben noch nicht. Solch komplexe Produkte sind unsere Chance.

Gibt es weitere Geschäftsbereiche, die Sie ausbauen wollen?

Düffert: Ja, wir forcieren derzeit unser Projektgeschäft in der Form, dass wir unsere gesamte Expertise – von der Konzeption und Konstruktion über die Fertigung und Montage bis hin zur Messtechnik – als Dienstleistung am Markt anbieten. Vor allem bei voluminösen, komplexen, anspruchsvollen Teilen mit hohen Toleranzanforderungen sehen wir uns da als den richtigen Partner für unsere Kunden. Wir haben zum Beispiel mehrere Messmaschinen mit sehr großen Verfahrwegen, über die ein normaler Lohnmesstechnikbetrieb in der Regel nicht verfügt.

Was haben Sie ansonsten noch verändert?

Düffert: Wir haben intern neue Strukturen geschaffen, um etwa die Geschwindigkeit bei Kundenprojekten zu erhöhen. Das geht in Richtung Lean Management. So haben wir zum Beispiel ein Kundencenter eingerichtet, in dem zentral alle Anfragen eingehen und an das Projektmanagement weitergeleitet werden. Auch gestalten wir unsere Fertigung Richtung smarte Fabrik um; wir haben sieben sich selbst organisierende Fertigungsinseln mit allen Gewerken und moderner Logistik geschaffen. Das sorgt für kurze Wege und schnellere Durchlaufzeiten. Das heißt, wir haben die komplette Organisation gewissermaßen umgekrempelt. Unsere Kunden und Mitarbeiter bilden wir in der eigens dafür neu geschaffenen Witte Akademie aus. In der Außenwirkung haben wir unsere Markenstrahlkraft geschärft. Damit sind wir für die Zukunft sehr viel besser aufgestellt, um unsere Ideen in die Tat umzusetzen. Unser Ziel ist letztlich Wachstum in einem moderaten Rahmen – organisch mit bestehenden und neuen Produkten und Services, aber vielleicht sogar anorganisch durch Zukäufe.


Über Jens Düffert

Jens Düffert, Maschinenbauingenieur und studierter Betriebswirt, stieg 2009 bei Witte Barskamp ein. Seit 2016 ist er Geschäftsführer und seit 2021 Mitgesellschafter. Im März 2023 wurde er zum alleinigen Geschäftsführer, da die bisherigen Mitgeschäftsführer – Firmengründer Horst Witte und dessen Sohn Andreas – sich aus dem operativen Geschäft zurückgezogen haben. Das Unternehmen beschäftigt heute über 200 Mitarbeiter – den Großteil davon am Unternehmenssitz im niedersächsischen Bleckede bei Lüneburg. Für den globalen Vertrieb gibt es Niederlassungen in den USA, in Mexiko und Singapur sowie mehr als 60 Vertriebs- und Service-Partner auf allen fünf Kontinenten.



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