Begriffe wie Klimaneutralität, Net Zero und Carbon Neutrality sind in aller Munde und werden in verschiedenen Formen öffentlich vermittelt – den sogenannten Claims. Dabei zeichnet der Status Quo ein eher unübersichtliches Bild. „Wir sehen eine Vielzahl an undurchsichtigen und zum Teil zweifelhaften Möglichkeiten, Umweltaussagen geprüft zu kommunizieren“, sagt Florian Himmelstein vom Berliner Zertifizierungsinstitut Gutcert. Das kratze an der Glaubwürdigkeit und ziehe viele, oft auch gerechtfertigte Klagen nach sich. „Die Angst vor Reputationsverlust steigt.“
Die Green Claims Directive, die die EU aktuell auf den Weg bringt, wirft ein Schlaglicht darauf, was auf die Unternehmen – und damit auch auf die Qualitätsmanager – künftig zukommen wird. Danach müssen nicht erreichte Klimaziele kommuniziert werden. Die Richtlinie sieht die Überprüfung der Angaben durch unabhängige und akkreditierte Prüfstellen vor – bei Nichteinhaltung drohen Strafen von mindestens 4 % des Jahresumsatzes. Und sie betrifft fast alle, denn nur Kleinunternehmen mit bis zu zehn Mitarbeitern, bzw. einem Jahresumsatz von höchstens 2 Millionen Euro, sind ausgenommen.
EU-Richtlinie: Unternehmen sollten sich vorbereiten
Noch ist Zeit, sich vorzubereiten: Die Beschlussfassung ist frühestens im Sommer zu erwarten, bevor die Richtlinie dann innerhalb von zwei Jahren in nationales Recht umgesetzt werden muss. Die Experten von Gutcert raten, jetzt schon die Transparenz in der Kommunikation von Klimazielen zu prüfen und zu fördern, auf Basis von internationalen Standards zu arbeiten, Umweltzielsetzungen realistisch zu definieren und diese immer mit konkreten Maßnahmen zu hinterlegen. So könne man sich auf kommende komplexere Anforderungen vorbereiten und „am Ball“ bleiben.
Mit der Ende vergangenen Jahres veröffentlichten „ISO 14068-1 – Transition to Net Zero – Part 1: Carbon Neutrality“ hat die ISO jetzt eine grundlegende Norm geschaffen, die einheitliche Anforderungen an die Ermittlung von Treibhausgasen, an Reduktionsverpflichtungen und Zielsetzungen, Kompensation und vor allem an die öffentliche Kommunikation des Claims stellt.
Grundgedanke der neuen Norm ist die Unterscheidung zwischen nicht vermiedenen Emissionen (unabated emissions), die zum aktuellen Stand noch nicht reduziert worden sind, und restlichen Emissionen (residual emissions), die aus technischen und wirtschaftlichen Gründen nicht reduziert werden können. Damit werden auch zwei Zustände definiert: Ein Übergangszustand, in dem es noch unvermiedene Emissionen gibt, und ein Endzustand, in dem nur noch die unvermeidbaren Emissionen übrig bleiben.
Bei der Norm handelt es sich nicht um eine klassische Managementsystem-Norm wie etwa die ISO 9001 oder ISO 50001. Jedoch sind in ihrer Struktur starke Managementsystem-Ansätze enthalten. Zum Beispiel werden eine Verpflichtung der obersten Leitung zur „Carbon Neutrality“ sowie Verbesserungszyklen mit Überwachung und regelmäßiger Neubewertung im Sinne eines PDCA-Zyklus gefordert.
Im Unterschied zu anderen Standards stellt ISO 14068-1 keine harten Anforderungen an die Zielsetzung und die Reduktionsambitionen. Vielmehr wird auf eine Orientierung am wissenschaftlichen Konsens verwiesen und der Schwerpunkt liegt auf umfassender Dokumentation und Transparenz.
Will ein Unternehmen seine Umweltziele nach ISO 14068-1 kommunizieren, so geht das in mehreren Schritten:
- Am Anfang steht die Verpflichtung zur Carbon Neutrality durch die oberste Leitung, vergleichbar mit den Anforderungen bei Managementsystemen. Notwendige Ressourcen müssen bereitgestellt, Verantwortlichkeiten zugeteilt und die betrachtete Einheit benannt werden.
- Im nächsten Schritt gilt es, die THG-Emissionen und -senkungen zu ermitteln. Die Kalkulation des CO2-Fußabdrucks muss gemäß den ISO-Standards erfolgen. Standards des Greenhouse Gas Protocol (GHP) können ebenfalls verwendet werden, sofern die ISO-Kriterien auch erfüllt werden.
- Darauf folgt die Erstellung des Carbon Neutrality Management Plan. Darin müssen die kurz- und langfristigen Ziele benannt werden. Außerdem muss festgelegt werden, wann nur noch restliche Emissionen verursacht werden. Die Art der Maßnahmen ist anzugeben und darüber hinaus, auf welchen Annahmen, Begründungen und technischen Hintergründen diese basieren. Zur Kompensation unverminderter und restlicher Emissionen gelten klassische Kernanforderungen mit Blick auf Artikel 6 des Pariser Abkommens.
- Schließlich wird der Carbon Neutrality Report als öffentliches Dokument kommuniziert, das die wichtigsten Kerninformationen und Begründungen enthält. Der Status bezüglich unvermiedener und restlicher Emissionen muss mitgeteilt werden. Voraussetzung für die Erstellung ist die Verifizierung nach ISO 14063. Und: Es müssen bereits Reduktionen erfolgt sein.
„Unterm Strich ist ein Transformationspfad mit tatsächlichen Reduktionsplänen gefordert“, so Himmelstein. So sollen verbindliche Vorgaben an eine einheitliche THG-Bilanzierung und -Kommunikation geschaffen werden. Da die Norm keine verbindliche Regelung zur kontinuierlichen Überwachung der Umsetzung enthalte, sei umfassende Transparenz dabei das A und O.
Internationaler Standard mit Schwächen
Derweil hat auch das Umweltbundesamt (UBA) einen ersten Blick auf die neue Norm geworfen und sie aus klimapolitischer Sicht bewertet. In einem Informationsblatt würdigt das UBA, dass sie durchaus zu einem besseren Verständnis treibhausgasneutraler Organisationen und Produkten beitragen könne. Es weist aber auch auf die erheblichen Schwächen hin, da die Norm Aussagen zur Treibhausgasneutralität auch bei hohen fossilen CO2-Emissionen, mangelnder Umweltintegrität von Treibhausgasentnahmen sowie unvollständigem Ausschluss von Doppelzählungen zulasse. Unternehmen, die glaubwürdig mit Treibhausgasneutralität werben wollen, sollten nach Ansicht der Autoren daher mehr tun, als die Anforderungen der ISO 14068-1 zu erfüllen. Vielmehr müssen sie ihre Treibhausgasemissionen konsequent im Einklang mit den internationalen Klimazielen verringern und aktiv negative Auswirkungen von Treibhausgasentnahmen verhindern.
Gerichte, die über Abmahnungen und Klagen von Treibhausgas-Neutralitätsaussagen zu entscheiden haben, sollten ihr Urteil nicht nur darauf stützen, ob die Anforderungen der ISO 14068–1 erfüllt werden, so das UBA. Die EU und Deutschland sollten rechtliche Regelungen verabschieden, um missverständliche Aussagen zur Treibhausgasneutralität zu verbieten. Die kommende EU-Richtlinie zur Stärkung der Verbraucher (Empowering Consumers Directive) und die geplante EU-Richtlinie zu expliziten Umweltaussagen (Green Claims Directive) schaffen laut UBA hierzu den rechtlichen Rahmen. Schließlich sollte auch die ISO schnellstmöglich die Norm zur Treibhausgasneutralität überarbeiten und deren Schwächen beseitigen.
Webhinweis
Das Informationsblatt des Umweltbundesamts zur ISO 14068-1 finden Sie zum Download unter: