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Technische Sauberkeit bei Innio: Partikeln auf der Spur

Rasterelektronenmikroskopie
Technische Sauberkeit bei Innio: Partikeln auf der Spur

Zur Bestimmung der Herkunft kritischer Restschmutz-Partikel an Großmotoren kommt bei Maschinenbauer Innio ein Rasterelektronenmikroskop von Zeiss zum Einsatz.

Gasmotoren und Blockheizkraftwerke in Containerbauweise für die Energieversorgung sind das Kerngeschäft von Innio. „Selbst ein winzig kleiner metallischer Schmutzpartikel kann in unseren leistungsstarken Motoren erhebliche Schäden verursachen“, betont Christian Troger, Operation Quality Leader beim Tiroler Maschinenbauer. Würden sich beispielsweise Metallpartikel von der Größe eines Sandkorns im Pleuellager befinden, wäre dadurch die Gefahr gegeben, dass der Ölfilm im Lager abreißt. Ohne ausreichende Schmierung erhöht sich die Reibung zwischen Kurbelwelle und Pleuellager, was zu schwerwiegenden Schäden führen kann.

Eine Schadensbehebung wäre bei einem Motor, der wie der Jenbacher J920 circa 91 t wiegt und bei dem die Kurbelwelle fast 7 m lang und 8,5 t schwer ist, entsprechend aufwändig und kostspielig. Nicht zu vergessen, dass sich die Auslieferung des Motors an den Kunden deutlich verzögern würde. Je höher dabei die Leistungsdichte der Motoren, desto wichtiger wird die Technische Sauberkeit.

Mit den Jenbacher Motoren bietet Innio Generatoren-Sets sowie Kraft-Wärme- und Kraft-Wärme-Kälte-Kopplungsanlagen im Leistungsbereich von 250 KW bis 10,4 MW. Diese können mit einer Vielzahl an Energieträgern wie Deponiegas, Klärgas, Biomethan oder Wasserstoff betrieben werden und ebnen Kunden damit den Weg für ihren Übergang zu Net Zero. Mehr als 24.000 Jenbacher Motoren wurden bislang in rund 100 Länder geliefert.

Und die Entwicklung geht weiter – mit deutlichen Auswirkungen auf die Bauteile der Motoren. Die Steigerung der mechanischen Wirkungsgrade auf deutlich über 50 % sowie die Treibstoffflexibilität in Bezug auf Methanzahl, Wasserstoffanteil und Biogase sorgt für steigende Spitzendrücke und Lagerlasten sowie eine höhere thermische Belastung der Motoren. Dies macht unter anderem den Einsatz härterer Lager und deutlich engerer Toleranzen notwendig – eine Entwicklung, die das Risiko für einen Ölfilmabriß durch ein kritisches Partikel erhöht. Für Troger steht damit außer Frage: „Mit der stetigen Weiterentwicklung unserer Motoren steigt auch die Bedeutung der technischen Sauberkeit.“

Diese Erkenntnis gewann Innio deutlich früher als viele andere Firmen. Doch die Branche scheint aufgewacht zu sein: „Seit einigen Jahren kommen immer mehr Qualitätsverantwortliche und Techniker zu den Fachtagungen technischen Sauberkeit“, beobachtet Troger.

Neue Standards für die Fertigung

Mit der Entscheidung, 2012/2013 Standards für die technische Sauberkeit einzuführen, begann beim österreichischen Maschinenbauer ein umfassender Change-Prozess: Inspiriert von den Erfahrungen der Automobilbranche und in Anlehnung an den Leitfaden VDA 19 wurden zunächst der gesamte Prozess modelliert, Reinheitsspezifikationen für sensible Bauteile bestimmt und besonders kritische Bereiche in der Fertigung definiert. Gut 800 Projektbausteine kamen laut Troger so zusammen. Anstatt jedoch irgendwelche Maximalziele zu verfolgen, setzte Innio konsequent auf die Umsetzung des Notwendigen. Und was das ist, das bestimmte nicht allein die Qualitätssicherung. „Wir haben versucht, alle mitzunehmen; auch das Management“, erinnert sich der Qualitätssicherungsexperte. Denn bei der technischen Sauberkeit geht es immer um eine Kosten-Nutzen- beziehungsweise Risikoeinschätzung.

Ungefähr 3 Millionen Euro investierte Innio bisher in Maßnahmen beziehungsweise Lösungen für die technische Sauberkeit. Es wurden Schleusen eingebaut, Arbeitsplätze umgestaltet, bestimmte Bereiche eingehaust und auch die Reinigungsvorgaben geändert. Der Betonboden in der Montage wird heute beispielsweise täglich nass gereinigt. Und um den Restschmutz auf den Bauteilen überhaupt analysieren zu können, wurde ein Labor mit speziell entwickelten Anlagen für das Spülen der tonnenschweren Bauteile eingerichtet. Zudem wurde ein Sauger mit speziell designten Zyklonenfilter zur Analyse und Reinigung von kritischen Motorbereichen entwickelt sowie in Mikroskope zur Untersuchung der Analyse-Filter mit den aufgefangenen Restschmutzpartikeln investiert. Und weil sich im Laufe der Zeit herausstellte, dass Holzpaletten nicht abreinigbar sind und so die gereinigten Bauteile mit metallischen und nicht metallischen Partikeln und Fasern kontaminierten, wurde komplett auf Kunststoffpaletten umgestellt. Darüber hinaus wurde für jeden Arbeitsplatz ein Sauberkeitsplan entwickelt. Das heißt, es wurde genau definiert, welche Bereiche am Arbeitsplatz in welchem Rhythmus gereinigt werden müssen. Und auch die Lieferanten mussten entsprechend geschult werden. Zwei bis drei Jahre dauerte es laut Troger, „bis wir einen guten Standard hatten“. Um diesen zu halten, wird der gesamte Prozess von der Warenanlieferung über die Fertigung bis hin zum Versand mit Partikelfallen überwacht. Diese Partikelfallen zeigen die Belastung und mögliche Grenzwertüberschreitungen kritischer Bereiche an. Eine Schlüsselrolle für die Entdeckung und Beseitigung möglicher Kontaminierungsquellen spielt dabei das Rasterelektronenmikroskop Evo MA 25 von Zeiss

Eigenes Labor für die
technische Sauberkeit

Um die Materialzusammensetzung und damit die Herkunft der Partikel mit dem Evo MA 25 überhaupt bestimmen zu können, müssen die Partikel zunächst vom Bauteil abgelöst werden. Dieser Prozess erfolgt bei Innio im sogenannten Tecsa-Labor. Die von den Bauteilen in den speziellen Waschanlagen abgespülten Restschmutzpartikel werden mit einem Filter aufgefangen. Dieser wird vor Ort mit einem Lichtmikroskop untersucht. „Durch die Bestimmung von Anzahl und Größe der Partikel wissen wir bereits, ob Grenzwerte überschritten werden und wie gut unsere Prozesse sind“, so Troger. Denn da die Bauteile in Risikogruppen und damit in entsprechende Sauberkeitskategorien eingeteilt sind, ist auch genau definiert, welche Partikelgröße und -häufung kritisch ist. Wird zum Beispiel bei einer Kurbelwelle eine Grenzwertüberschreitung festgestellt, wird der Analysefilter mit den Partikeln genauer untersucht. Und zwar mit einem Rasterelektronenmikroskop.

Insourcing der Analysen zur technischen Sauberkeit

Anfangs erfolgte diese Analyse durch externe Dienstleister. Aber das dauerte drei Wochen und länger – zu lang für die Qualitätssicherung von Innio. Zudem erschwerte die Einbeziehung Externer die Kommunikation und damit die schnelle Detektion von möglichen Kontaminierungsquellen. 2015 entschied die Firma deshalb, in ein eigenes Rasterelektronenmikroskop zu investieren.

Das Evo MA 25 arbeitet mit der Zeiss-Software „Smart Particle Investigator“ für die Partikelanalyse und -klassifizierung, die die aktuellen ISO- und VDA-Normen für die technische Sauberkeit erfüllt. Die Software umfasst alle Aspekte der Rasterelektronenmikroskop-Steuerung, Bildverarbeitung und Elementaranalyse in einer einzigen Anwendung. Und weil das System Partikelanalysen automatisch ausführt, kann es durchgehend und unbeaufsichtigt arbeiten. Dies erleichtert auch Johannes Bachmann, bei Innio der Experte für Materialanalysen, die Arbeit. Bekommt er einen Filter zur Untersuchung, braucht er diesen nur in das Gerät einlegen und kann sich bereits nach ein oder zwei Stunden die Ergebnisse ausgeben lassen. Neben der Struktur und Morphologie kann Bachmann am angeschlossenen Bildschirm des Mikroskops dann sehen, aus welchen chemischen Elementen die Partikel bestehen.

Um diese Information gewinnen zu können, werden im Mikroskop Primärelektronenstrahlen auf die Probe gelenkt. Dies führt dazu, dass die Elektronen in der Atomhülle Röntgenstrahlung aussenden. Und weil das Spektrum der Strahlung für jedes Element charakteristisch ist, lässt sich mit der sogenannten EDX-Analyse (energiedispersive Röntgenspektroskopie) die Zusammensetzung der Partikel exakt bestimmen. Bachmann, der genau weiß, mit welchen Werkstoffen am Standort gearbeitet wird, erkennt dank dieser Informationen, woher die Partikel stammen.

Nur noch wenige Filter
pro Woche notwendig

Vor zehn Jahren, als Innio Standards für die Technische Sauberkeit einführte und die Prozesse neu definierte, analysierte Bachmann mindestens 20 Filter pro Woche. Heute müssen routinemäßig nur noch wenige Filter pro Woche betrachtet werden. Doch auch wenn die Prozesse im Unternehmen sehr stabil laufen: verzichten kann und will dort keiner auf das Rasterelektronenmikroskop. Bachmann und Troger sind sich einig: „Mit dem Evo MA 25 finden wir die Nadel im Heuhaufen“. Denn zeigt die Analyse beispielsweise, dass ein potenziell gefährliches Partikel aus Silizium besteht, dann ist laut Troger die Wahrscheinlichkeit hoch, dass möglicherweise Schleusentore geöffnet waren und Sandpartikel das Bauteil kontaminiert haben. Ohne die chemische Analyse des Partikels mit dem Rasterelektronenmikroskop „würden wir nur wissen, dass wir ein Problem haben, aber wir wüssten nicht, wo wir Verbesserungen ansetzen sollten“, betont Troger.

Relativ genau zu wissen, woher ein Partikel kommt, hilft Troger und seinem Team jedoch, die Kollegen erneut für das Problem technische Sauberkeit zu sensibilisieren beziehungsweise Maßnahmen wie Umbauten einzuleiten. Auf Akzeptanzprobleme trifft er dabei kaum. „Bei Innio wird die Abteilung Qualitätssicherung nicht als Polizei oder unliebsamer Überwacher gesehen, sondern als eine Instanz, die vor Ort dabei unterstützt, Fehler zu vermeiden, bevor sie auftreten und Verbesserungen umzusetzen.“ Und das hat seiner Meinung auch viel „mit der Einführung von Standards für die technische Sauberkeit zu tun“.


Syra Thiel

Storymaker
im Auftrag von
Zeiss
www.zeiss.de


Lehrgang zur technischen Sauberkeit

In Zusammenarbeit mit dem VDA QMC veranstaltet das Fraunhofer IPA am 16. und 17. April 2024 einen Lehrgang zur Ausbildung zum Prüfer für technische Sauberkeit. Er richtet sich an Fach- und Führungskräfte, die mit der Qualitätsgröße technische Sauberkeit konfrontiert sind. Ziel ist es, dass die Teilnehmer Sauberkeitsanalysen nach VDA 19.1 auslegen, durchführen und dokumentieren können. Auch die Hintergründe zur technischen Notwendigkeit der Sauberkeitsprüfung und zum sauberkeitsgerechten Verhalten sind ihnen nach diesem Lehrgang klar. Basis des Lehrgangs ist der VDA Band 19.1 „Prüfung der Technischen Sauberkeit – Partikelverunreinigungen funktionsrelevanter Automobilteile“.


Webhinweis

Welche Vorteile die Rasterelektronenmikroskope EVO haben, zeigt Zeiss in diesem Video:



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