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Werkstück im Rampenlicht

Qualität in der smarten Fabrik
Werkstück im Rampenlicht

Weniger Rückrufe, größere Transparenz — für die Qualitätssicherung kann Industrie 4.0 viel Nutzen bringen. Doch Unternehmen stehen dabei vor Herausforderungen: Benötigt werden Technologien für die Datenanalyse und Mitarbeiter, die damit umgehen können. Die entscheidende Rolle kommt aber dem Werkstück zu.

Maschinen kommunizieren selbstständig miteinander, Werkstücke wissen, welcher Bearbeitungsschritt als nächstes folgt, die smarte Fabrik organisiert sich selbst. So sieht das Idealbild der Industrie 4.0 aus.

Für das Qualitätsmanagement und die Qualitätssicherung hat das signifikante Folgen. „Das Wissen über die Werkstückqualität wird künftig die zentrale Rolle spielen“, sagt Helmut Bayer, Geschäftsführer des Beratungs- und Weiterbildungsunternehmens TQU Group. Wenn das Werkstück selbst entscheide, zu welchem Bearbeitungsschritt es als nächstes geht, müsse es auch über seinen aktuellen Qualitätszustand informiert sein. „Wenn das Werkstück zum Beispiel nach einer Bohrung weiß, dass es keinen Grat hat, kann es sich das Entgraten als nächsten Prozessschritt sparen“, erklärt Bayer. Umgekehrt: Liegt der Grat außerhalb der Spezifikation, muss es selbstständig die Maschine zum Entgraten ansteuern.
Nach Meinung von Bayer müsse in der smarten Fabrik der Qualitätszustand dem Werkstück entweder selbst, dem Werkstückträger oder seinem digitalen Zwilling — also dem elektronischen Abbild des Produkts — bekannt sein. Dieses kommuniziert dann mit den Maschinen beziehungsweise Anlagen.
Für die Messsysteme bedeutet das, dass diese in die Prozesskette eingebunden sein müssen und über Schnittstellen die notwendigen Daten an die digitalen Zwillinge liefern. Und diese Daten müssen in Echtzeit bereit gestellt werden.
Kontroll- und Prüfpläne müssen früher erstellt werden
„Das alles ist eine riesige Herausforderung“, so Bayer. „Die entscheidende Frage ist: Wie weit sind die Hersteller der Messsysteme?“ Wenn es etwa um die Verknüpfung der Messtechnik mit beispielsweise der ERP-Software geht, gebe es noch einiges zu tun.
Um die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen, müssten zudem Kontroll- und Prüfpläne deutlich früher entwickelt werden, als dies zur Zeit der Fall ist. „Heutzutage werden die Pläne häufig erst beim Start der Produktion oder kurz davor erstellt“, sagt Bayer. „Das muss man viel weiter nach vorne verlagern. Die Kontroll- und Prüfpläne sollten bereits in die Technologieentwicklung integriert werden, in der es darum geht, wie das Produkt hergestellt wird, und entsprechend der Technologie ausgelegt werden. Gleichwohl wird es zukünftig genauso wichtig werden, das Datenmanagement der Prüfungen zu definieren.“ Nur so ließen sich wesentliche Potenziale von Industrie 4.0 in der Herstellung auch wirklich erschließen
Das wichtigste Thema aber, mit dem sich die Qualitätssicherung im Zuge von Industrie 4.0 beschäftigen muss, ist die Analyse der Daten. Denn in der Fabrik der Zukunft werden viel mehr Daten verfügbar sein als bisher. Diese Entwicklung ist schon heute zu erkennen. Und all die Daten, die von Maschinen und Werkstücken kommen, tragen wertvolle Informationen für die Qualitätssicherung mit sich.
Durch die permanente Echtzeit-Analyse von Betriebs- und Maschinendaten ließe sich beispielsweise die Ausschussquote in der Teileproduktion signifikant senken, meint Horst Reichardt, CEO des IT-Dienstleisters Freudenberg IT. Große Rückrufaktionen seien passé, da man viel schneller in die Produktion eingreifen können.
Industrie 4.0 führt zu 100-%-Kontrollen
Wenn Unternehmen nur Stichprobenkontrolle durchführen, können sie bei Fehlern laut Bayer erst relativ spät reagieren. Industrie 4.0 führe dagegen zu 100-%-Kontrollen. „Der Aufwand für Nachbearbeitungen wird sich deutlich verringern, das Risiko in der Herstellung wird drastisch reduziert“, so Bayer.
Dagegen verbessern sich Rückverfolgbarkeit und Auskunftsfähigkeit gegenüber Kunden und Gesetzgebern. „Man ist ja dann in der Lage, den Zustand der Zwischenprodukte transparent machen zu können“, erklärt der Experte. Und Reichardt stellt fest: „Als Treibertechnologie für Industrie 4.0 sorgt Big Data sozusagen auch für eine neue Qualität 4.0.“
Bayer warnt jedoch davor, alle Daten zu sammeln, die verfügbar sind. „Man sollte bei den Werkstückmerkmalen starten.“ Diese sollte man sammeln und in die Auswertung einbeziehen. „Ansonsten erhält man gigantische Datenmengen, die sich gar nicht verarbeiten lassen.“ Andere Experten wie etwa Edgar Dietrich, Gründer des Software-Anbieters Q-DAS, geben ihm Recht. Dietrich rät dazu, den zu analysieren Datenfluss immer an konkreten Fragestellungen auszurichten (siehe Interview auf Seite 10).
Die Unternehmen erkennen den Wert von Datenanalyse beziehungsweise Big Data offenbar. In Umfragen zeigen die Firmen ihr verstärktes Interesse an dem Thema.
Laut einer Studie von Zeiss zum Beispiel sehen 71 % der Unternehmensentscheider die Datenströme als Chance für Unternehmen und Gesellschaft. Und eine Untersuchung des Zertifizierungsunternehmens DNV GL kommt zu dem Ergebnis, dass für 65 % der Firmen Big Data künftig eine entscheidende Rolle spielt. 76 % planen, die Investitionen in Big Data beizubehalten oder zu erhöhen (siehe Kasten).
Big Data gewinnt in der Fertigung an Bedeutung
Im Zuge der Weiterentwicklung der Produktion in Richtung Industrie 4.0 werden Big-Data-Lösungen neben Auftrags-, Absatz- und Bestandsdatenanalysen künftig vor allem auch auf der Fertigungsebene zunehmend an Bedeutung gewinnen“, sagt auch Stefanie Naujoks, Analystin beim Beratungshaus PAC.
Auch beim Thema Industrie 4.0 spürt TQU-Group-Chef Bayer wachsendes Interesse bei den Unternehmen. Nach seiner Beobachtung beschäftigen sich die Firmen mit den Möglichkeiten der smarten Fabrik. „Sie beginnen langsam damit, das Thema quasi von innen heraus zu entwickeln und sich einzelne Produktlinien anzuschauen, bei denen sie Industrie 4.0 umsetzen können.“
Auch wenn Vieles im Zusammenhang mit Industrie 4.0 — wie zum Beispiel das sich selbst organisierende Werk — noch Zukunftsmusik ist, müssen sich die Unternehmen jetzt schon darauf vorbereiten, glaubt Bayer. Dazu zählt er speziell bei der Qualitätssicherung unter anderem die schon angesprochene Umstellung bei den Kontroll- und Prüfplänen. „Wenn sie dies nicht tun, werden sie in der künftigen smarten Fabrik nicht in der Lage sein, die Qualität ihrer Produktion nachzuvollziehen“, so Bayer.
Fokussierung auf die Produktebene
Neben Technik und Organisation werden aber auch die Mitarbeiter gefordert sein in der Fabrik der Zukunft. Die Qualitätsverantwortlichen müssen in der Lage sein, die Möglichkeiten, die Industrie 4.0 bietet, auch zu nutzen. Will heißen: Sie müssen auch mit den Werkzeugen umgehen können, mit deren Hilfe sich große Datenmengen verarbeiten und auswerten lassen. „Die Anforderungen an die Kompetenzen werden sich verändern“, so Bayer: „IT- und Analysekompetenzen werden künftig gefordert sein.“
Grundsätzlich glaubt Bayer, dass sich Qualitätsmanagement und Qualitätssicherung künftig stärker ausdifferenzieren werden. „Das Qualitätsmanagement schafft die Struktur, wie man die Qualität in Zukunft erreichen möchte. Bei der Qualitätssicherung geht es um die reine Sicherung der Produktqualität“, erklärt Bayer. Daneben gebe es noch die Qualitätsplanung, die Qualitätslenkung und die Qualitätsverbesserung. „Dabei muss man stets unterscheiden, auf welcher Ebene man sich befindet —auf Produkt-, Geschäftsprozess- oder Unternehmensebene“, so der Experte. „Beim Thema Industrie 4.0 brauchen wir eine stärkere Fokussierung auf die Produktebene.“ ■

Der Autor
Markus Strehlitz
Redaktion
Quality Engineering

Digital wird ausgebremst
Viele Firmen sind skeptisch, wenn es um das Tempo der Digitalisierung hierzulande geht. Laut einer Studie von Zeiss befürchten 55 % der Befragten, dass die deutsche Wirtschaft den Anschluss an die Digitalisierung verpassen wird. Als Hemmgründe werden Datenschutz und Datensicherheit (13 % ) sowie Kosten (12 %) genannt. Hindernisse sind auch der zu langsame Internet- und Netzwerk-Ausbau, Fachkräfte- und Know-how-Mangel sowie gesetzliche Bestimmungen. Befragt wurden insgesamt 500 deutsche Firmenentscheider.
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